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    SACHBEGRIFFE |
Goemans, Marianne

Sängerin zur Ehre Gottes | * 1933 

Marianne GoemansIhr Leben ist reich an schönen Einzelheiten, reich an Musik und Erlebnissen: Länger als sechs Jahrzehnte ist Marianne Goemans, einst irrtümlich eingeführt als „ideal schöne Knabenstimme“, Mitglied im > Musikverein Kevelaer. Fast 50 Jahre sang sie jede Woche in der Basilika und immer wieder in den großen Kirchen Europas.

Ihre Stimme erhob sie zur Ehre Gottes und der fröhlichen Geselligkeit. Sie hörte mit einem Mal auf: Sie hatte eine Brustkrebsoperation überstanden, musste Hormone nehmen und erlebte, wie ihre Stimme sich veränderte: „Ich bekam die hohen Töne nicht mehr hin“.

Ihre ansteckende Fröhlichkeit blieb. Sie habe den Musikverein geprägt, erzählt sie augenzwinkernd. Denn zwei umwälzende Neuerungen seien in diesen 50 Jahren auf ihr Konto gegangen: Sie ist die erste Jungfrau „auf der Orgel“, und sie ist die erste verheiratete Frau „auf der Orgel“, die bis dahin ausschließlich den Knaben und Männern vorbehalten ist.

„Ich war dreizehneinhalb Jahre alt, als Annemie Miksa und ich vor Chordirektor Kempkes standen und um Aufnahme in den Frauenchor baten“. Der heißt damals ,,Jungfrauenchor“. Und Chordirektor Kempkes fragt, „ob wir ganz sicher wären… es handele sich ja um einen Chor für Jungfrauen und solche die es bleiben wollten“. Die Delikatesse dieser feinsinnigen Bemerkung versteht die junge Marianne erst später. Damals hat sie keine Ahnung, „dass dieser Tag für mich der Beginn einer halben Lebensaufgabe werden würde“.

Schon bald fragt Kempkes das junge Mädchen, ob es im Hochamt mitsingen will. So erscheint Marianne „auf der Orgel“. Sie lacht noch heute über den Clou: „Der Kulturschock war groß“. Doch das Unternehmen klappt so erstklassig, „dass Kempkes Annemie Miksa, Fine Venmann, Anneliese Sensen und andere auch am folgenden Sonntag auf die Orgel holt“. Und schon bald steht der ganze „Jungfrauenchor“ oben.

Sie liest die ersten Besprechungen über ihre Sangeskunst. Einmal beschreibt ein Rezensent, der das Mädchen „auf der Orgel“ nicht sehen kann, „den Eindruck einer ideal schönen Knabenstimme“.

Den zweiten Zopf schnippelt Chordirektor > Josef Lohmann ab. Bis zu diesem Barbierstück ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass ein Mädchen, wenn es heiratet, den Chor sang- und klanglos zu verlassen hat. Marianne Goemans: „Man muss wohl der bemerkenswerten Ansicht gewesen sein, dass einem Mädchen, das am Altar Ja gesagt hat, plötzlich die Stimme abhanden gekommen ist“.

So besucht Marianne Goemans acht Tage vor ihrer Hochzeit Chordirektor Josef Lohmann, um sich in aller Form zu verabschieden: „Ich seh‘ ihn noch vor mir stehen, als ihm das Kinn runterklappte. Im Geiste sah er wohl all die schönen Messen und die geplanten Konzerte mit Sologesang dahinschwimmen. Ich denke mal, es war der reine Selbsterhaltungstrieb, der ihn sagen ließ: ´Das wird sofort geändert!`“

Marianne Goemans darf weitersingen. Die schönen Messen fallen nicht aus. Josef Lohmann hat mit seiner Spontanentscheidung - im Rückblick darf es gesagt werden - eine „Sängerin vor dem Herrn“ gehalten.

Als das KB sie zu ihrem 50-jährigen Jubiläum im schönen Heim an der Karl-Leisner-Straße in Kevelaer besucht, hat sie Kerzen angezündet und einen Teller mit Adventsplätzchen hingestellt. Sie verschwindet in der Küche, um Kaffee zu kochen. Und während es ringsum zu duften beginnt, legt sie eine CD mit einer Aufführung des Musikvereins auf, ein Duett aus dem „Sub tuum praesidium“ von Mozart, das sie als Sopranistin zusammen mit Martha Weber gesungen hat, einer ausgebildeten Altistin.

Die kurze Partie klingt wie ein kleines Wunder, die beiden Stimmen nehmen einander mit und tragen sich fort - in Feierlichkeit und Größe. „Wie in einem Frage- und Antwortspiel gingen ihre Partien ineinander über. Nur zu gerne hätte man ihnen weiter lauschen mögen“, schreibt ein Rezensent im Oktober 1967, als die Frauen das Duett in der Basilika vortragen. Seither hat Marianne Goemans, die nur ein einziges Mal einen halbjährigen Unterricht genommen hat, immer wieder glänzende Besprechungen bekommen.

Die Begabung hat sie vom Großvater und vom Vater. Ihr Opa hat schon als Jugendlicher dirigiert. Ihr Vater ist Autodidakt, hat sich selbst das Notenlesen und das Klavierspielen beigebracht. Marianne Goemans: „Er hatte den göttlichen Funken“. Und er lässt ihn auf seine kleine Tochter überspringen, die 1933 als Marianne Michelkens in Wachtendonk geboren wird, und übt mit ihr anhand von Tanzteeheftchen die populären Neuerscheinungen. „Oft musste ich für meine Mutter das Wolgalied singen“.

Sie ziehen von Wachtendonk nach Deutz, weil ihr Vater, Revisor bei der Raiffeisengenossenschaft Köln, in der Domstadt arbeitet. Der Krieg bringt ihr Leben durcheinander. Sie werden ausgebombt. In der Folge zieht das Kind 28 Mal um. Da die Familie am Niederrhein Verwandte hat, kommt sie in den Achterhoek auf den Bremenkampshof. Ihr Vater arbeitet wieder als Revisor. Er hat nur eine Hose - noch vom Fliegeranzug. Vor dem Haus hat sich eine riesige Matschfläche gebildet. Ihr Vater muss mit dem Rad auf Vollgummireifen mitten durch. Er bleibt in der Pfütze stecken, muss runter vom Rad, die Hose ist verdreckt. Marianne Goemans trocken: „Da suchten wir uns eine andere Wohnung“.

Sie ziehen in die Marienstraße 4 in Kevelaer, ein großes Haus, „das wir erst bewohnbar gemacht haben. Es regnete durch, auf den Betten standen Wannen“. Marianne besucht das Nonnenkloster Mühlhausen bei Oedt, bekommt dort die Krätze und steckt zu Hause alle an. Sie hat noch heute den unheimlichen Gestank des Heilmittels in der Nase. Das Mädchen muss nicht nach Oedt zurück.

Es macht in Geldern die „Mittlere Reife“, möchte einen künstlerischen Beruf ergreifen und die Werkkunstschule in Krefeld besuchen. Die Eltern sind „halb einverstanden“, und Marianne meldet sich an. Doch als sie zum ersten Mal in die Seidenweberstadt will, beichtet ihr die Mutter: „Wir haben dich abgemeldet“. Sie will keine „brotlose Kunst“ für ihr Kind. Marianne beginnt eine Arzthelferinnenschule in Essen. Nach ihrer Ausbildung arbeitet sie in einer Allgemeinarztpraxis in Uerdingen.

Einmal hat der Zug, in dem sie zwischen Krefeld und Kevelaer unterwegs ist, einen Achsenbruch: „Das war 1954 bei Aldekerk. Die Sonne war warm, viele waren ausgestiegen. Es wurde erzählt und gelacht“. Da guckt ein Mann aus dem Fenster. Im folgenden Jahr wird es ihr Mann. Sie heiratet Hans Goemans im September 1955 in der Basilika. > Heinrich Maria Janssen, der Pastor an St. Marien und spätere Bischof von Hildesheim, zelebriert das Brautamt, das gleichzeitig Pilgermesse ist. Ehrensache, dass der Chor den Gottesdienst musikalisch gestaltet.

Das Paar bekommt zwei Jungen, Peter (später Bankfachwirt von Beruf) und Stefan (Computerfachmann). Sie kümmert sich um ihre Familie - und um den Gesang.

Eines der ganz großen Erlebnisse: Sie fährt mit Kolleginnen und Kollegen nach Lourdes. Sie singen in ihrer Gruppe, ein Pater hört sie und verpflichtet sie. Sie sollen das Lourdeslied singen. „Das konnte ich gar nicht“, erzählt sie. „Da bin ich auf mein Hotelzimmer gegangen und habe es einstudiert“. Nie vergisst sie, wie sie vor 50.000 Menschen singt. Ein berühmter Jungenchor ist vor Ort. Gänzlich ungeplant beginnen die Jungen plötzlich auf einen Fingerzeig ihres Dirigenten zu summen, mischen sich behutsam unter den Gesang - ein ergreifend schöner Vortrag. Heute sagt Marianne Goemans: „Das Notenblatt hat mir ein bisschen gezittert“.

Ein anderes Mal ist die Theresienmesse im holländischen Elst angesagt. Sie wollen sich vorher noch einsingen, da fällt auf, dass keine Noten da sind: Ohne Noten kein Auftritt, also setzen sich zwei Männer in Bewegung: Vom Priesterhaus in Kevelaer aus rast Bruder Sebald Stark mit dem Notenkoffer Richtung Grenze. Von Elst aus flitzt Präsident > Karl Dingermann in Windeseile Richtung Schlagbaum, der damals noch geschlossen ist. Er lässt den Wagen auf holländischer Seite stehen, überfliegt die Grenze, nimmt den Koffer in Empfang und rast zum Auto zurück. Das finden die Zöllner mehr als merkwürdig und blaffen Dingermann an, der, bewaffnet mit den Noten, schon fast am Ziel ist: „Sofort stehenbleiben“. Dingermann, im alltäglichen Leben Rechtspfleger im Amtsgericht Geldern, kann die Zöllner von seiner Ungefährlichkeit überzeugen und kommt rechtzeitig in Elst an. Noch Tage später geht es Dingermann nach, dass ausgerechnet er „gestellt“ worden ist.

Immer wieder knüpft Marianne Goemans Kontakte, die viele Jahre halten. Bei einem Konzert im belgischen Lommel 1973 werden die Sänger aus Kevelaer in belgische Familien aufgenommen. Zustande gekommen ist die Einladung auf Initiative von Adolf Pier, der aus Kevelaer stammt und den großen deutschen Soldatenfriedhof in Lommel betreut (hier liegen auch fünf Kevelaerer begraben). Sie führen die Schöpfungsmesse von Haydn auf.

Marianne Goemans singt mit Martha Weber die Solopartien: „Nach dem Schlussakkord brach nicht enden wollender Beifall los. Dechant Küppers konnte nur mühsam seine Bewegung verbergen“, heißt es später in einer Zeitungsbesprechung.

Dechant Küppers sagt nach dem Konzert, und das macht deutlich, wie sehr der Musikverein und mit ihm Marianne Goemans, etwas bewegt haben: „Bei allem was geschehen ist, dürfen wir nicht vergessen, dass wir Brüder sind und wieder zueinander finden müssen“. An diesem Tag haben viele zueinander gefunden.

Marianne Goemans ist dankbar für ihr Sängerinnenleben. „Auf der einen Seite war es wunderschön, auf der anderen Seite stand ich dadurch oft unter Strom. Damals gab es an den Sonntagen nicht ein Hochamt - ich stand von 9 bis 13 Uhr permanent an derselben Stelle und sang, mitunter vier Messen an einem Tag. Da haben wir am Ende regelrecht nach Luft geschnappt, die nicht mehr da war.“

Sie sagt über alle Sangesgeschwister: „Wir haben uns alle so engagiert, wie wir es eben konnten. Alle waren zur Stelle - und wenn es wenigstens zum Kyrie war. Ich war oft erschöpft, denn ich habe nicht nur die Solopartien, sondern die ganze Messe mitgesungen“.

Resonanz bekommt sie häufig, auch aus den eigenen Reihen. Bei ihrer Verabschiedung sagt sie: „Ein Ton ist etwas sehr Flüchtiges. Man singt ihn, und er verklingt. So manches Mal hätte ich ihn gerne zurückgeholt, wenn er nicht so gut gelungen war“. Die Bewertung folgt während ihrer aktiven Zeit auf dem Fuße durch einen Rippenstoß von links, wenn Wilfriede Neymanns sagt: „Heute kriegst Du nur die Hälfte Deines Gehalts!“ Marianne Goemans: „Dann wusste ich, es hat nicht so schön geklungen, wie ich es gerne gehabt hätte“. Hört sie aber: ,,Heute hast Du Dein Gehalt verdient!“ kann sie sicher sein, es passabel geschafft zu haben. Und kommt herüber: „Heute wird Deine Gage verdoppelt!“ ist das das höchste Lob.

Sie fühlt sich wohl im Musikverein: Ich habe es immer als Privileg und große Ehre empfunden, für den Musikverein singen zu dürfen. Bis zum letzten Tag war es mir eine große Freude“. Ihren Dienst hält sie weit über vier Jahrzehnte durch. Sie erzählt, längst sei Schulte Staade Pastor an St. Marien gewesen, da sei einmal Heinrich Maria Janssen zu Besuch nach Kevelaer gekommen und habe ganz erstaunt gefragt: „Wie, die Marianne Goemans singt immer noch?“

Sie weiß, dass sie auch zu Lasten ihrer Familie gesungen hat: „Mein Mann und meine Kinder mussten oft auf mich verzichten. Mein Mann hat es in guter Akzeptanz und Toleranz getan. Er hat die Kinder gewickelt und gefüttert, damit ich singen konnte“. Dafür ist sie ihm dankbar.

„Ich habe viele schöne Dinge erlebt. Sie waren eine große Bereicherung“. Heute kann sie im kleinen Garten des Hauses an der Karl-Leisner-Straße sitzen, vor dem Haus in dem auch der ehemalige Chordirektor Josef Lohmann wohnt. „Dann stellen wir fest, dass die Glocken läuten“. Früher hätten sie sich auf den Weg gemacht zur Basilika. Jetzt stellen sie fest: „Es ist Hochamt, und wir müssen nicht hin“. Dann schwingt in ihren Stimmen eine kleine Erleichterung mit.

„Wir haben zur Ehre Gottes gesungen. Ob er das immer gut fand, weiß ich nicht“, sagt sie und lächelt. Menschliche Beurteilungen fanden jedenfalls nicht immer ihre ungeteilte Begeisterung. Einmal waren Gocher in einem Hochamt zu Gast. Anschließend lobte einer von ihnen: „Ihr habt wunderschön gesungen. Wie bei der Prinzenproklamation“.

Und was bedeutet ihr die Musik selbst? Die Antwort gibt Hans Goemans: „Sie kann in Tönen baden“. Sie liebt Mozart, „seine Heiterkeit, seine Leichtigkeit - er ist mein Komponist“, aber auch Bach, Smetana. „Ich liebe alles, was gut ist“. Ihr Gradmesser für Qualität: „Die Musik muss mich ansprechen.“ Für sie selbst ist die Musik eine „unendliche Bereicherung meines Lebens“; sie denkt an die vielen Brautmessen und meint: „Wenn all die, die ich ins Glück gesungen habe, heute noch verheiratet sind…“

Da ist wieder die Bedeutung der Musik, ihres Gesangs, die Bereicherung der vielen Menschen, die sie mit ihrer Stimme beschenkt hat, die dem Höchsten ein Stückchen näher kamen, weil Marianne Goemans sie über ihre Töne mit nach oben nahm, Töne, die ohne jeden Umweg ans Herz greifen und das Herz erheben.

Delia Evers (2000)

© Martin Willing 2012, 2013