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    SACHBEGRIFFE |
Schmitz, Jakob

Buchbinder aus Kevelaer und mutiger Mann im Dritten Reich | * 1908 | † 1984

Jakob Schmitz als Buchbinder Die Attacken der Nazis gegen Bischof Clemens August von Galen lösten in Kevelaer helle Empörung aus. Vier junge Männer - Peter Heckens, Josef Heckens und Ludwig Bergmann aus Kevelaer sowie Leo Jeddema aus Weeze - beließen es nicht bei still empfundener Abscheu. Sie verabredeten ein konkretes Zeichen, den angegriffenen Bischof zu verteidigen und Solidarität mit ihm zu demonstrieren. Dazu bot sich Gelegenheit am 1. Oktober 1941, für den die NSDAP im Saal Schatorjé an der Bahnstraße eine Propagandaveranstaltung angesetzt hatte. Schatorjé war zum Bersten voll. Das entscheidende Stichwort gab der Gastredner Dr. Reible. „Ich erkläre hiermit öffentlich“, rief er aus, „Bischof Clemens August ist ein Landes- und Volksverräter!“

In diesem Augenblick - es war etwa 20.45 Uhr - erhoben sich die vier mutigen Kevelaerer verließen ostentativ den Saal. Reible schrie los: „Denen, die da hinausgehen, kann ich das auch noch schriftlich geben, dass Clemens August ein Landesverräter ist!“ - Da sagte jemand: „Bitte, geben Sie mir das schriftlich!“

Alle Augen richteten sich auf Jakob Schmitz, den Buchbindermeister und Luftwaffensoldaten. Er begab sich nach vorne, reichte Reible ein Blatt Papier. Reible zögerte. Schmitz notierte nun selbst den Satz auf das Papier: „Bischof Clemens August ist ein Landesverräter.“ Dann legte es der Kevelaerer zur Unterschrift hin. Reible unterschrieb tatsächlich und lieferte damit das entscheidende Dokument für eine Anzeige wegen Verleumdung des Bischofs, die freilich ohne Folgen für den Verleumder blieb.

Nicht für Jakob Schmitz: Er wurde Anfang Januar 1942 als einziger seines bis dahin in Amsterdam eingesetzten Zugs an die russische Front geschickt. Seine Familie verlor jeden Kontakt zu ihm und überlebte das Chaos der letzten Kriegswochen in einer Hütte im Sonsbecker Wald. Sie wusste nichts vom Schicksal des Soldaten, der in russische Gefangenschaft geraten war. In seiner Gruppe befand sich auch Jacob Kalscheur, der spätere Pastor von St. Urbanus Winnekendonk. Beide durften 1949 nach Hause.

Jakob Schmitz in den BergenHildegard, die älteste Tochter von Jakob Schmitz, holte mit ihren Geschwistern den Vater am Bahnhof Kevelaer ab. Er trug einen langen Filzmantel, eine russische Pelzkappe, Lumpen um Beine und Füße.

Jakob Schmitz als Urlauber in den Bergen.

Der Buchbinder fand wieder bei Butzon & Bercker Arbeit und blieb dort bis zur Rente.

Am 7. Februar 1984 radelte er in den Mühlenring zur Wohnung seiner Tochter Hildegard. Durchs Küchenfenster sah Hildegard ihren Vater absteigen. Aber er kam nicht herein. Hildegard öffnete die Tür: Ihr Vater lag im Vorgarten. Beim Absteigen vom Fahrrad muss ihn der Tod ereilt haben.



Ein Familienschicksal

Wie es der Familie 1945 ergangen ist, hat uns Hildegard Seidel-Simmat, eine Tochter von Jakob Schmitz, erzählt:

Die Familie, die jeden Kontakt zum Vater, der nun irgendwo in Russland lag, verloren hatte, lebte in der Basilikastraße 31 in einer Betriebswohnung von B & B und konnte sich erfolgreich der Zwangsevakuierung entziehen. Anfang 1945, als SS-Leute mit brachialer Gewalt die letzten in Kevelaer verbliebenen Menschen ‘rausschafften, meldete sich Elisabeth Schmitz mit ihren vier Kindern zunächst an der Sammelstelle am Kölner Hof (Hauptstraße); aber dann kehrte sie - mit dem Jüngsten im Kinderwagen, der nach dem Bischof auf den Namen Clemens August getauft worden war - in ihre Wohnung in der Basilikastraße zurück. Hilflos und dennoch entschlossen blieben sie in der Küche auf ihren Stühlen sitzen, als aufgebrachte SS-Leute hereinkamen.

„Und wenn Sie mich erschießen, ich gehe hier nicht weg“, sagte Mutter Schmitz. Sie habe ein Notquartier bei Sonsbeck - jene Jagdhütte, von der ihr Mann gesprochen hatte. Dorthin wolle sie mit ihrer Familie, wenn sie schon Kevelaer verlassen müsse. Die SS ließ sich darauf ein und eskortierte die Familie bis zur bewachten Niersbrücke in Schravelen.

Anfang 1945: Es war eiskalt, und zu Fuß zog die Familie bis nach Sonsbeck in den Wald, wo sie die Hütte bald fand. Kaum waren die Kevelaerer eingezogen, bekamen sie Zuwachs: Eine Familie Janssen [Schreibweise unbekannt], bestehend aus Mutter und Sohn, nahm hier ebenfalls Quartier. Vater Janssen war beim Volkssturm in Kevelaer eingesetzt. Das machte sich Elisabeth Schmitz zu Nutze: Sie fuhr mit einem "organisierten" Fahrrad von Sonsbeck nach Kevelaer, wo sie sich als die Frau des Volkssturmsoldaten Janssen ausgab. Die Wachen ließen die Frau passieren. Elisabeth Schmitz eilte in ihre Wohnung, um Sachen herauszuholen.

Vater Janssen, der sonst jeden Abend vom Volkssturmdienst „nach Hause“ in die Jagdhütte in Sonsbeck gekommen war, blieb eines Abends aus. Als er am zweiten Tag immer noch nicht auftauchte, wurden Hildegard Schmitz, zu diesem Zeitpunkt elf Jahre alt, und der wohl dreizehnjährige Janssen-Sohn nach Kevelaer geschickt, um nach dem verschollenen Vater zu suchen. Kinder - so wusste man - durften die Sperre an der Niersbrücke passieren.

Die Suche wurde Tag für Tag wiederholt - zunächst ohne Erfolg. Die beiden Kinder zogen immer größere Kreise und wanderten eines Tages sogar bis Rheinberg. Hier erfuhren sie endlich, was mit Vater Janssen geschehen war: Der Volkssturm-Mann war, als er über die Kreuzung Rheinstraße mit der heutigen B 9 radelte, von einer Granate getroffen worden. Man hatte den Verwundeten nach Rheinberg ins Lazarett gebracht, wo er gestorben war. Als die Kinder die Nachricht hörten, hatte man Vater Janssen bereits beerdigt. Seine sterblichen Überreste wurden später - nach dem Krieg - nach Kevelaer umgebettet.
 
Von Sicherheit keine Spur in der Waldhütte: Das Sirenengeheul vor Luftangriffen hörte auch die Fluchtgemeinschaft in der Waldhütte. Wenn noch Zeit war, rannten die Frauen und Kinder zu einer nahe gelegenen Ziegelei, wo deutsche Soldaten lagen und mit Stroh gefüllte Schutzgräben warteten. Irgendwann, vermutlich im Februar 1945, liefen sie wieder los, aber die Gräben an der Ziegelei waren diesmal völlig überfüllt, die Familie Schmitz wurde abgewiesen.

Mutter und Kinder rannten im Bombenhagel zurück zur Jagdhütte, warfen sich unterwegs immer wieder auf den Boden, erreichten endlich ihren eigenen Graben an der Hütte - da flog die gesamte Ziegelei in die Luft, in der sie Schutz gesucht hatten. Nur wenige der Menschen dort überlebten den Angriff.

Frau Janssen, die nach dem Tod ihres Mannes nichts mehr in der Waldhütte hielt, wollte mit ihrem Sohn das Sonsbecker Versteck verlassen, weil es ihr nicht mehr sicher erschien. Sie wollte zu ihrer Schwester in Bönninghardt, um von dort über den Rhein zu setzen. Sie redete auf Mutter Schmitz ein, ebenfalls die Hütte zu verlassen. Aber Mutter Schmitz war skeptisch und schickte nur Tochter Hildegard mit - sozusagen als Kundschafterin.

Als das Mädchen von Bönninghardt nach Sonsbeck zurückwandern wollte, um ihrer Familie „grünes Licht“ zu geben, wurde das Kind zurückgehalten: Sämtliche Straßen waren mittlerweile durch deutsches Militär gesperrt. Als ihre Mutter davon erfuhr, machte sie sich mit den bei ihr gebliebenen drei Kindern auf den Weg nach Bönninghardt.

Hier fand die Familie Schmitz einen von deutschen Soldaten verlassenen Bunker, in den sie einzog. Es gab zwar keinen Strom, kein Wasser, aber Feldbetten waren vorhanden. Ein Bauer in der Nähe, der noch eine Kuh besaß, überließ der Familie gelegentlich etwas Milch.

Dass in Kevelaer ab Samstag, 3. März 1945, der Krieg aus war, bekam die Familie in Bönninghardt nicht mit. Ein paar Tage danach kam Tochter Hildegard mit der Milchkanne vom Bauern zurück und rief aufgeregt: „Der Bauer hat gesagt, wir sollen die weiße Fahne hissen!“

Mutter Schmitz hob ihr Kleid hoch, riss ein großes Stück vom Unterrock ab, befestigte es an einem Stock und hisste die „weiße Flagge“ auf dem Bunker. Britische Soldaten, die gerade verlustreich Bönninghardt eingenommen hatten, behandelten die deutsche Familie in dem Bunker freundlich. Drei Tage lebte sie hier gemeinsam mit den Soldaten, bis sie ein Lastwagen ins Internierungslager nach Issum in die Brauerei Diebels brachte.

Das Mädchen Hildegard, das wie alle Kinder das Lager verlassen durfte, beschaffte Essbares: Aufgesammelte Zigarettenkippen der alliierten Soldaten - gute Tauschware - waren bei den Rauchern unter den Deutschen im Lager sehr begehrt.

Nach wenigen Wochen konnte die Familie mit Hilfe eines früheren Arbeitskollegen von Jakob Schmitz aus dem Lager fliehen und sich nach Kevelaer absetzen. Das Haus Nr. 31 an der Basilikastraße, in der sich ihre Wohnung befand, war zur Hälfte zerstört. Die Familie Schmitz zog ins Haus gegenüber ein. Dort würde sie einige Jahre wohnen bleiben.

Von Jakob Schmitz und seinem Schicksal in Russland wussten seine Angehörigen nichts.  - bis zu jenem Tag im Jahr 1949, als Hildegard, die Älteste, ihren Vater auf dem Bahnhof Kevelaer in Empfang nahm.

© Martin Willing 2012, 2013