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Kaplan in Kevelaer, Pfarrer in Emmerich, Helfer im Widerstand | † 1948
Pfarrer Franz Sprünken
(r.) 1934 in Emmerich mit Bischof Clemens August von Galen.
Foto: Emmerich am Rhein 1900-2000. S. 194
Die Wege des Kevelaerer Kaplans Franz Sprünken und die des späteren
Bischofs von Münster, Clemens August von Galen, kreuzen sich in Berlin.
Wir begegnen Franz Sprünken zum ersten Mal im Frühjahr 1899, und zwar in
einer Meldung des Kävels Bläche vom 8.4.1899:
„Kevelaer, 7. April. Zum Präses der hiesigen Jünglings-Sodalität ist Herr Caplan Sprünken vom hohen Herrn Bischof ernannt worden. Auch wird Herr Sprünken Rendant des Marienhospitals sein.“
Als im
April 1903 das neue Gebäude für die Höhere Mädchenschule bezogen wird,
übernimmt Sprünken die Seelsorge der Schulmädchen. Nach dem Tod von
Pastor
Joseph van Ackeren wird
Sprünken bis zur Neubesetzung - durch
Bertram Brockes - zum
Pfarrverwalter ernannt.
Kaplan Sprünken gründet 1905 in Kevelaer den Katholischen Kaufmännischen
Verein (KKV) Unitas, dessen erster Präses er wird.
1909 wird Sprünken zum Pastor an die Pfarrei St. Matthias in
Berlin-Schöneberg berufen. In der Hauptstadt trifft sich der aus der
Diözese Münster stammende Klerus einmal wöchentlich zum Konveniat, das
bei Pfarrer Sprünken in St. Matthias stattfindet (J. Kuropka, v.
Galen, Münster 21993, S. 37). Zu diesen Priestern zählt auch
Clemens August Graf von Galen: „Dort wurde es bei angeregter
Unterhaltung und langer Pfeife oft spät“, erinnert sich ein Teilnehmer.
Nach zehn Jahren in Berlin wird Sprünken - November 1919 - nach Emmerich
am Rhein an die St.-Aldegundis-Kirche versetzt. Neuer Pfarrer an St.
Matthias in Berlin wird Clemens August von Galen - eine „völlige
Überraschung“ für den dortigen Klerikerkreis, denn Clemens August gilt
zwar als „demütiger, frommer, äußerst gewissenhafter, seelsorglich
eifriger Priester“, aber auch als „streng in seinen kirchlichen
Ansichten“, als „Prediger langweilig und ohne jedes Talent“, und
überdies sei er ein „sturer Oldenburger“.
Als der Pastor von St. Aldegundis, Franz Sprünken, am 25.11.1934 sein
silbernes Pfarrerjubiläum feiert, da ist Clemens August von Galen
bereits ein Jahr Bischof von Münster. Von Galens Terminkalender
(vgl. P. Löffler, v. Galen, Akten, Briefe, Predigten 1933 - 1946, Bd. 1)
ist zu entnehmen, dass der einstige junge Konveniat-Teilnehmer im
Berliner Pfarrhaus von Sprünken als Münsteraner Bischof das Dekanat
Emmerich 1934 und 1939 besucht hat - in erster Linie, um das
Firmsakrament zu spenden.
1934 - das ist jenes Jahr, in dem Franz Sprünken dem ehemaligen
Reichskanzler Heinrich Brüning und dessen Verkehrsminister Gottfried
Treviranus das Leben rettet. Es ist Sprünken, der ehemalige Kaplan von
St. Antonius Kevelaer, der die Flucht der mit Haftbefehl gesuchten
Berliner Politiker über die Grenze bei Elten einfädelt.
Jahr 2 des „Dritten Reichs“: Heinrich Himmler, der Reichsführer-SS,
unterzeichnet Ende Juni 1934 den Haftbefehl für Heinrich Brüning, der
zwei Jahre zuvor mit seinem Kabinett zurückgetreten ist; außerdem soll
der ehemalige Verkehrsminister Gottfried Treviranus festgenommen werden.
Der frühere Reichskanzler ist allerdings schon in Sicherheit: Der von
Freunden vorgewarnte Brüning begibt sich am Pfingstmontag, 21. Mai 1934,
in die Obhut des Emmericher Pfarrers Franz Sprünken. Der Geistliche
schaltet seinen Organisten Johann Heister, einen Niederländer, der
häufig zwischen seinem Wohnort in Holland und Emmerich pendelt, ein.
Heister fährt Brüning zum Grenzübergang bei Elten. Weil die Beamten den
Fahrer gut kennen, winken sie den Wagen mit niederländischem Kennzeichen
durch. Von Brüning als Beifahrer wird keine Notiz genommen.
Es sind die dramatischen Tage des Machtkampfs zwischen SA, SS und
Wehrmacht, den der Führer blutig entscheidet: Hitler stellt sich auf die
Seite der Generäle und lässt SA-Chef Ernst Röhm, der angeblich putschen
will, erschießen. In einem Funkspruch der Gestapo vom 30. Juni 1934 zur
Niederschlagung des vermeintlichen SA-Aufstands wird nach weiteren
Personen gefahndet, darunter: „Treviranus mit Wagen IA 22265 festnehmen,
Inhaftnahme sofort melden!“
Gottfried Treviranus befindet sich zu diesem Zeitpunkt in seinem Haus am
Wannsee in Berlin. Hier bekommt er am späteren Nachmittag während eines
Tennisspiels auf dem hauseigenen Platz einen Anruf von Professor Hermann
Muckermann, der fünf Wochen zuvor die Flucht Heinrich Brünings über
Emmerich nach Holland mit vorbereitet hat. Muckermann, der befürchtet,
dass das Telefon abgehört wird, spricht in Rätseln: „Wissen Sie, wie es
Schleicher geht? (…) In solchen Zeiten spielt man nicht Tennis!“
Treviranus versteht die Warnung seines Freundes nicht und bringt in
aller Seelenruhe seine Tennispartnerin zum Bahnhof Wannsee. Erst auf der
Rückfahrt kommen ihm Ahnungen. Er parkt sein Auto abseits des Anwesens
und nähert sich von hinten seinem Haus. Vor einem Gebüsch steht seine
Tochter Barbara und zischt ihm zu: „Vorne wimmelt alles von Nazis!“
Treviranus springt in seinen Mercedes und gibt Gas. Fünf Schüsse aus
Karabinern, die ihm nachgeschickt werden, gehen fehl. Am
Klein-Griebnitzsee sieht Treviranus in der Nähe des Hauses von Kurt von
Schleicher, der nach Brüning ab Dezember 1932 für zwei Monate als
deutscher Reichskanzler amtiert hat, viele Leute stehen. Er fragt, was
los sei, und hört, dass General von Schleicher und seine Frau am Mittag
erschossen worden seien. Nun endlich versteht Treviranus, was Professor
Muckermann mit seiner Frage, ob er wisse, wie es Schleicher gehe,
gemeint hat.
Der Ex-Minister taucht für einige Tage bei Freunden unter, während seine
Flucht nach England vorbereitet wird. Treviranus entscheidet sich für
den Vorschlag von Professor Muckermann, ihn wie Brüning über Emmerich
nach Holland zu bringen. Knapp 14 Tage bleibt Treviranus in seinem
Versteck, dann fahren er und sein Fluchthelfer Muckermann los.
In Münster legen sie einen Zwischenstopp ein, damit Hermann Muckermann
seinen Bruder, den mit Reise- und Redeverbot belegten Jesuitenpater
Friedrich Muckermann, warnen kann. Pater Friedrich soll noch in
derselben Nacht nach Holland fliehen. In Münster wechseln Treviranus und
Professor Muckermann das Auto. Sie steigen in einen Wagen aus Emmerich
ein, den Pfarrer Franz Sprünken geschickt hat. Dessen Fahrer ist
eingeweiht.
In Emmerich wird noch einmal der Wagen gewechselt. Treviranus setzt sich
in das Auto des Organisten Johann Heister mit niederländischem
Kennzeichen. Die Männer sprechen kein Wort. Auf der Fahrt zur Grenze
stoppt ein Gendarm das Auto und prüft die Papiere von Heister. Den
gefälschten britischen Pass eines Majors Church muss Treviranus nicht
vorzeigen. An dem Beifahrer hat der Polizist kein Interesse.
Zwei Kilometer vor der Grenzschranke steht eine Frau, die ihr Kopftuch
abnimmt, als der Wagen passiert - ein verabredetes Signal, dass alles in
Ordnung ist. Einen Kilometer vor dem Schlagbaum winkt ein Junge mit
beiden Händen. Organist Heister sagt: „Alles klar!“
Pfarrer Sprünken hat die Flucht bis ins Kleinste abgesichert. Sogar der
deutsche Grenzposten, der den Wagen mit Treviranus zur genau
verabredeten Zeit durchlässt, ist ein Vertrauter des Emmericher
Geistlichen.
Auf holländischer Seite, außer Sichtweite der Grenzposten, treten fünf
Niederländer aus einem Wäldchen. Sie heißen den Flüchtling im Namen der
englischen Freunde, die Treviranus nach Großbritannien holen wollen,
willkommen. Einer der niederländischen Fluchthelfer steigt zu Treviranus
ins Auto. Die Fahrt führt nach Arnheim, wo Professor Hermann Muckermann,
der auf anderen Wegen ausgereist ist, bereits wartet.
Wenig später kommt Treviranus in Hoek van Holland an. Von dort bringt
ihn eine Nachtfähre nach Harwich in England. Damit ist er Hitlers
Zugriff entzogen.
Auch Domkapitular Franz Sprünken, der mutige Helfer im Widerstand gegen
das Nazi-Regime, überlebt die NS-Zeit. Er stirbt Ende
März 1948. In seine Fußstapfen tritt später der gebürtige Kevelaerer
Hugo Rogmans (* 1910, † 2001): Rogmans wird 1957 Pastor an St.
Aldegundis Emmerich.
Franz Sprünken
1899 Präses der Jünglings-Sodalität,
Rendant des Marienhospitals in Kevelaer.
1903 Pfarrverwalter nach dem Tod von
Joseph van Ackeren.
1905 Gründer und Präses des
Katholischen Kaufmännischen Vereins (KKV) Unitas.
1909 Versetzung nach Berlin.
1919 Pfarrer in Emmerich (St.
Aldegundis).
1948 Gestorben.
Gottfried
Treviranus
1924 Für die Deutschnationale
Volkspartei im Reichstag.
1929 Parteiaustritt und Mitgründer der
Volkskonservativen Vereinigung (Konservative Volkspartei).
1930 Regierung Brüning; Berufung zum
Minister.
1934 Flucht nach England, später Umzug
nach Kanada.
1949 Rückkehr nach Deutschland.
Rüstungslobbyist.
1971 Gestorben in Florenz.
Heinrich
Brüning
1929 Vorsitzender der Fraktion des
Zentrums im Reichstag.
1930 Reichskanzler. Er regiert mit
Notverordnungen.
1932 Rücktritt mit seinem Kabinett.
Nachfolger für zwei Monate: Kurt von Schleicher.
1934 Flucht in die USA; Professur an
der Harvard Universität.
1951 Rückkehr nach Deutschland, ab
1955 wieder USA.
1970 Gestorben in USA.