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Kevelaer

Wie die Gnadenkapelle entstand

Logo für FortsetzungLogo für ein Kapitel zurückGeschichtliches aus dem Wallfahrtsort Kevelaer

VON MARTIN WILLING

Gnadenkapelle KevelaerDie Gnadenkapelle ist kein kunstvoll zusammengestellter Haufen Backsteine, sondern die Schutzhülle für jenen Ort, an dem sich für einen einfachen Mann der Himmel geöffnet hat, als er im Dreißigjährigen Krieg an einem Wegkreuz innehielt und betete.

Gnadenkapelle KevelaerAn dieser Stelle fühlte sich Hendrik Busmann der Gottesmutter so nahe, dass er sie hören und verstehen konnte.

Gnadenkapelle zu Kevelaer (vom Turm der Basilika aus gesehen).
Foto: Delia Evers


Das Heiligenhäuschen, das er baute, wuchs über seine Funktion als Schutzhülle weit hinaus und wurde zu einem Teil des Mirakels, als Mechel Schrouse, Busmanns Frau, das Bild der Consolatrix afflictorum in ihrer pfingstlichen Vision sah - nicht irgendwo oder losgelöst, sondern in eben diesem Heiligenhäuschen, das ihr Mann zu bauen sich anschickte.

Als 1654 um das Heiligenhäuschen herum die uns bekannte Gnadenkapelle entstand, übertrug sich die geistliche Bedeutung des Ursprungsbaues als Schutz des von Maria auserwählten Ortes auf die neue Kapelle. Sie wurde gestalterisch dem Vorbild der Kathedrale zu Scherpenheuvel nachempfunden, jener Wallfahrtskirche, die Albert und Isabella, die in Brüssel residierenden Regenten des spanischen Königs, 1607 in Auftrag gegeben hatten. In Scherpenheuvel wirkten Priester, die in einem Oratorium nach den Regeln des hl. Philipp Neri klösterlich lebten; sie wurden später auch nach Kevelaer entsandt, um hier die Marienwallfahrt aufzubauen und das Heiligtum zu schützen.

Es war wie ein Kreis, der sich nun schloss: Aus dem Holz einer Eiche in Scherpenheuvel, an der eine wundertätige Marienstatue stand, hatte Isabella Madonnenfiguren schnitzen lassen; eine davon wurde zum Gnadenbild der Trösterin der Betrübten zu Luxemburg, und ein Abbild der Luxemburg-Madonna wurde zum Gnadenbild von Kevelaer.

Durch den Kapellenbau von 1654 wurde am Ursprungsort des Gnadenbildes nichts verändert. Es befindet sich noch heute an der Stelle, an der es 1642 eingesetzt wurde. Einen ersten, hölzernen Altar erhielt die Gnadenkapelle 1663, und zwar an der Rückseite des Busmannschen Bildstocks. Ein Jahr danach wurde eine vergoldete Silbereinfassung des Gnadenbilds eingebracht, eine Stiftung aus s’Hertogenbosch und Eindhoven. Bis dahin klebte das Papierbild ungerahmt auf der Holzplatte, die Busmann hatte schneiden lassen.

Die ursprüngliche Anmutung des Kapellenplatzes veränderte sich 1690, als ein Steinpflaster aufgebracht und eine Mauer um die Kapelle errichtet wurde. Mit dem durchbrochenen Schmuckgitter, das heute die Kapelle abgrenzt, wird also an die Gestaltung von 1690 angeknüpft.

Nicht Kriege gefährdeten die Gnadenkapelle am bedrohlichsten, sondern ein trockener Staatsakt. Als 1802 unter französischer Besatzung die Klöster aufgehoben und ihre Besitztümer verstaatlicht wurden, da geriet die Gnadenkapelle, über die das nun aufgelöste Oratorium (Priesterhaus) seit Anbeginn gewacht hatte, in die Verfügungsmasse napoleonischer Beamter. Sie schlossen am 4. Juli die Kapelle ab und versiegelten sie - aus und vorbei. In den Augen der Besatzer war sie nicht mehr als eine von Tausenden Immobilien.

Aus Kleve und Goch eilte Hilfe herbei: Stadtvertreter unserer Nachbarn intervenierten bei der Departementsbehörde so heftig, dass die Gnadenkapelle einen Tag später wieder aufgeschlossen wurde. Diese Öffnung erlebten Pilger aus Amsterdam, die nichts ahnend nach Kevelaer gereist waren, live mit. Ab dem 2.7.1806 erlaubten die Franzosen, sowohl in der Gnadenkapelle als auch in der Kerzenkapelle wieder Gottesdienste zu feiern. Gleichwohl blieb die Kapelle zunächst Staatseigentum Frankreichs. Durch geschickte Verhandlungen erreichte der nunmehr zuständige Bischof von Aachen, dass mit Wirkung zum 1.7.1807 das ehemalige Orator-Haus (Priesterhaus) als Wohnung für den Kevelaerer Ortsgeistlichen und alle im Dienste der Kapellen angestellten Priester frei gegeben wurde - zugleich mit den ehemals unter klösterlicher Aufsicht stehenden Kapellen. Damit war neben der Kerzen- auch die Gnadenkapelle vor dem Zugriff des Besatzerstaates gerettet.

1874 wurde der hölzerne Altar der Gnadenkapelle durch einen aus Marmor ersetzt. Auch das alte Heiligenhäuschen wurde mit Marmor verkleidet, nur der Gedenkstein Busmanns und seiner Frau blieb ausgespart. Friedrich Stummel malte 1888 die gewölbte Decke mit Szenen aus der Lauretanischen Litanei und aus dem Marienleben auf Goldgrund mit reicher Ornamentik aus. 1880 wurde das Gitter vor dem Gnadenbild zum Teil vergoldet. 1889 folgten Schmuckgitter vor den ovalen Fenstern, geschmiedet nach Zeichnungen von Stummel. Im Vorfeld der 250-Jahr-Feier (1892) der Einsetzung des Gnadenbilds ließ man die Mauern der Gnadenkapelle mit Mörtel verkleiden und teilweise marmorieren.

Seit 1903 leuchten an Festtagen auf der Kuppel elektrische Lämpchen. 1925 wurde ein vergoldetes Kupferkreuz aufgesetzt, dem eine Bekrönung mit kleinen Lampen gestiftet wurde. Erst 1927 wurde die Gnadenkapelle in die Liste der zu schützenden Baudenkmäler im Kreis Geldern aufgenommen. 1978 begann eine gründliche Renovierung der Kapelle, bei der die verrußten Wandbilder aufgefrischt wurden.

Die Gnadenkapelle ist für die Kevelaerer seit Anbeginn ein besonderes sakrales Zuhause, das den Ort bestimmt, wo sie sich der Gottesmutter ganz nahe fühlen dürfen. Das war auch im Herbst 1944 so, als Gläubige begannen, sich abends in der Dunkelheit vor der Gnadenkapelle zu versammeln, um „Unter Deinen Schutz und Schirm“ zu fliehen. In diesen Brandandachten wuchs die Zuversicht, dass Kevelaer und sein Heiligtum im Krieg nicht zerstört würden; so trat es ein.

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© Martin Willing 2012, 2013