Lettmann, Dr. Reinhard
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Diözesanbischof von Münster
| * 1933 | Priesterweihe 1959 | Bischofsweihe 1973 | † 2013
Wo Reinhard Lettmann zu Hause war? Im Münsterland? Mag sein.
Ganz sicher in Israel. Kaum kehrte er von seinen Reisen zurück nach
Deutschland, zog an ihm wieder die Sehnsucht nach den Heiligen Stätten
in Jerusalem, nach den Orten Christi in Galiläa am See Genezareth, wo er
viele Male auf den Grundfesten der Kirche gestanden hat und von den
Golanhöhen aus hinter dem Tabor die Sonne über dem Land untergehen sah,
in dem „Milch und Honig fließen“ - gern und oft mit Pilgern aus Rhein-
und Münsterland.
Am See Genezareth: Reinhard Lettmann feiert die Eucharistie (2004).
Fotos: Delia Evers
Wer ihn am Ufer erlebte, sah ihn entspannt in seinem priesterlichen
Element, zu Hause auf den Spuren Christi in unmittelbarer Nachfolge bei
der Verkündigung.
Hier war Reinhard Lettmann den Menschen nahe, hier scharten sie sich um
ihn, und sie führten ihn in ihrer Schar auf den Wanderungen mit. Selten
war er von ihnen zu unterscheiden: In hellen Cargo-Hosen, fast immer um
die unteren Zippstücke erleichtert, mit Karohemd und Sonnenkappe fiel er
als Bischof kaum auf. Würde und Präsenz wiesen ihn in der Mitte der
anderen aus - im Alltag auch ohne Gewänder.
Die
Mitpilger freuten sich an der Nähe und rückten ihm doch nicht zu nah.
Einmal bildete eine Pilgergruppe zur Andacht ein großes Halbrund. Der
Sitzplatz neben Lettmann blieb leer, obwohl noch Pilger standen.
Lettmann klopfte auf den leeren Fleck und sagte: „Dabei ist der Platz so
schön.“ Es dauerte, bis sich jemand „traute“.
Pilger unter Pilgern in Israel.
Lettmann war gern unter Menschen und in Gesellschaft ein begnadeter
Erzähler. Unnachahmlich, wie er einmal von einer denkwürdigen
Reisebekanntschaft mit einem Kamel erzählte, das sich weigerte, seinem
Tragedienst nachzukommen und dabei wie verneinend mit den Ohren
schlackerte. Lettmann imitierte mit gespitzen Lippen und wackelndem
Haupt das Höckertier. Die Runde konnte sich kaum fassen vor Vergnügen.
Lettmanns Heiterkeit war eine kleine frohe Botschaft für sich.
In
der einen Minute erzählte er eine komische Begebenheit, in der anderen
konnte er ganz für einen Menschen da sein, der nicht mitgelacht hatte.
Lettmanns Hinwendung war so greifbar, dass die anderen keine
Aufforderung brauchten, die beiden allein zu lassen. Lettmann „hörte“
auf seine Weise.
Wiederum am See Genezareth.
In seinen „Gedanken über das Sprechen mit Gott“ berichtete er aus dem
Buch der Könige, wie Gott dem jungen Salomon im Traum einen Wunsch
freigibt. Salomon wählt nicht Ansehen, Macht oder Gesundheit, er bittet
um ein Herz, das hört.
Am Seeufer firmte der Bischof einen Mann, der sich während der Reise
entschlossen hatte, um diese Stärkung zu bitten. Lettmann salbte ihn mit
Crisam und hielt sekundenlang den Kopf des Firmlings in seinen Händen.
Der gestandene Mann stand erschüttert da.
Mitten in der sprudelnden Jerusalemer Innenstadt ließ sich Lettmann auf
ein Gespräch mit Pilgern über das Kreuz als Zeichen der Liebe Christi
ein. Er dozierte nicht, was ihm ein Leichtes gewesen wäre; er leitete
behutsam mit knappen Fragen an, Antworten selbst zu ergründen.
Unmerklich überließ er einem jungen Domvikar das Ruder und begleitete
wie mit väterlicher Freude mitten im turbulentesten Jerusalem an den
Tischchen einer Falafel-Bude die kleine Debatte über Tod und
Auferstehung, die er angestiftet hatte.
Vielleicht liegen in diesen Begegnungen Gnadenmomente einer
Bischofszeit. Reinhard Lettmann erfuhr nicht, wo er überall „gesät“
hatte, und er wurde nicht Gewahr, wo diese Samen aufgingen und aufgehen
werden an den vielen Orten und in der langen Zeit seines Priesterlebens.
Das war Reinhard Lettmanns Lieblingskathedrale, gebildet aus
Bambusbäumen am See Genezareth. Der Felsbrocken, auf den ein Lichtstrahl
fällt, war Lettmanns Altar, auf dem er über viele Jahre auf seinen
zahlreichen Israel-Reisen die Eucharistie feierte.
Manchmal sind es die kleinen Impulse, die er gab und die andere
stärkten: durch seine Heiterkeit, durch die stille Art, seinen schwächer
werdenden Körper auf dem Weg zu halten, durch einen tiefen Atemzug am
Seeufer bei Tabgha, der so viel Schönes über das Lebenwollen sagte,
durch seine Hände, die er dort feierlich langsam auf den Altarstein
legte und die zeigten, was es für ihn bedeutete, was es für Menschen
bedeuten kann, an diesem begnadeten Ort die Gemeinschaft Christi zu
feiern.
Vielleicht kam es mit den Jahren, dass Reinhard Lettmann weniger
„gepredigt“, weniger beschrieben und den Menschen mehr zu schauen
gegeben hat. Er sagte nicht, dass schön ist, was sie sehen, er breitete
durch sein Schauen, das Vorbild gab, in ihnen eine Ahnung von der
Schönheit aus und führte sie zu eigenem Schauen.
♦ Dann brach das Frühjahr 2013 an. "Gegen alle Vernunft", so sagte ein
Vertrauter, reiste der inzwischen 80-jährige, geschwächte Mann wieder
nach Israel. Die Gruppe - 96 Pilger - war diesmal besonders groß. Nicht
wenige hatten nur deshalb diese Frühjahrsreise und keine spätere
gebucht, weil der emeritierte Bischof mitpilgerte. Eingeweihte wussten:
Es konnte nur so sein, dass es seine letzte Israel-Reise werden würde.
Das Programm der Pilgerreise war ganz auf Reinhard Lettmann
zugeschnitten. Er musste sich auf den Etappen im Rollstuhl schieben
lassen. Gegen Ende der Reise, beim Besuch Betlehems, sackte Reinhard
Lettmann zur Mittagszeit plötzlich zusammen und starb. Die Pilger
versammelten sich mit Domkapitular Kurt Schulte zum Gebet in der Kapelle
des St.-Charles-Hospiz zu Betlehem.
Dass der Altbischof ausgerechnet am Geburtsort Jesu gestorben ist - dazu
sagte sein Weggefährte und Freund, Erzbischof Werner Thissen (Hamburg):
"Das ist wie seine letzte Predigt." - "In seinem Sterben dort sagt er
uns: Die Menschwerdung Jesu ermöglicht unsere eigene Menschwerdung.
Lasst uns immer mehr Mensch werden nach dem Plan Gottes."
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VITA Dr. Reinhard Lettmann
1933 Geboren in Velen im Kreis Borken.
1959 Zum Priester geweiht, Kaplan in Beckum.
1960 Studium in Rom.
1963 Bischöflicher Sekretär und Kaplan in
Münster.
1967 Bischöflicher Generalvikar in Münster,
residierender Domkapitular.
1973 Zum Bischof geweiht gemeinsam mit Ludwig
Averkamp und Max Georg Freiherr von Twickel.
1980 Zum Diözesanbischof als Nachfolger von
Heinrich Tenhumberg ernannt.
1991 Ehrendoktor der Katholisch-Theologischen
Fakultät der Universität Münster.
2006 Ehrendoktor der Fakultät für
Römisch-Katholische Theologie in Bukarest.
2013 Gestorben in Betlehem.
Mit Reinhard Lettmann
in Israel (2004)
Lettmann und Kevelaer - eine
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