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Holzschnitzer in Kevelaer | * 1888 | † 1962
Der
Holzbildhauer lebte und arbeitete 43 Jahre in Kevelaer. Bis 1944 wohnte
er an der Venloer Straße; seine Werkstatt war im hinteren Teil. Später
lebten Fritz Tiemann und seine Frau Adelgunde (geb. Hegger aus Wetten)
in einem kleinen Haus an der Basilikastraße, dort, wo früher die
Apotheke war. Zeitzeugen aus Kevelaer geben Einblicke in das Leben von
Adelgunde und Fritz Tiemann. Über den Künstler war bis Mitte der
2000er-Jahre fast nichts überliefert.
Ingeborg Cürvers berichtet:
„Fritz Tiemann war bei meinem Großvater Hermann Rauers Geselle. Er hatte seine Schreinerei an der Amsterdamer Straße. Tiemann schnitzte für > Neuy und für die Bauern Teller und Reliefs. Die Tiemanns waren einfache, liebe Leute. Sie hatten nur sich. Sie waren ganz bescheiden und hatten nicht den Ehrgeiz, reich zu werden. Sie lebten an der Schulstraße 1 im Haus meiner Großeltern. Aus dieser ganz kleinen Wohnung strahlte immer eine besondere Wärme. Da hörte man nie ein lautes Wort, und es war immer lecker gekocht.“
Regina Janssen (73) aus Berlin:
Ihr Vater Johann Lambert Janssen ist gebürtiger Kervenheimer und bereits in den 20er-Jahren erst nach München und dann nach Berlin gezogen. Regina Janssens Onkel Theodor war mit Agnes Hegger, der Schwester von Tiemanns Frau, verheiratet. In den Jahren 1941/42 kam Regina Janssen als Kind nach Kervenheim, um Ferien zu machen. 1943 blieb sie beinahe ein Jahr. Regelmäßig besuchte sie die Tiemanns in Kevelaer. „Onkel Fritz war ein lieber, reizender Kerl. Bis 1944 hat er an der Venloer Straße gewohnt. Seine Werkstatt war im hinteren Teil. Ich durfte Laubsägearbeiten anfertigen und war sehr stolz. Tiemann half nach dem Krieg, die Nikolai-Kirche in Kalkar zu restaurieren. Tante Gunna war die Intelligenteste. Über den Tod ihres Mannes war sie sehr traurig.“
Adolf Maas vom Hegerathsweg in Kevelaer hat in seinem Haus Möbel, die Fritz Tiemann verzierte. Maas’ Tante aus Wetten war eine Schwester von Adelgunde Tiemann. Über Fritz Tiemann sagt er:
„Er war ein patenter Kerl, ruhig und mit allem zufrieden. Er erzählte gerne und arbeitete viel für die Kirche.“
Agnes Hallmann von der Mozartstraße in Kevelaer kannte das Ehepaar als ‘Onkel und Tante Tiemann’. Ihre Mutter Mechthilde Zwiest hatte Adelgunde Tiemann während des Zweiten Weltkriegs in der NS-Frauenschaft kennen gelernt:
„Fritz Tiemann war kein streitsüchtiger Mann. Man konnte alles mit ihm bereden“, sagt Agnes Hallmann (79). Nie sei er Fahrrad gefahren, immer sei er zu Fuß unterwegs gewesen. „Wo man sich traf, hat man auch geschwatzt.“ Sie erinnert sich an die bescheidenen Verhältnisse, in denen die kinderlosen Tiemanns an der Basilikastraße lebten. Sie seien dennoch zufrieden gewesen.
Horst Leskau (76), er lebt Am Kropp in Kevelaer, lernte Fritz Tiemann 1953 kennen.
„Ich habe früher gezeichnet“, berichtet er. Eine Skizze zeigte er dem Künstler > Theo Kauertz, der zusammen mit Helmut Wirtz und einem weiteren Künstler in einer Werkstatt an der Busmannstraße (in der Nähe vom heutigen ‘Mutter und Kind’) arbeitete. „Du wirst hier nichts“, habe Kauertz ihm gesagt, „du zeichnest zu fein.“
Leskau fasste den Entschluss,
Ornamentiker zu werden. Helmut Wirtz knüpfte den Kontakt zu Fritz
Tiemann, der den jungen Leskau drei Jahre lang ausbildete. „Die Tiemanns
waren sehr, sehr nette Leute“, sagt Leskau. „Sie waren überfreundlich,
aber unsere Kinder wollten in ihrem Haus nicht sein, weil es darin so
dunkel war“, erzählt Gisela Leskau.
Die
Tiemanns lebten zu der Zeit in einem kleinen Haus an der Basilikastraße,
dort, wo früher die Apotheke war. Seine Werkstatt hatte der
Holzbildhauer an der Hauptstraße im Hinterhof des heutigen Geschäfts
Heckens. „Da führte eine kleine Stiege hoch“, erinnert sich Gisela
Leskau. „Ich habe mich immer gefragt, wie ein Mensch dort arbeiten
kann.“
Horst Leskau: viel gelernt bei seinem Chef Fritz Tiemann.
Horst Leskau war
beeindruckt vom künstlerischen Geschick seines Chefs: „Er hat mal ein
Kirchenfenster geschnitzt. Er brauchte für einen Zentimeter eine
Stunde.“ Das Fenster sei wunderschön geworden. „Manchmal hat er
Elefantenfüße gehabt vom vielen Stehen. Für mich war er schon ganz früh
ein ganz alter Mann“, sagt Gisela Leskau. Seinen Lebensunterhalt
verdiente Tiemann, indem er für Firmen zum Beispiel das INRI in
Kreuze einschnitzte. „47 Pfennig bekam er für solch ein Kreuz.“ Manche
Firmen hätten Tiemann regelrecht ausgebeutet. Sie hätten die Gegenstände
bei ihm billig erworben, um sie für den dreifachen Preis in ihren
Schaufenstern auszustellen und weiterzuverkaufen.
„Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so arm war“, sagt Gisela
Leskau. Beinahe alle Kevelaerer Künstler hätten in ihrer Heimatstadt
nichts werden können. „Theo Kauertz kam morgens und hat nach einem
Butterbrot gefragt oder nach etwas Tabak für seine Zigarette.“
„Privat sind Tiemann und ich zusammengekommen, weil ich für seine
zuckerkranke Frau hinter Lüllingen beim Förster Göpfert einen Tee aus
verschiedenen Kräutern holte“, sagt Leskau. Und freitags seien Tiemann
und er zu Stassen gegangen. „Wir tranken zwei Bier und zwei ‘Gemürte’.
Er spielte ein bisschen Billard. Das war sein einziges Hobby.“
Fritz Tiemann starb am 29. August 1962. „Er hatte eine Grippe gehabt“,
sagt Leskau. Als er sich etwas besser gefühlt habe, sei er in die
Werkstatt gegangen. Seine Frau Adelgunde habe ihm einen Tee oder einen
Kaffee kochen wollen. Fritz Tiemann habe sich in einen Sessel gesetzt.
Seine Frau habe ihn fragen wollen, was ihm lieber sei, Tee oder Kaffee.
Sie habe in das Gesicht ihres toten Mannes geblickt.
Miriam Etzold (2005)