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Mit geschönten Erfolgsmeldungen wurde ein falscher Erwartungshorizont aufgebaut

Klassische Konzertreihe darf nicht sterben

Kann, soll oder muss die Stadt Kevelaer auf die Reihe "Klassische Konzerte" künftig verzichten? Sind geringe Besucherzahlen und dürftiger "Kostendeckungsgrad" zwingende Argumente für das drohende "Aus" der Reihe? Wer die Historie der städtischen Konzertreihe, die 1987 eingeführt worden ist, analysiert, kommt zu einem Schluss, den die Kultur-Verantwortlichen in Kevelaer nur mit Missvergnügen zur Kenntnis nehmen werden: Die Konzertreihe soll jetzt Opfer der eigenen, internen Fehler werden. Mit geschönten Erfolgsmeldungen waren in den 1990er-Jahren falsche Erwartungen geweckt worden.

Das Kulturbüro hatte jahrelang mit ihren "Es läuft hervorragend"-Nachrichten im Kulturausschuss den Eindruck erweckt, als könnte es mit der Konzertreihe wie mit der erheblich besucherstärkeren Theaterreihe immer weiter aufwärtsgehen. In Wirklichkeit war das Zwischenhoch Anfang der 2000er-Jahre durch die Justus-Frantz-Konzerte hochgepuscht. Die nun im Jahresschnitt traumhaft gestiegenen Besucherzahlen wurden zur Messlatte für die Konzertreihe, deren gewöhnliche Besucherzahlen ohne die "Frantz-Knüller" sehr viel geringer ausfielen. Statt zu erkennen, dass dies der "Normalzustand" eines städtischen Kulturangebots ist, wurde die Konzertreihe nach Abklingen des Zwischenhochs mit dem Makel behaftet, immer unangenehmere Verluste einzufahren, und das bei stetig sinkenden Besucherzahlen.

Wie alles anfing

Mit der Errichtung des Konzert- und Bühnenhauses (1966) verfügte die Stadt erstmals über einen eigenen "Kulturtempel", der mit seinem Orchestergraben von Anfang an auch für große Musikveranstaltungen konzipiert war. Das Angebot von Opern und Konzerten wurde von der damaligen Amtsverwaltung Kevelaer ausdrücklich betont, wenn sie der Regierung die städtischen Leistungen schilderte. Die Stadt bezahlte 1968 sogar einen kostenlosen Besucher-Fahrdienst: Omnibusse brachten interessierte Besucher aus jedem Ort im Kreis Geldern nach Kevelaer zum Konzert- und Bühnenhaus.

Bei einer Umfrage 1986 unter den Kulturfreunden in Kevelaer bezeichneten fast 40 Prozent der Befragten das bisherige Kulturangebot als "gut", 59 Prozent als "zufriedenstellend", 1,4 Prozent als "schlecht". Dabei kam heraus: Die meisten Abonnenten des Kulturrings wünschten sich "mehr Opern, Operetten und Musicals". Aber nur 22 Prozent zeigten sich an Symphonie- oder Kammerkonzerten interessiert. Fast 73 Prozent sagten dazu "Nein".

Manfred JacobsTrotzdem setzte sich im Juli 1987 der Vorsitzende des Kulturausschusses, Manfred Jacobs (CDU), mit seinem Vorschlag, eine Reihe für klassische Musik aufzulegen, durch. Der frühere Stadtdirektor Dr. Karl-Heinz Röser, der im Kulturausschuss als sachkundiger Bürger mitarbeitete, hielt das Projekt zunächst für einen Fehler. Er fürchtete, das hervorragend angenommene Theaterprogramm der Stadt könne durch die neue Reihe "verwässert" werden.

Manfred Jacobs: Initiator der Konzertreihe.

Die Konzertreihe fand einen schmalen, aber festen Besucherstamm und kam - wie überall in kleinen Kommunen - nie aus dem Zustand heraus, von hohen Zuschüssen abhängig zu sein. Kulturausschussvorsitzender Jacobs mahnte immer wieder versprochene Hilfsmaßnahmen an, so auch 1994, als er Stadtdirektor Heinz Paal daran erinnerte, dass der Ausschuss beschlossen habe, bei Großkonzerten im weiteren Umfeld für interessierte Jugendliche einen Bus einzusetzen, was aber nicht geschehen sei. Paal erwiderte, das sei nur eine Anregung ohne Verpflichtung gewesen.

Heinz PaalPaal legte 1994 dem Ausschuss ein Werbekonzept für die defizitäre Klassische Konzertreihe vor. Die Stadt versuche, die Zeitungen für eine umfangreichere und qualifiziertere Berichterstattung zu gewinnen. Bezahlte Werbung scheide aus Kostengründen aus. Die Stadt werde mit Handzetteln Kulturinteressierte auf das Angebot aufmerksam machen. Manfred Jacobs ergänzte, es sei für die Atmosphäre im Konzert- und Bühnenhaus sehr wichtig, dass mindestens 250 Besucher den Saal füllten. Deshalb solle man lieber "Ehrenkarten" verschenken, als die Musiker vor leeren Sitzreihen auftreten zu lassen.

Heinz Paal: Mit Handzetteln werben.

Solche Unterstützungs- und Rettungsversuche für die Konzertreihe, deren Kostendeckungsgrad 1995 bei nur zehn Prozent lag, wiederholten sich in den folgenden Jahren. Manfred Jacobs, der mit Einsatz für "seine" Konzertreihe kämpfte, brachte 1995 erstmals die Idee ins Spiel, Sponsoren für die Reihe zu gewinnen. Dafür wurde eigens ein Arbeitskreis gebildet, dem die Politiker Manfred Jacobs (CDU), Peter Kasper (SPD), Heinz Lamers (KBV) und Elisabeth Fischer (Grüne) angehörten.

1996 trat dann eine grundlegende Änderung ein: Der gesamte Aufgabenbereich Kultur, bisher bei Heinz Goemans im Kulturamt angesiedelt, wurde in die Zuständigkeit der Wirtschaftsförderungsgesellschaft mit Hans-Josef Kuypers an der Spitze übergeben. Damit hatte sich Kuypers auch um die notleidende Konzertreihe zu kümmern. Er griff die Jacobs-Idee auf und gewann ein Autohaus und eine Galerie als Sponsoren, die zusammen 6.000 Mark in die Kasse brachten.

Hans-Josef Kuypers: Ins rechte Licht gerückt.

Unter dem PR-Fachmann Kuypers wurde das ständige Klagen über zu wenige Besucher und zu hohe Defizite beendet. Nun hörte man jahrelang hauptsächlich von Erfolgen, die der geübte Profi für nach innen gerichtete Public relations ins rechte Licht zu rücken verstand.

1997 meldete die Reihe eine tatsächlich spektakuläre Steigerung der Gästezahl: Fast eine Verdopplung sei es gewesen, verkündete die WfG - in absoluten Zahlen: Statt 70 Besuchern nun 130. Darunter befanden sich allerdings auch Konzertfreunde, die ihre Karten geschenkt bekommen hatten. So versorgte beispielsweise das Standesamt ab 1996 Brautpaare mit einem Abo-Gutschein. Und später - 2000 - verloste Miranda Janssen vom Kulturbüro in der Luxemburger Galerie am verkaufsoffenen Sonntag bis zu 200 Konzertkarten.

Einen Rückschlag brachte 2000 der Abschied vom Ensemble NiederRhein, für das eine große Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ausgelaufen war. Mit dem Ensemble fielen auch Dutzende von Konzertgästen aus. Ob der Schnitt von 157 Konzert-Besuchern künftig zu halten sein würde, war eher fraglich. Unzweifelhaft war dagegen die defizitäre Lage: 50.000 Mark hatten die Konzerte zuletzt gekostet, 13.000 Mark waren als Einnahmen in die Kasse geflossen.

Trotzdem sprach 2001 die WfG in einer Verwaltungsvorlage für den Kulturausschuss wieder von neuen Erfolgen: "... positiv entwickelte sich die Klassische Konzertreihe der Stadt Kevelaer. Nach einer durchschnittlichen Besucherzahl von 114 Personen in der Spielzeit 1999/2000 interessierten sich im Jahr 2000/2001 nunmehr 130 Konzertbesucher für die Angebote des Kulturbüros."

Justus Frantz und Orchester
Mit Justus Frantz schnellten die Besucherzahlen der Konzertreihe hoch.

2003 hörten die Ausschussmitglieder erfreut von "durchschnittlich 190 Besuchern im Jahr": Das attraktive Justus-Frantz-Konzert hatte die Zahlen nach oben schnellen lassen und den Jahresdurchschnitt hochgeschönt. 2005 trat die Krönung ein: Nun lag der Besucherschnitt sogar bei rund 265 Gästen - allerdings wiederum erreicht hauptsächlich durch einen Frantz-Auftritt im Konzert- und Bühnenhaus. Kuypers sprach von einem "wahren Ruck im Bereich der Klassischen Konzertreihe", der "auch" Justus Frantz zu verdanken sei.

Ende 2006 - inzwischen hatte Ruth Keuken Kuypers als Chef der WfG abgelöst - sackte der Besuch der sechs angebotenen Konzerte auf durchschnittlich 161 Besucher ab. Kevelaer hatte seinen "Normalzustand" wiedergefunden. Keuken musste fortan mit einem Zusatzproblem kämpfen: Konzertfreunde verzichteten immer mehr auf den Kauf von Jahres-Abonnements und lösten lieber Einzelkarten. Sie wählten also gezielt aus, was auf Kosten der Gesamtbesucherzahl ging.

Bis 2012 sanken die Zahlen noch tiefer, so dass es dem Stadtkämmerer Ralf Püplichuisen leichtfiel, in sein vorgeschlagenes Streichkonzert von rund einer Million Euro, die 2013 eingespart werden müssten,  auch den "kleinen Fisch" - die klassische Konzertreihe - einzubauen.

Warum die Konzertreihe gerettet werden muss

Nun ist sie hochgradig gefährdet. Die Klassische Konzertreihe ist zum leichtgewichtigen Abschusskandidaten geworden, weil sie von der WfG-PR nicht mehr als aufsteigender Sieger gefeiert werden konnte und nun als Verlierer dasteht. Und mit Verlierern lässt sich kein Staat machen.

In Wirklichkeit war die Konzertreihe nie ein Sieger und ist nach wie vor auch kein Verlierer. Sie ist Teil der "weichen Standortfaktoren" einer Kulturstadt wie Kevelaer, von dem jeder Kulturfachmann in Deutschland weiß, dass er immer mehr Geld kostet als er einspielt.

Der Stadtrat entscheidet Anfang des nächsten Jahrs nicht nur über einen Zuschussposten, sondern über die Grundsatzfrage, ob Kevelaer sein Angebotsniveau absenken sollte. Es ist verführerisch: Leichtgewichtige Kultur ist populär, trifft den Massengeschmack und lässt die Kasse klingen. Das Geschäft ist leicht, die Folgen aber wiegen schwer: Sie beschädigen die Identität, die sich im Stadtslogan "unverwechselbar" ausdrückt.

Samstag, 24. November 2012

© Martin Willing 2012, 2013