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Das
tragische Scheitern
mit einem großen Projekt
Von Martin
Willing
Im November 1993 suchte Heinz Paal um Rückenstärkung durch den Stadtrat nach und bekam sie auch: Genehmigt wurde die Entnahme von 300.000 Mark aus dem 1994er-Haushalt. 300.000 Mark holte Paal aus Haushaltsresten. Zusammen mit den „geschenkten“ 200.000 Mark des RWE war jetzt genug Geld auf der Kante, um die Bohrung bezahlen zu können. Das Kävels Bläche meldete Ende 1993: „Die Finanzierung für die Tiefenbohrung steht. (...) Gebohrt wird Anfang 1994 im südlichsten Zipfel der Hallenbadwiese, etwa 750 m tief.“
Im Juni 1994 wurde der Bohrauftrag durch den Stadtrat vergeben. Im November begann die Bohrgesellschaft Rhein-Ruhr mbH, betreut und beraten durch Dr. Josef Klostermann vom Geologischen Landesamt NRW und das Büro für Hydrologie Dr. Leichtle in Aachen, mit den Arbeiten. Im Dezember erreichte der Bohrer in 430 Meter Tiefe die erwarteten Festgesteinsbänke. Anschließend ging‘s mit Hilfe von hinzugezogenen Fachfirmen tiefer und tiefer. Und dann sprudelte es zum ersten Mal - Salzwasser, handwarm, eine Heilbrühe, von der man sich ein Millionengeschäft versprach.
Aber dann kam der erste Rückschlag: In 550 Metern Tiefe saß das Bohrgestänge fest, eingeklemmt von nachsackendem Gestein. In dieser misslichen Lage wurden rund 30 Kubikmeter Wasser aus dem Loch nach oben gepumpt, und am 16. Dezember 1994 zog das Institut Fresenius eine Probe zur Analyse des Wassers, die zu dem Schluss kam: Es handele sich um Heilwasser im chemischen Sinne, um eine Sole und - da 23,5 Grad warm - eine Therme. Kevelaer besitze damit eine „jodhaltige Thermal-Sole“.
Stadtdirektor Heinz Paal und Dr. Josef Klostermann (r.) am Bohrloch: Das erste salzhaltige Wasser gezapft.
Die Stadtoberen waren wie aus dem Häuschen. Sogar die „Tagesthemen“ der
ARD berichteten über Kevelaer - und zogen Ende 1994 den
Marienwallfahrtsort und seine neue „wunderbare Heilquelle“ durch den
Kakao. Dass Moderator Ulrich Wickert von einem gewissen Herrn „Bismann“
sprach, der die ganze Geschichte vor über 350 Jahren ausgelöst habe, war
nicht bissig gemeint. Wickert war nur schlecht informiert. Aber dann
kam‘s.
„Kinder Gottes, jetzt haben wir den Einheitssalat, vor dem diese Zeitung
seit dem ersten Gedanken ans Bohren warnt“, schrieb ich im Kävels
Bläche. „Die Marienwallfahrt wird nun in den Medien mit der
Heilwasserbohrerei zu einer Suppe verrührt, die glossarisch aufgekocht
nur für Leute genießbar ist, die keine Ahnung haben. (...) Die
Verhohnepipelung des Wallfahrtsortes (‚Bisher hatte er nur Maria, jetzt
auch Josef‘) ist fahrlässig begünstigt worden, indem die Stadt
beispielsweise zugelassen hat, dass das angezapfte Wasserreservoire nach
dem zuständigen Geologen - der heißt Josef mit Vornamen - benannt wird.
Das ist zwar üblich in der Branche, zeugt aber im Fall Kevelaer davon,
dass unsere eigenen Leute von den drohenden Gefahren nichts, aber auch
gar nichts verstanden haben. Sie hätten, allen Gewohnheiten zum Trotz,
diesen Namen verhindern müssen. Der Bohrjosef stellte sich auch noch vor
die Kamera und amüsierte sich vor der zuschauenden Nation über die
lustige Namenskombination, die nun in Kevelaer möglich ist: Maria &
Josef.“
Der ARD-Film war, zumindest für mich, erschreckend. Eine im Fernsehfilm gezeigte Frau im Schwesternkleid war bereits auf die in Wirklichkeit nicht bestehende Verbindung hereingefallen und schloss eine womögliche Mitwirkung Mariens an dem Fund der neuen Josefsquelle nicht aus. „Wir müssen“, schrieb ich im KB, „endlich begreifen: Die Geschichte wird ausschließlich wegen der (un-)heimlich einkalkulierten Erwartung vieler Menschen funktionieren, dass die salzige Suppe von Kevelaer irgendwie doch geistig angereichert wird; der Volksglaube wird schon dafür sorgen, dass, inoffiziell und inkognito, etwas vom Kapellenplatz herüberweht.“
Kevelaer war in Gefahr, dass die Solewasserquelle zu einer Heilquelle des Gnadenorts erhöht werden sollte. Dem musste meiner Überzeugung nach stärkerer Widerstand entgegen gesetzt werden, als Rathaus und Priesterhaus an den Tag legten. Wir stießen mit unseren Berichten und Kommentaren fast durchweg auf Unverständnis oder Ablehnung. Dass es uns um den Schutz des Gnadenorts ging, wenn wir davor warnten, aus Kevelaer einen touristisch attraktiven Erholungsort zu machen, wurde kaum verstanden. Wir hatten den Eindruck, dass der problematische Wandel Kevelaers, auf den sich Rat und Verwaltung eingelassen hatten, sogar im Priesterhaus nicht gesehen wurde.
Auf einer Pressekonferenz mit Journalisten aus dem weitem Umland stellte die Stadt Kevelaer im Mai 1995 das Wassergutachten groß heraus, das der angezapften Quelle die Qualität von „Heilwasser“ bescheinigte. Ein holländischer Journalist fragte: „Wird nun die Muttergottes arbeitslos?“
Diese Frage war die Überschrift zu einer fast ganzseitigen Betrachtung im Kävels Bläche, in der ich sechs Kritikpunkte aufarbeitete. Der wichtigste war die „Spekulation mit überirdischen Kräften“, die den wirtschaftlichen Erfolg der Kevelaer-Quelle erst sichere. Das gleiche „Heilwasser“ sei in Geldern, Goch oder sonstwo am Niederrhein hochzupumpen; aber nur eine Förderung aus Kevelaerer Erde verspreche den wirtschaftlichen Erfolg. Nur hier könne die „Kombi-Heilung“ von Psyche und Physis, von Geist und Körper vermarktet werden: Neben Josefswasser auch Mariens Trost.
Den substanziellen Unterschied zwischen dem Kevelaer-Wasser und beispielsweise dem Quellwasser von Lourdes werde man wohl deutlich machen wollen, aber die Verwischung im Volksglauben werde nicht zu verhindern sein und sei klammheimlich einkalkuliert. Das Kurzentrum werde von diesem Volksbetrug leben.
Ich beklagte in dem Beitrag aber auch, dass die Kirche Kevelaers solche Bedenken nicht teile und dass wir so langsam keine Lust mehr hätten, „in regelmäßigen Abständen auf Gefahren hinzuweisen und uns ungeschützt dem hämischen Verdacht auszusetzen, ‚päpstlicher zu sein als der Papst‘“.
Einen Erfolg hatte die KB-Intervention doch: Nach Erscheinen der Analyse über die Verträglichkeit von Wallfahrt und Kurzentrum („Muttergottes wird arbeitslos?“) besserte die Stadt das Mitspracherecht der Wallfahrtsleitung nach. Zunächst war nur eine Mitwirkungsmöglichkeit der Wallfahrtsleitung vorgesehen gewesen, die in einem Vertrag ausformuliert werden sollte. Nun sah die Stadtverwaltung die Bildung eines Beirates vor, der gegenüber der künftigen Betreiberfirma des Kurzentrums ein Vetorecht besitzen solle. Dieser Beirat solle paritätisch besetzt werden mit Vertretern der Stadt und des Priesterhauses. Die Partner im Beirat, also Rathaus und Priesterhaus, könnten sich gegenseitig nicht überstimmen.
Aber zunächst einmal störten technische Probleme
den Fortgang der Geschichte: Im Januar war die Pumpe ins Bohrloch
gefallen, weil kein Seil sie gesichert hatte. Bergungsversuche des über
40.000 Mark teuren Geräts waren Ende Februar eingestellt worden. Im Mai
begann die Bohrgesellschaft Rhein-Ruhr mbH damit, das verstopfte
Bohrloch zu sanieren und die Pumpe zu bergen.
© Martin Willing 2012, 2013