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Von Roermond über Aachen nach Münster
1973 weihte Diözesanbischof Heinrich Tenhumberg die drei
Priester >
Ludwig Averkamp,
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Reinhard Lettmann und Max Georg Freiher von
Twickel zu Bischöfen. Die Drei-Bischöfe-Weihe war die Voraussetzung für
die Regionalisierung des Bistums Münsters. Averkamp betreute fortan den
niederrheinischen, Lettmann den münsterländischen und von Twickel den
niedersächsischen Teil des Bistums Münster. Für die Kevelaerer
bedeuteten die Regionalisierung und die Einsetzung eines eigenen
Bischofs für den Niederrhein wiederum eine Zäsur in der wechselhaften
Geschichte ihrer Bistumszugehörigkeit, die man erst überblickt, wenn man
sich auch der Anfänge im 16. Jahrhundert erinnert.
Kaiser Karl V., in dessen Reich „die Sonne nicht unterging“, kassierte
1543 das Herzogtum Geldern, löste es auf und fügte das Territorium
seinen Spanischen Niederlanden zu. Kein Mensch in Kevelaer und
Umgebung schaute noch durch, zu welcher der vier Diözesen, deren Grenzen
quer durch das Gelderland liefen, was gehörte. Erst 16 Jahre später
ordnete Papst Paul IV. mit seiner Bulle Super universi orbis
das Chaos. Ihr Datum, nicht 12. Mai 1559 (Theo Bercker),
sondern 31. Juli 1559 (Kirchengeschichte 1998), ist der
offizielle Geburtstag des Bistums Roermond, wenn wir andere Angaben
(1543 u.a. im Wallfahrtsjubiläumsbuch I. und in der Festschrift Keylaer,
1561 bei Kirchesch - alle nicht falsch, aber auch nicht richtig)
hier unberücksichtigt lassen.
Das im Kirchengeschichtsbuch von 1998 genannte Datum 31. Juli 1559 ist
als Stichtag für Kevelaers Unterordnung unter die bischöfliche
Jurisdiktion Roermonds, das knapp hundert Jahre später Kevelaer als
Gnadenort anerkennen sollte, erklärungsbedürftig, denn zu diesem
Zeitpunkt gab es weder ein „funktionierendes“ Bistum Roermond, noch
einen dazugehörenden Bischof.
Die päpstliche Bulle Pauls IV. legte nämlich nur grob die Richtung fest,
in die die diözesane Neuordnung gehen sollte, während sein Nachfolger
Pius IV. die Einzelheiten bestimmte, und zwar in der Bulle Hegimini
universalis ecclesiae, die vom 7. August 1561 datiert.
Aber auch jetzt, 18 Jahre nach dem endgültigen Aus für das Herzogtum
Geldern, zwei Jahre nach der Gründungsentscheidung für „Roermond“, war
noch kein Bischof in Sicht. Erst am 4. April 1562 wurde der für dieses
Amt bestimmte Dechant Wilhelmus Lindanus, aus einer Patrizierfamilie in
Dordrecht stammend, in Brüssel zum Bischof geweiht. Lindanus, der bei
seiner Bischofsweihe keine 40 Jahre alt war, hatte als kirchlicher
Beamter im Dienst der spanischen Krone für die Inquisition gearbeitet;
entsprechend schrecklich war sein Ruf, der ihm vorauseilte (vergl.
Bercker).
Die Roermonder machten ihre Stadt dicht und verweigerten „ihrem“ Bischof
den Zutritt zu seiner Residenz, was vor dem Hintergrund sich
ausbreitender Aufstände gegen die politische und kirchliche
Unterdrückung des Volkes zu sehen ist. Ganz Flandern stand am 15. August
1566, am Festtag Mariä Himmelfahrt, „in Flammen“. Aufständische drangen
in Kirchen und Klöster ein und zertrümmerten alles, was ihnen in die
Finger kam. Als „Bildersturm“ ging dieser Aufschrei der Unterdrückten in
die Geschichte ein. Philipp II., der „fromme“ Herrscher, schickte seinen
Herzog Alba, in der Literatur der „Schrecken der Niederlande“ genannt,
mit 10.000 Infanteristen und 1.700 Reitern in die Niederlande, um die
Aufstände blutig niederzuschlagen.
Massenweise ließ er Gegner der spanischen Gewaltherrschaft hinrichten,
machte die Inquisition wieder funktionsfähig und schüchterte die
Gelderländer derart ein, dass sie dem verhinderten Bischof die Stadttore
öffneten. Am 11. Mai 1569 konnte Dr. theol. Wilhelmus Lindanus in seine
Kathedralkirche einziehen (womit wir ein zweites Datum haben, an dem
Kevelaers Zugehörigkeit zu Roermond festgemacht werden kann). 54
Jahre vor dem ersten Wallfahrtsgeschehen in Kevelaer, am 2. November
1588, starb Lindanus, inzwischen Bischof von Gent. Er wurde im gleichen
Grab beigesetzt, in dem sein Vorgänger bereits lag: Cornelius Jansenius,
auf den der Jansenismus zurückgeht (Lehre vom Vorherbestimmtsein der
Seele für Himmel oder Hölle, als Widerspruch zum Erlösungsgedanken
verurteilt), der in der Kevelaerer Oratorianergeschichte eine nicht
unbedeutende Rolle spielte.
In dem Landstreifen zwischen Maas und Niers trat die Glaubensspaltung so
krass zutage wie sonst kaum am unteren Niederrhein. Kevelaer war an der
Schwelle zum 17. Jahrhundert die kleinste und entfernteste katholische
Enklave im untergehenden spanischen Reich, eingekesselt im Norden, Süden
und Westen von sich verfestigenden protestantischen Strukturen. Die
seelsorgliche Versorgung der Katholiken war inzwischen vergleichsweise
gut; die sich hingeschleppte Gründungsphase des Bistums Roermond wurde
etwa 1590 abgeschlossen. Dass Kevelaer ab 1644 von Roermond engagiert
unterstützt wurde, um die zwei Jahre zuvor entstandene Wallfahrt zum
Gnadenbild in kirchlich geordnete Bahnen zu lenken, ist hinreichend
bekannt.
Kevelaer blieb bei Roermond, auch nachdem es als schmückendes Beiwerk zu
einem Paket von Ämtern und Städten 1713 an die Preußen verschachert
worden war und unter protestantischen Einfluß geriet. Der
Kirchengemeinde in Kevelaer schadete das nicht. Über tausend Seelen
zählte St. Antonius im Jahr 1766, das zum Dekanat Straelen/Geldern
gehörte und nur unwesentlich größer als St. Petrus Wetten (919) war.
Nicht Preußen, sondern das revolutionäre Frankreich bedrohte im 17.
Jahrhundert das Letzte, was den Menschen am Niederrhein, gezeichnet von
Krieg, Elend und Seuchen, geblieben war: ihre Religionsausübung. Nachdem
1794 das Grenzland bis zum Rhein Frankreich einverleibt war, leitete für
unser Gebiet eine von Aachen aus gesteuerte Zivilverwaltung das ein, was
wir „Franzosenzeit“ und „Säkularisation“ nennen. Die geistlichen Fürsten
verloren ihre politische Macht, Klöster und Kirchen wurden in
Staatsbesitz überführt, Orden aufgelöst und verboten, womit auch das
Ende der Oratorianerzeit in Kevelaer (1802) gekommen war.
Napoleon Bonaparte milderte einige Verfügungen wieder ab und hatte
bereits ein Jahr zuvor in einem Konkordat mit dem Papst geregelt, wie
die Bistümer in seinem Herrschaftsgebiet neu zu ordnen seien. Kevelaer
wurde dem neuen „französischen“ Bistum Aachen zugeschlagen (25. Juli
1802). Dass dort auch das Generalgouvernement Niederrhein sozusagen Tür
an Tür amtierte, erwies sich als Glücksfall: Schnell und gerade noch
rechtzeitig konnte der Bischof intervenieren, als 1806 das konfiszierte
Priesterhaus unter den Hammer geraten sollte. Ein Jahr später wurde es,
da als Wohnung für den Gemeindepriester ausgewiesen und benötigt, wieder
freigegeben.
Die Völkerschlacht bei Leipzig (1813) setzte die nächste Wendemarke in
der niederrheinischen Geschichte. Die Franzosen waren an Preußen
gescheitert, das sich, so beschlossen auf dem Wiener Kongreß (1815), das
Rheinland und Teile des früheren Fürstbistums Münster einverleibte.
Damit wurden die Aufhebung der „Franzosen-Diözese“ Aachen und Kevelaers
Anbindung an das Bistum Münster eingeleitet.
Entscheidend dafür war der Vorschlag der preußischen Regierung an den
Heiligen Stuhl, den Regierungsbezirk Kleve nicht dem wiedererweckten
Erzbistum Köln, sondern dem westfälischen Münster zuzuordnen. Seit
dieser Zeit - am 16. Juli 1821 unterschrieb der Papst die entsprechende
Bulle De salute animarum - gehört das hiesige Rheinland zur
Diözese Münster.
Hier trafen nun zwei „Dickköpfe“ aufeinander: Münster, das auf
Einhaltung der Konvention zwischen Preußen und dem Vatikan achten musste,
verlangte von seinen Klerikern im Rheinland, dass - wie vom Staat
gefordert - endlich Hochdeutsch gesprochen werde. Das aber war für die
meisten Kevelaerer und ihre niederrheinischen Leidensgenossen eine
Fremdsprache: Hier war, gemäß der Jahrhunderte alten Tradition,
Niederländisch zu Hause. Bis in die 1830er-Jahre zog sich der
Sprachenkampf hin, der manchen „störrischen“ Pastor, dem die Staatsräson
weniger wichtig war als das Ziel, dass das Wort Gottes verstanden wurde,
ins Gefängnis brachte. Die Zeit und die Gewöhnung lösten den Streit fast
von selbst. Heute haben nicht wenige Kevelaerer Probleme damit, ihre in
Kävels Platt überlieferte Muttersprache zu verstehen.
Was die katholische Kirche von Preußen zu erwarten hatte, zeigte sich
drastisch nach der gescheiterten Revolution in Deutschland (1848) und in
der ersten Katholikenverfolgung der Moderne durch Bismarck. Aus diesem
brutalen „Kulturkampf“ (ab 1870) ging am Ende der bedrängte
Katholizismus gestärkt hervor.
Die Zugehörigkeit zu Münster bekam dem unteren Niederrhein gut. 1973 erhielt er mit der Regionalisierung des weitflächigen Bistums, durch
Tenhumberg eingeleitet, einen eigenen Bischof: erst
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Ludwig Averkamp,
dann >
Heinrich Janssen,
dann Wilfried Theising.
© Martin Willing 2012, 2013