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ISRAEL (3)

Lobe den Herrn, meine Seele

Mit Bischof Reinhard Lettmann im Heiligen Land (2004)

Pilger vom Niederrhein und aus dem Münsterland erkundeten mit Emmaus-Reisen der Diözesanpilgerstelle Münster das heilige Land. Mit Bischof Dr. Reinhard Lettmann gingen sie auf den Spuren Jesu und kamen der frohen Botschaft nahe.

Wir erleben unseren letzten Abend in Galiläa und fahren Serpentine um Serpentine hoch ins östliche Gebirge zum Aussichtspunkt Neve Shalom. Tief unter uns breitet sich der See Genezaret aus. Wir sehen ihn ganz. Wie eine Harfe liegt er im abendlichen Tal. Lichtreflexe sind übers Wasser geschüttet, und für einen Moment wissen wir nicht, ob der Himmel die Harfe beleuchtet oder die Harfe den Himmel.

Weiter südlich, auf dem Berg Nebo, hat einst Mose gestanden und im Westen das selbe Land gesehen, das „auf Geheiß einer gewaltigen Stimme seinem Volk gehören sollte". Er sah Galiläa, die Berge Ephraim, das Bergland von Judäa, den Negev, das Jordantal und, unmittelbar vor dem Berg Nebo, das Tote Meer. Sein weiter Ausblick umfasste das Land, auf das die Juden bis heute Anspruch erheben. Vor uns öffnet sich oben auf dem Aussichtspunkt das obergaliläische Gebirge, das uns seit unserer Ankunft mit Schätzen beschenkt: denen der Landschaft und denen des Evangeliums.

Im Westen hinter dem Berg Tabor fällt die Sonne schnell. In wenigen Minuten senkt sie sich hinter die Kuppe und blitzt noch einmal auf wie ein Edelstein, eingefasst in die Dunkelheit der anbrechenden Nacht.

Oben, auf unserem Aussichtspunkt, ist es noch hell. Eine Mitpilgerin hat Geburtstag. Dankbar für die vorangegangenen Tage wünscht sie sich ein Lied. „Lobe den Herrn, meine Seele". Wie oft haben wir diesen Kanon gesungen! Wir heben an.

Unsere Gruppe ist nicht allein auf der Plattform. Es ist Shabbat. Viele Juden beschließen über dem See ihren freien Tag. Sie lauschen und kommen näher. Eine Israelin fragt: „Was haben Sie gesungen?"

„Ein Ständchen!"

Schon sammeln sich die Juden und stimmen ein Segenslied an, orientalisch fremd, dann die letzten Töne, wir stehen nebeneinander, erwartungsvoll, Juden und Deutsche. Eine Jüdin hebt wiederum zu singen an. Hava Nagila. Sekunden später fassen wir uns unter und tanzen den weltberühmten Tanz. Wir singen für den Frieden. Hevenu Shalom Alechem. Dann stehen wir atemlos beinander, gerührt vom Zauber der Begegnung. Wenige Minuten zuvor, als die Sonne sich senkte, haben wir gedankt für die Natur, die von vielen Völkern angebetet wird wie Gott selbst. Doch Gott ist größer als seine Schöpfung. Die untergehende Sonne, Tanz und Gesang lassen uns staunen, atemlos aber macht uns die Ahnung, dass wir in ihnen Gottes Liebe fühlen. Noch im Bus schweigen wir.

Foto zeigt Bischof Lettmann in IsraelDann sehen wir blinkende Lichter am nordwestlichen Seeufer: Es sind die Laternen zwischen Palmen und Ziturshainen am Pilgerhaus Tabgha, unserem Domizil während der Tage in Galiläa, getragen durch den deutschen Verein vom heiligen Lande.

Bischof Dr. Reinhard Lettmann feiert die heilige Messe am See Genezaret. Fotos: Delia Evers

Hier haben wir am frühen Morgen ein Ereignis gefeiert. Einer aus unserer Gruppe ist aufgeregt, ein gestandener Mann, 55 Jahre alt, seit wenigen Tagen Katholik; während der Reise hat er sich entschieden, Bischof Reinhard Lettmann um das Firmsakrament zu bitten.

Feierlich zieht unsere Gruppe vom Pilgerhaus den kleinen Hang hinunter zum See. Ein großer Stein liegt ganz für sich und lädt dazu ein, Altar zu sein. Tage zuvor hat Lettmann augenzwinkernd erklärt, es sei geradezu unabweisbar, dass Jesus auf diesem Stein mit den Jüngern gejaust habe. Uralte Bambusstauden schützen den Block zum Land hin. Ihre Kronen treffen sich weit oben zu einem Dach, der See schimmert ruhig, Schilf schwankt sacht im Wind und mit ihm ein Eisvogel. Er wartet auf die Zeremonie. Die aufsteigende Sonne wärmt sein Gefieder.

Der Bischof predigt über den Mut, auch den kritischen Mut, nicht den mäkelnden, stärkt den Firmling und uns, unseren Glauben in die Welt zu tragen, „denn das Salz muss in die Speise".

Firmung in IsraelAls Lettmann den Firmling mit Crisam salbt und sekundenlang den Kopf zwischen seine Hände nimmt, steht der gestandene Mann erschüttert da.

Bischof Reinhard firmt einen der Mitpilger.

In Galiläa gehen unsere Erlebnisse immerzu neue, weiternde Bindungen ein. Die untergehende Sonne belichtet den Schauplatz unserer Begegnung mit den Juden. Der Naturaltar wird zum Eckstein der Firmung. Auf unseren Wanderungen über den Karmel, durch das Taubental und den Quellgrund der Jordanflüsse wandert unsere Vorstellung mit, wie Jesus gestanden, gesprochen und gewirkt hat. Wir werden seine Mitgänger, und es ist unwichtig, in welcher Zeit wir unterwegs sind und ob wir genau den Pfad treffen, den er gegangen ist.

Lebendig ist er überall am See. Durch sengende Hitze wandern wir zur Brotvermehrungskirche im Palmengarten in Dalmanutha. Hier hat er vor den 5000 Menschen fünf Brote und zwei Fische vermehrt; nur vier Brote erinnern auf einem Mosaik in der Kirche an das Wunder. Wir durchwandern einen blühenden Garten, wir staunen über Früchte und Blüten an einem Zweig, orangefarben die einen, lavendelfarben die anderen, Schmetterlinge überholen uns, ein kleiner Wasserlauf geht mit, unten am spiegelglatten See finden wir einen einfachen Feierplatz für unseren Gottesdienst. Der Bischof deutet uns das fehlende fünfte Brot als Leib des Herrn, bereitet auf dem Gabentisch. In diesem Moment eilen vom bislang spiegelglatten See leise Wellen heran. Eine mitreisende Ordensschwestern sagt später: „... als wenn sie am Geheimnis teilhaben wollten".

Der junge geistliche Begleiter der Reise, Stefan Böntert, sagt: „Nicht nur wir empfangen den Herrn. Auch er empfängt uns."

Ist es diese frohe Wahrheit, die uns in Israel auf einen anderen, an Aussicht reichen Standpunkt stellt?

Hier liegt alles nah beieinander: Kana, der Ort des ersten Wunders und des großen Satzes von Maria: „Was er euch sagt, das tut!" - ihre frühe Einladung zur Nachfolge Christi. Nazareth, die Stadt der Verkündigung, ist einen Steinwurf weit entfernt. Pastor Georg Brücker predigt über das bedingungslose Ja Marias an Gott: „Mir geschehe nach deinem Wort".

Foto zeigt entspannten Bischof LettmannSo entspannt war Reinhard Lettmann in Israel.

In Galiläa, in der friedlichen Heimat Jesu, scheint vieles leichter, einfacher. Bei einer Bootsfahrt über den See schwankt in der leichten Dünung an Deck ein abgeschabter Holzstuhl mit. Lettmann erhebt ihn zum Altar. Licht, Kelch, Brot und Wein nehmen auf ihm Platz. Der Bischof predigt über den Sturm auf dem See, die ängstlichen Jünger und Jesu Frage: „Was fürchtet ihr euch?"

Lettmann gibt die Antwort: „Jesus ist bei uns. Er beruhigt die Stürme. Wir dürfen darauf vertrauen."

Ein anderes Mal wandern wir auf den Berg der Seligpreisungen. Pfarrer Engelbert Kreft legt uns begeistert und kraftvoll jede Seligpreisung aus. Viele verstehen die uralten, schweren Sätze zum ersten Mal.

Hier in Galiläa liegt uns alles zu Füßen. Wir gehen auf den Wirkstätten Jesu. In Bethehem und Jerusalem hingegen, im zweiten Teil unserer Reise, ist jeder heilige Ort geschützt zwar, aber verborgen unter riesigen Steinkirchen. Alles ist mächtig, beladen und überreich an Schmuck und Kunst. Die Wege, die wir in Galiläa genossen haben - hier sind sie unzugänglich. Wir wandern nicht mehr sehend, staunend, fühlend, fast scheint es nach der Ruhe in Galiläa so, als eilten wir nun von Stätte zu Stätte.

Dabei haben wir Glück. Jerusalem und Bethlehem sind bei weitem nicht so voll wie noch vor Jahren. Überall bekommen wir Platz und Einlass. Wir erfahren hautnah, dass die Welt hier nicht heil ist; die Mauer der Israelis wächst, wir spüren Unfrieden und unheilige Politik. Und doch kennt unser Aufenthalt in Bethlehem und Jerusalem, den wundersamen Orten von Weihnachten und Ostern, gleich kostbare Momente wie in Galiläa, vor allem als wir in der Auferstehungskirche in kleiner Runde unseren Gottesdienst feiern. Der Bischof singt aus vollem Herzen, in einem einzigen Atemzug, tief gerührt und mit erhebender Kraft das österliche Halleluja.

Ein Mitpilger weint. Vielen hat sich auf dieser Reise Gepäck gelöst.

Delia EversSpäter singen wir es wieder. „Lobe den Herrn, meine Seele, und seinen heiligen Namen. Was er dir Gutes getan hat, Seele, vergiss es nicht. Amen".

Die Autorin dieses Beitrags: Nach vier Israel-Pilgerreisen kennt sie den Gruß: „Nächstes Jahr in Jerusalem!"

Ob die Juden auf dem Aussichtspunkt über Galiläa gespürt haben, dass wir „ihr" Lied gesungen haben? Ein paar Verse aus einem 3000 Jahre alten jüdischen Psalm, gedichtet von König David? Über seinem Bett soll eine Harfe gehangen haben. Wenn um Mitternacht der Wind umschlug, habe der Luftzug die Saiten der Harfe zu einem Lied bewegt. David sei aufgewacht und habe bis zum Morgengrauen mit Gott gesprochen.

Ob ihm dabei die Verse in den Sinn kamen, die Juden und Deutsche 3000 Jahre später zusammenführten?

Delia Evers

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© Martin Willing 2012, 2013