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Pilgerreise mit Kevelaerern in den Marienwallfahrtsort Lourdes
Lourdes ist die Stadt, in der Leid und helle Freude so sehr zusammenwachsen, dass die Gesunden, die zum ersten Mal den Gnadenort besuchen, verblüfft in die frohen Gesichter der Kranken schauen und an der eigenen Wahrnehmung zweifeln.
Die Erscheinungsgrotte in Lourdes.
Kein anderer Ort der Welt sieht so viel Elend an Krücken, in Rollstühlen
und auf fahrbaren Betten wie Lourdes; in endlosen Karawanen schieben
Helferinnen und Helfer die Kranken über eigens für sie markierte
Fahrspuren auf den Straßen zu den Prozessionen an die Gnadenstätten der
Stadt. „Mühselig und beladen“ müssten sie aussehen, doch viele Kranke
winken den Menschen in den Straßencafés mit frohem Lachen zu. Die
Menschen winken zurück.
„Bleib
gesund! Gesundheit ist das Wichtigste.“ So heißt es jedes Jahr in
Tausend Wünschen an Silvester. Wenn der Satz stimmte, fehlte den
Kranken, die in Lourdes durch die Straßen geschoben werden, das
Wichtigste. Seltsam, dass sie nicht aussehen, als sei es ihnen abhanden
gekommen.
Viele reisen hierher, nicht damit ein Wunder nach landläufiger
Vorstellung geschieht und die Krankheit von ihnen abfällt wie eine
Kruste; eine Frau aus unserer Gruppe sagt: „Ich komme, weil ich um Kraft
bitten möchte, meine Krankheit zu tragen.“ Auch sie hat ein frohes
Gesicht. „Kranke und Sterbende sehen das Leben anders als Gesunde,
vielleicht weil sie der Ewigkeit ein Stück näher sind. Da verschieben
sich Gewichte, da wird Gesundheit relativ.“
An
der Grotte bittet sie um Zuversicht, dass trotz aller Einschränkung gut
ist, was geschieht. „Wer krank ist, reift“, sagt sie, „der schaut mehr
nach innen und auf das Ende hin. Der hat Zeit, von all den
Nebensächlichkeiten abzusehen, die den Alltag bestimmen.“
Sie sagt: „Die Krankheit hat mich zur Ruhe kommen lassen.“
Der ausgedehnte heilige Bezirk
ist zum Schutz des Heiligtums abgeschirmt.
Vielleicht ist es diese Reifung, die die Gesunden in Lourdes spüren und
die in einigen von ihnen eine Wandlung schafft - in fünf Tagen: Das ist
die Zeitspanne, die die Gruppe aus unserem Kreisdekanat in Lourdes
verbringt.
Acht Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer zählen dazu. Vom ersten Tag an helfen ihnen die Gesunden aus der Gruppe, die auf eigenen Beinen stehen und die Kranken quer durch die Stadt fahren.
Für Rollstühle und Krankenstühle gibt es eigene Fahrbahnen im Wallfahrtsort Lourdes.
Zuerst
sehen sich einige unter den Gesunden als Helfende, als Menschen, die
Zeit, Kraft und Mitgefühl geben. Mehr und mehr verschieben sich auch
ihre Gewichtungen. Sie spüren die Stärke vieler Kranker. Jetzt ist es
die Gesundheit der Helfer, die relativ wird. Sie schieben und lassen
sich schieben.
Zuwendung, Achtsamkeit und Gemeinschaft
bewirken viel in Lourdes. Sie bewegen jährlich Millionen von Menschen.
Es sind kaum schönere Momente christlicher Gemeinschaft denkbar, als
wenn in abendlicher Dunkelheit 20.000 papier-beschirmte Kerzen zum „Ave
Maria“ in den Händen der Gläubigen ihren wogenden Lichterstrom durch den
Heiligen Bezirk senden - alle Menschen mit dem gleichen Ziel: sich im
weltumspannenden Gebet mit ihren Anliegen über die Gottesmutter dem Sohn
zu nähern.
Einzug in die unterirdische Basilika
zum Pontifikalamt. Links:
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Weihbischof
Heinrich Janssen aus Kevelaer.
Das ist Weltkirche, ist die Mater Catholica. Menschen aus ungezählten
Nationen singen und beten. Der immer gleiche Fluss des Vaterunser durch
alle Sprachen hindurch verbindet sie zu einem gewaltigen Gotteslob.
Auch in der riesigen unterirdischen
Basilika von Lourdes haben die Kranken und Behinderten
Vorfahrt.
Stunden später liegt der riesige Bezirk vor den wuchtig hoch
geschachtelten Kirchen verlassen da. In den Kerzenständern, die eine
kleine Straße bilden, brennen noch Hunderte von Lichtern und beleben die
Dunkelheit. Eine Frau geht zur Grotte und verharrt lange im Gebet vor
der Lourdes-Madonna - ein intimer Gnadenort im gewaltig großen Bezirk.
Hier geht niemand verloren.
Besinnung, Meditation, Gebet:
Jenseits der Erscheinungsgrotte von Lourdes.
Gemeinschaft und intimes Erleben sind auch greifbar in einer der
bewegendsten Stunden der Reise am Abschlusstag bei der Eucharistiefeier
in einer kleinen Kirche im Heiligen Bezirk. Die Pilger aus dem Dekanat
sind - anders als in den vorangegangenen Tagen im Meer der Wallfahrer -
unter sich.
Vertraute Priester spenden die Krankensalbung. Während die, die sich
salben lassen möchten, in den Mittelgang treten, begleiten die Gläubigen
in den Bankreihen sie mit ihren Segenswünschen.
Einer von den Pilgern wird später sagen, noch nie in seinem Leben habe
er eine so innige Geborgenheit und reine Zuwendung erfahren wie in dem
Moment, da einer der Priester ihm die Hände auflegte und ein Gebet
sprach. Die Gläubigen begreifen unmittelbar Stärkung und Ermutigung.
Stärkung und Ermutigung - sie geschehen in Lourdes. So traut sich nach
der Messe eine junge Rollstuhlfahrerin, ihre Mitreisenden anzusprechen.
Sie bedankt sich. Das Miteinander der vergangenen Tage sei das größte
Geschenk ihres Lebens. Sie weint, ist kaum noch zu verstehen und spricht
trotzdem weiter.
Für
einen Moment geht die Frage durch den Raum, wie wohl eine Welt aussähe,
in der Menschen unvoreingenommen füreinander einstünden - nicht geteilt
in Starke und Schwache, in Helfer und Hilfsbedürftige. Sie wären
schlicht Menschen, die sich mit ihren Gaben beschenkten.
Lourdes lässt ahnen, wie friedlich und reich
diese Welt wäre.
Auf dem großen Kreuzweg in Lourdes
spendet Weihbischof Heinrich Janssen den Pilgern vom
Niederrhein den Segen.
In vielen Sprachen werden
die Gebete während der großen Lichterprozession gesprochen.
Fotos: Delia Evers, Martin Willing
Auf den Pilgerreisen durch Europa kam Autor Martin Willing mehrmals nach Lourdes. Dieses Bild wurde 1992 aufgenommen.
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© Martin Willing 2012, 2013