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Mit Bischof Reinhard Lettmann im heiligen Land
VON DELIA EVERS
Pilger vom Niederrhein und aus dem Münsterland erkundeten mit
Emmaus-Reisen der Diözesanpilgerstelle Münster das heilige Land. Mit
Bischof Dr. Reinhard Lettmann gingen sie auf den Spuren Jesu und kamen
der frohen Botschaft nahe.
Wir erleben unseren letzten Abend in Galiläa und fahren Serpentine um
Serpentine hoch ins östliche Gebirge zum Aussichtspunkt Neve Shalom.
Tief unter uns breitet sich der See Genezaret aus. Wir sehen ihn ganz.
Wie eine Harfe liegt er im abendlichen Tal. Lichtreflexe sind übers
Wasser geschüttet, und für einen Moment wissen wir nicht, ob der Himmel
die Harfe beleuchtet oder die Harfe den Himmel.
Weiter südlich, auf dem Berg Nebo, hat einst Mose gestanden und im
Westen das selbe Land gesehen, das „auf Geheiß einer gewaltigen Stimme
seinem Volk gehören sollte". Er sah Galiläa, die Berge Ephraim, das
Bergland von Judäa, den Negev, das Jorantal und, unmittelbar vor dem
Berg Nebo, das Tote Meer. Sein weiter Ausblick umfasste das Land, auf
das die Juden bis heute Anspruch erheben. Vor uns öffnet sich oben auf
dem Aussichtspunkt das obergaliläische Gebirge, das uns seit unserer
Ankunft mit Schätzen beschenkt: denen der Landschaft und denen des
Evangeliums.
Im Westen hinter dem Berg Tabor fällt die Sonne schnell. In wenigen
Minuten senkt sie sich hinter die Kuppe und blitzt noch einmal auf wie
ein Edelstein, eingefasst in die Dunkelheit der anbrechenden Nacht.
Oben, auf unserem Aussichtspunkt, ist es noch hell. Eine Mitpilgerin hat
Geburtstag. Dankbar für die vorangegangenen Tage wünscht sie sich ein
Lied. „Lobe den Herrn, meine Seele". Wie oft haben wir diesen Kanon
gesungen! Wir heben an.
Unsere Gruppe ist nicht allein auf der Plattform. Es ist Shabbat. Viele
Juden beschließen über dem See ihren freien Tag. Sie lauschen und kommen
näher. Eine Israelin fragt: „Was haben Sie gesungen?"
„Ein Ständchen!"
Schon sammeln sich die Juden und stimmen ein Segenslied an, orientalisch
fremd, dann die letzten Töne, wir stehen nebeneinander, erwartungsvoll,
Juden und Deutsche. Eine Jüdin hebt wiederum zu singen an. Hava Nagila.
Sekunden später fassen wir uns unter und tanzen den weltberühmten Tanz.
Wir singen für den Frieden. Hevenu Shalom Alechem. Dann stehen wir
atemlos beinander, gerührt vom Zauber der Begegnung. Wenige Minuten
zuvor, als die Sonne sich senkte, haben wir gedankt für die Natur, die
von vielen Völkern angebetet wird wie Gott selbst. Doch Gott ist größer
als seine Schöpfung. Die untergehende Sonne, Tanz und Gesang lassen uns
staunen, atemlos aber macht uns die Ahnung, dass wir in ihnen Gottes
Liebe fühlen. Noch im Bus schweigen wir.
Dann
sehen wir blinkende Lichter am nordwestlichen Seeufer: Es sind die
Laternen zwischen Palmen und Ziturshainen am Pilgerhaus Tabgha, unserem
Domizil während der Tage in Galiläa, getragen durch den deutschen Verein
vom heiligen Lande.
Bischof Dr. Reinhard Lettmann feiert die
heilige Messe am See Genezaret. Fotos: Delia Evers
Hier haben wir am frühen Morgen ein Ereignis gefeiert. Einer aus unserer
Gruppe ist aufgeregt, ein gestandener Mann, 55 Jahre alt, seit wenigen
Tagen Katholik; während der Reise hat er sich entschieden, Bischof
Reinhard Lettmann um das Firmsakrament zu bitten.
Feierlich zieht unsere Gruppe vom Pilgerhaus
den kleinen Hang hinunter zum See. Ein großer Stein liegt ganz für sich
und lädt dazu ein, Altar zu sein. Tage zuvor hat Lettmann augenzwinkernd
erklärt, es sei geradezu unabweisbar, dass Jesus auf diesem Stein mit
den Jüngern gejaust habe. Uralte Bambusstauden schützen den Block zum
Land hin. Ihre Kronen treffen sich weit oben zu einem Dach, der See
schimmert ruhig, Schilf schwankt sacht im Wind und mit ihm ein Eisvogel.
Er wartet auf die Zeremonie. Die aufsteigende Sonne wärmt sein Gefieder.
Der Bischof predigt über den Mut, auch den kritischen Mut, nicht den
mäkelnden, stärkt den Firmling und uns, unseren Glauben in die Welt zu
tragen, „denn das Salz muss in die Speise".
Bischof
Reinhard firmt einen der Mitpilger.
Als Lettmann den Firmling mit Crisam salbt und sekundenlang den Kopf
zwischen seine Hände nimmt, steht der gestandene Mann erschüttert da.
In Galiläa gehen unsere Erlebnisse immerzu neue, weiternde Bindungen
ein. Die untergehende Sonne belichtet den Schauplatz unserer Begegnung
mit den Juden. Der Naturaltar wird zum Eckstein der Firmung. Auf unseren
Wanderungen über den Karmel, durch das Taubental und den Quellgrund der
Jordanflüsse wandert unsere Vorstellung mit, wie Jesus gestanden,
gesprochen und gewirkt hat. Wir werden seine Mitgänger, und es ist
unwichtig, in welcher Zeit wir unterwegs sind und ob wir genau den Pfad
treffen, den er gegangen ist.
Lebendig ist er überall am See. Durch sengende Hitze wandern wir zur
Brotvermehrungskirche im Palmengarten in Dalmanutha. Hier hat er vor den
5000 Menschen fünf Brote und zwei Fische vermehrt; nur vier Brote
erinnern auf einem Mosaik in der Kirche an das Wunder. Wir durchwandern
einen blühenden Garten, wir staunen über Früchte und Blüten an einem
Zweig, orangefarben die einen, lavendelfarben die anderen,
Schmetterlinge überholen uns, ein kleiner Wasserlauf geht mit, unten am
spiegelglatten See finden wir einen einfachen Feierplatz für unseren
Gottesdienst. Der Bischof deutet uns das fehlende fünfte Brot als Leib
des Herrn, bereitet auf dem Gabentisch. In diesem Moment eilen vom
bislang spiegelglatten See leise Wellen heran. Eine mitreisende
Ordensschwestern sagt später: „... als wenn sie am Geheimnis teilhaben
wollten".
Der junge geistliche Begleiter der Reise,
Stefan Böntert, sagt: „Nicht nur wir empfangen den Herrn. Auch er
empfängt uns."
Ist es diese frohe Wahrheit, die uns in Israel auf einen anderen, an
Aussicht reichen Standpunkt stellt?
Hier liegt alles nah
beieinander: Kana, der Ort des ersten Wunders und des großen Satzes von
Maria: „Was er euch sagt, das tut!" - ihre frühe Einladung zur Nachfolge
Christi. Nazareth, die Stadt der Verkündigung, ist einen Steinwurf weit
entfernt. Pastor Georg Brücker predigt über das bedingungslose Ja
Marias an Gott: „Mir geschehe nach deinem Wort".
So
entspannt ist Reinhard Lettmann in Israel.
In Galiläa, in der friedlichen Heimat Jesu, scheint vieles leichter,
einfacher. Bei einer Bootsfahrt über den See schwankt in der leichten
Dünung an Deck ein abgeschabter Holzstuhl mit. Lettmann erhebt ihn zum
Altar. Licht, Kelch, Brot und Wein nehmen auf ihm Platz. Der Bischof
predigt über den Sturm auf dem See, die ängstlichen Jünger und Jesu
Frage: „Was fürchtet ihr euch?"
Lettmann gibt die Antwort: „Jesus ist bei uns. Er beruhigt die Stürme.
Wir dürfen darauf vertrauen."
Ein anderes Mal wandern wir auf den Berg der Seligpreisungen. Pfarrer
Engelbert Kreft legt uns begeistert und kraftvoll jede Seligpreisung
aus. Viele verstehen die uralten, schweren Sätze zum ersten Mal.
Hier in Galiläa liegt uns alles zu Füßen. Wir gehen auf den Wirkstätten
Jesu. In Bethehem und Jerusalem hingegen, im zweiten Teil unserer Reise,
ist jeder heilige Ort geschützt zwar, aber verborgen unter riesigen
Steinkirchen. Alles ist mächtig, beladen und überreich an Schmuck und
Kunst. Die Wege, die wir in Galiläa genossen haben - hier sind sie
unzugänglich. Wir wandern nicht mehr sehend, staunend, fühlend, fast
scheint es nach der Ruhe in Galiläa so, als eilten wir nun von Stätte zu
Stätte.
Dabei haben wir Glück. Jerusalem und Bethlehem sind bei weitem nicht so
voll wie noch vor Jahren. Überall bekommen wir Platz und Einlass. Wir
erfahren hautnah, dass die Welt hier nicht heil ist; die Mauer der
Israelis wächst, wir spüren Unfrieden und unheilige Politik. Und doch
kennt unser Aufenthalt in Bethlehem und Jerusalem, den wundersamen Orten
von Weihnachten und Ostern, gleich kostbare Momente wie in Galiläa, vor
allem als wir in der Auferstehungskirche in kleiner Runde unseren
Gottesdienst feiern. Der Bischof singt aus vollem Herzen, in einem
einzigen Atemzug, tief gerührt und mit erhebender Kraft das österliche
Halleluja.
Ein Mitpilger weint. Vielen hat sich auf dieser Reise Gepäck gelöst.
Später singen wir es wieder. „Lobe den Herrn, meine Seele, und seinen
heiligen Namen. Was er dir Gutes getan hat, Seele, vergiss es nicht.
Amen".
Die
Autorin dieses Beitrags: Nach vier Israel-Pilgerreisen kennt sie den
Gruß: „Nächstes Jahr in Jerusalem!".
Ob die Juden auf dem Aussichtspunkt über Galiläa gespürt haben, dass wir
„ihr" Lied gesungen haben? Ein paar Verse aus einem 3000 Jahre alten
jüdischen Psalm, gedichtet von König David? Über seinem Bett soll eine
Harfe gehangen haben. Wenn um Mitternacht der Wind umschlug, habe der
Luftzug die Saiten der Harfe zu einem Lied bewegt. David sei aufgewacht
und habe bis zum Morgengrauen mit Gott gesprochen.
Ob ihm dabei die Verse in den Sinn kamen, die Juden und Deutsche 3000
Jahre später zusammenführten?
© Martin Willing 2012, 2013