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Das
tragische Scheitern
mit einem großen Projekt
von Martin
Willing
Im Juni 1995 wurde bekannt, wen Stadtdirektor Heinz Paal als Investor „an der Angel“ hatte. Es handelte sich um den Kiesunternehmer Wolfgang Dömkes aus dem Raum Duisburg/Mülheim, der für Kevelaer zunächst ein ganz anderes Projekt verfolgte: Dömkes war einer derjenigen, die sich eine neue Nutzung des inzwischen aufgegebenen Munitionsdepots in Twisteden ausgedacht hatten.
Vertragsunterzeichnung als Show:
Tatsächlich waren die Verträge bereits amTag zuvor
unterzeichnet worden (v.l.): Ingrid Dömkes, Wolfgang Dömkes,
Bürgermeister
Dr. Friedrich
Börgers und Stadtdirektor Heinz Paal.
Der Kiesunternehmer schlug vor, das gesamte Gelände bis zur Oberkante
der über 300 Bunker aufzuschütten, um darauf einen Flugplatz für
Sportflugzeuge zu errichten. Die exotische Idee kam nicht zum Tragen (in
Twisteden entstand der Traberpark Den Heyberg, und die Bunker wurden zu
Feriendomizilen und Lagerhallen umgebaut). Aber Dömkes blieb bei der
Stange und interessierte sich nun für das Kurzentrum-Projekt.
Dafür beauftragte er zwei namhafte Architekten, die am 1. April 1999 ihre Planentwürfe dem Auftraggeber vorlegten. Stadtdirektor Paal weihte Anfang Juni die Ratsmitglieder in nichtöffentlicher Sitzung über den Fortgang des Projekts ein. Dabei stellte Dömkes in einem halbstündigen Vortrag seine Planungen vor. Das Kurzentrum, dessen Gesamtfläche 75 bis 80 Hektar umfasse, werde insgesamt 200 bis 300 Millionen Mark kosten.
Noch guter Stimmung und Hoffnung: Wolfgang Dömkes und Heinz Paal (1995).
In der selben Sitzung sprach Paal einen Punkt an, der später für heftige Auseinandersetzungen, auch mit unserer Zeitung, sorgen sollte. Weil bei einer so großen Fläche - in Besitz zahlreicher Eigentümer - die Preisforderungen ins Kraut schießen könnten, schlug Paal die Klassifizierung des Projekts als „städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“ vor. Mit einem entsprechenden Beschluss würde der Verkehrswert der in Frage kommenden Grundstücke eingefroren. Damit könne verhindert werden, dass das Projekt „über allzu spekulative Preisentwicklung gefährdet wird.“ Und: „Ich empfehle, solchen Beschluss vorsorglich zu fassen“.
Die KB-Berichterstattung brachte es auf den Punkt: „Stadt will für Kurbad 100 Grundbesitzer praktisch enteignen“, meldeten wir. „Stadtdirektor und Ratsmitglieder wollen den rund 100 Besitzern der Grundstücke für das Kurzentrum die Wertsteigerung wegnehmen. Damit der Duisburger Investor billig an die Grundstücke kommt, sollen die Eigentümer quasi enteignet werden. (...) Zum erstenmal soll nach dem Willen von Stadtdirektor Paal ein neues Brachialmittel aus dem Bundesbaugesetz angewendet werden. Hinter dem harmlosen Begriff ‚Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme‘ verbirgt sich ein massiver Eingriff in das Eigentum: Die Stadt nimmt gegen den Willen der Grundbesitzer das gesamte Areal ‚in Besitz‘. Der Wert der Grundstücke wird ‚angehalten‘ und nach dem heutigen Verkehrswert festgeschrieben. Diesen Ackerlandpreis kriegen die Eigentümer. Der erhoffte Geldstrom bleibt aus.“
Am 15. Juni 1995 radelten Investor Wolfgang Dömkes und sein Immobilienmakler Nieper (Name geändert, d.V.) nach Kevelaer, stellten sich im Priesterhaus vor und übernachteten dort. Dömkes hatte in der Wallfahrtsstadt bereits starke Fürsprecher, so auch den SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus Hölzle, der vor seinen Ratskollegen Ende Juni lobte: „Bei der Vorstellung des Projekts (...) wiesen sich der Investor selbst und vor allem seine Berater durch Fachkunde und detaillierte Kenntnisse zu den lokalen Standortbedingungen des Wallfahrtsorts Kevelaer aus. (...) Dieser Investor konnte durch seine Berater dem Rat ein schlüssiges Konzept vorstellen“. Und zu den vom KB vorgetragenen Bedenken: „Ein Zielkonflikt zwischen Wallfahrts- und Kurbadbetrieb wird ausschließlich von ideologisch motivierter Lokalpresse herbeigeredet.“
Die Ahnungslosigkeit, die sich in solchen Beiträgen offenbarte, erstreckte sich auch auf etwas Bodenständisches: Niemand in Politik und Verwaltung hatte sich die Mühe gemacht, den hoch gelobten Beratern des Investors auf den Zahn zu fühlen. Wir taten es und fanden heraus, dass anderthalb Jahre zuvor der Immobilienmakler Nieper in einem Tageszeitungsbericht genannt worden war, worauf der Zeitungskollege einen Anruf der Kriminalpolizei erhalten hatte: Sie wollte wissen, ob sich Nieper tatsächlich als Makler ausgegeben habe. In einer solchen Sache ermittele die Staatsanwaltschaft Duisburg. Nieper dürfe sich nicht als Makler bezeichnen.
Wir fanden heraus, dass Nieper von 1992 bis 1994 - auch unter Haftandrohung - mehrere eidesstattliche Versicherungen abgegeben hatte. Der undurchsichtige Makler, bei dem nichts zu holen war, rühmte sich in einem Telefonat mit der KB-Redaktion im Sommer 1995: „Ich kann es gut mit den Bauern. Den Dömkes kennt niemand“. Vor anderthalb Jahren habe er im Raum Kerken für Dömkes 400 Hektar für Abgrabungen gekauft. Nun beschaffe er für Dömkes und das Kurzentrum Grundstücke in Kevelaer. Als der Investor noch an einen Flugplatz auf dem Gelände des Twistedener Munitionsdepots dachte, war es Nieper, der das entsprechende Angebot bei der Stadt Kevelaer einreichte und abzeichnete.
Wir stellten Nieper, der Mitte Juli 1995 die KB-Redaktion aufsuchte, zur Rede. Er antwortete, dass sich die vier geleisteten Offenbarungseide auf den Konkurs seiner Firma, eine Landschaftsgärtnerei, im Jahr 1987 bezögen. Damals habe er alles verloren, sein Haus habe er bereits längere Zeit vorher auf seine Frau überschrieben gehabt. Er selbst sei von Beruf Gärtnermeister. Seiner Frau gehöre die Immobilienfirma, er sei nicht einmal angestellt, verdiene keinen Pfennig, sei völlig auf seine Frau angewiesen, die nach erfolgreich verhandelten Vertragsabschlüssen an Investor Dömkes eine Rechnung schreibe. Er besitze Dömkes‘ uneingeschränktes Vertrauen. Dömkes bediene sich seiner, weil es kaum einen Makler gebe, der Projekte so schnell und arbeitsintensiv vorantreiben könne wie er.
Unsere Frage, ob er im Kurparkgelände bereits Land aufgekauft habe, verneinte Nieper. Aber wenn der Optionsvertrag nach der Sommerpause unter Dach und Fach sei, habe er sofort zwei Fünftel des gesamten Geländes an der Hand, das seien etwa 16 Hektar.
Zeitgleich mit uns hatte auch ein einflussreicher CDU-Politiker in Kevelaer über Nieper Nachforschungen angestellt. Am 18. Juli 1995 wurden Stadtdirektor Paal die Ergebnisse anvertraut. Noch am selben Tag trafen Paal und Dömkes zu einer Krisensitzung zusammen. Für Konsequenzen sah Paal keinen Anlass, denn er verhandele mit Dömkes, nicht mit dessen Makler Nieper.
Eine Woche darauf trafen wir mit Wolfgang Dömkes in dessen Privatwohnung in Mülheim zusammen. Der erste von mehreren Besprechungspunkten war der „Fall Nieper“. Dömkes erklärte, er habe mit Nieper vereinbart, dass der sich nun in Kevelaer zurückhalte. Er kenne Nieper erst seit weniger als zwei Jahren. Wohl von dem Konkurs der Nieper-Firma habe er schon lange gewusst, denn auch er, Dömkes, sei davon betroffen gewesen und auf einer Forderung sitzengeblieben.
Wenige Tage danach kam es zu einem denkwürdigen Wiedersehen. Delia Evers befand sich im Priesterhaus, wo eines der regelmäßigen Pressegespräche mit Wallfahrtsrektor Richard Schulte Staade stattfand. Gegen Ende des Gesprächs fragte Schulte Staade, ob das, was man über Nieper erzähle, nicht übertrieben sei. Und er sagte zur Verblüffung von Delia Evers, dass Nieper draußen warte und im Beisein des Pastors („unter sechs Augen“) mit der KB-Journalistin reden wollte, „um Dinge zurechtzurücken“.
Delia Evers entgegnete, dass sie sich von solch einem Gespräch nichts für das Vorankommen der Sache verspreche; im übrigen sei Nieper in das Projekt nicht mehr eingebunden. Schulte Staade drängte darauf, dass sie mit Nieper rede. Das Kurzentrum sei für Kevelaer von großer Bedeutung, diese Chance für die Marienstadt dürfe auf keinen Fall vertan werden. Er sprach davon, dass es morgen vielleicht zwei Standbeine gebe, die Wallfahrt und das Kurzentrum. Und dass übermorgen beide Standbeine vielleicht zu einem Körper zusammenwachsen könnten.
Delia Evers war, so notierte sie in ihrem Gedächtnisprotokoll, alarmiert, denn da war es wieder - dieses Gespenst, dass die „Josefsquelle“ spekulativ zum Jungbrunnen für die Wallfahrt gemacht werden könnte. Sie willigte ein, Nieper hinzuziehen, und bedauerte es schon bald: Nieper versuchte auf plumpe Weise, bei ihr eine Rehabilitation vor dem Pastor zu erreichen. Er habe mit etlichen Grundstückseigentümern erquickliche Verhandlungen geführt, sagte er und bemühte sich, mit schriftlichen Gedächtnisprotokollen die gute Stimmung für ihn, Dömkes und das Kurzentrum zu belegen.
Delia Evers zog nichts davon in Zweifel, betonte aber, dass dadurch nicht die gegenteiligen Aussagen von Grundstückseigentümern, mit denen das KB vor Ort gesprochen habe, widerlegt würden. Nieper betonte jetzt, er müsse „hart vorgehen“, wenn er in kürzester Zeit soviel Land ankaufen wolle, da könne er nicht immer zimperlich sein. Delia Evers entgegnete, sie habe keinerlei Anlass, an den Aussagen der Grundstückseigentümer, mit denen sie gesprochen habe, zu zweifeln, und sagte dem Pastor, dass es denkbar schlecht sei, wenn das offenbar gewollte Kurzentrum auf Grundstücksverkäufen basiere, die unter Druck gegen die Bürger getätigt worden seien.
Die gesteuerte Begegnung mit Nieper im Beisein des Pastors war nicht der einzige Versuch, kritische Kevelaerer zu beeinflussen. Auch der frühere Bürgermeister Karl Dingermann wurde „bearbeitet“. Dingermann teilte unsere Befürchtung, dass zwischen dem Bohrloch mit dem unglücklichen Namen „Josefsquelle“ und der Gnadenstätte der Gottesmutter eine in Wirklichkeit nicht bestehende Verbindung geschaffen werden sollte und dass dadurch der Gnadenort Schaden nehmen könnte. Der frühere Bürgermeister wurde ins Priesterhaus eingeladen, wo er sich zu einem „gemütlichen Gespräch“ mit Pastor Richard Schulte Staade, dem amtierenden Bürgermeister Dr. Friedrich Börgers und Stadtdirektor Heinz Paal niederließ.
Erst spät am Abend kam die Runde auf das Thema Kurzentrum zu sprechen. In der Hauptsache trug Paal vor. Börgers und Schulte Staade zeigten sich angetan, Dingermann hielt sich mit Meinungsäußerungen noch zurück. Später aber, auf einer Versammlung der Bruderschaft Consolatrix afflictorum, deren Hochmeister Karl Dingermann war, bat er die Bruderschaft, „ein wachsames Auge zu haben“. Solche „Grundveränderungen unserer Stadt“ könnten die Wallfahrt beschädigen oder ins zweite Glied verdrängen.
Pastor Richard Schulte Staade, zugleich Präses der Bruderschaft, wies mit scharfen Worten Dingermanns Darstellung als „völlig aus der Luft gegriffen“ zurück. Dingermann fühlte sich durch die harsche Zurechtweisung, die er so nicht erwartet hatte, brüskiert. Ihn überkam eine so niederschmetternde Enttäuschung über den Pastor, dass er auf der nächsten Versammlung der Bruderschaft ohne vorherige Ankündigung und damit für alle überraschend seinen Rücktritt vom Amt des Hochmeisters erklärte. Für die offizielle Darstellung, was ihn zum Rücktritt bewogen habe, verwies er seinen angegriffenen Gesundheitszustand.
Nur wenige Eingeweihte wussten, warum Dingermann nun seiner Stadt den Rücken kehrte und sich nach Blankenheim in der Eifel zurückzog, wo er in einem Altenheim ein Zimmer bewohnte. Der Ehrenbürgermeister von Kevelaer brauchte Jahre, bis er sich dazu entschließen konnte, in seine Heimatstadt zurückzukehren.
Die Rolle des Wallfahrtsrektors im Zusammenhang mit dem Kurzentrum wurde später bei den Besuchen unserer Redaktion im Priesterhaus öfter thematisiert. Bei einem dieser Gespräche mit Richard Schulte Staade sagte Delia Evers zu dem Pastor, dass sie seine positive Haltung zum Kurzentrum nicht nachvollziehen könne. Sie gehe davon aus, dass in Kevelaer vor über 350 Jahren etwas Wunderbares geschehen sei, dass dem kleinen Ort eine Gnade sondergleichen zuteil geworden sei und dass es nach ihrer Auffassung Sache des Pastors sei, genau das auch im weltlichen Raum zu vertreten. Stattdessen lasse er es zu, dass hier das Kurzentrum - immer mit dem Hinweis auf ein zweites Standbein - eingestielt werden solle. Dabei müsse Schulte Staade sich gegen den Begriff des „zweiten Standbeins“ wehren, müsse deutlich machen, dass Kevelaer durch die Gnade bereits soviel habe, dass nichts dazukommen müsse, dass dieses „Dazukommende“ nur von der Gnade ablenken könne.
Schulte Staade entgegnete, er habe das Kurzentrum nicht bejaht, er habe es lediglich für das kleinere von mehreren Übeln gehalten.
© Martin Willing 2012, 2013