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Predigthelferin der evangelischen Kirchengemeinde Kevelaer | * 1927
Gleich
zwei Jubiläen feierte Eva-Maria Theune im Oktober 2002: Sie wurde 75
Jahre alt und beendete am Erntedankfest nach mehr als 20 Jahren ihre
Tätigkeit als Predigthelferin in der evangelischen Kirchengemeinde.
„Es gibt Dinge, die erledigen sich irgendwann von selbst. Von innen
heraus“, sagt Eva-Maria Theune, als wir sie für das Kevelaerer Blatt
besuchen. Entspannt sitzt sie in ihrem bequemen Wohnzimmersessel, ihre
13-jährige Münsterländer Hündin „Fleckchen“ döst auf dem Boden an ihrer
Seite.
Bald wird die Frau des verstorbenen ersten evangelischen Pfarrers
der Gemeinde Kevelaer,
Hans-Joachim Theune, mehr Zeit
haben: Für ihren Garten und für ihre Familie, die in ganz Deutschland
verstreut lebt. „Solange man so eingespannt ist, kann man niemanden
besuchen“, sagt sie. Sie war mehr als 21 Jahre Predigthelferin,
engagierte sich bis 2000 genau 24 Jahre im Presbyterium, vertrat über
zwölf Jahre die Gemeinde in der Landes- und acht Jahre in der
Kreissynode.
„Ich habe mich nie als Lückenbüßerin gefühlt.“ Die Gemeinde bedeutet
Eva-Maria Theune viel. Die Gemeinschaft half ihr in schweren Zeiten.
Eva-Maria Theune mit ihrem katholischen Kollegen Wilhelm van Aaken.
„Die Pfarrer gaben mir den ´Verkündigungsauftrag`, dem ich mich nicht
entziehen konnte.“ Diese Aufgabe habe ihr Leben ausgerichtet und ihren
Weg bestimmt - ein Weg, der im Jahr 1927 in Frankfurt begann.
„Ich bin eine Stockhessin“, erzählt sie. Gemeinsam mit ihrem Bruder, der
1944 als Soldat fiel, wuchs sie in verschiedenen Dörfern der Gegend auf.
„Ich liebte es, auf dem Land streunen zu können.“ Ihr Vater Hans Welcker
war Lehrer von Beruf und Mitglied der Bekennenden Kirche, was der
Familie im Hitlerregime kein leichtes Leben bescherte.
„Meine Mutter hieß Emma“, sagt Eva-Maria Theune liebevoll und lächelt.
„Ich fand den Namen schrecklich. So hießen doch nur Kühe.“
In der Nähe von Gießen besuchte Eva-Maria Theune Volks- und Oberschule.
Nach dem Krieg begann sie ihr Studium für Geschichte und Theologie in
Marburg und lernte den fünf Jahre älteren Studenten Hans-Joachim Theune
kennen und lieben. „Er war sehr einverstanden damit, dass ich auch
Ahnung hatte.“
Nachdem er sein Theologie-Examen abgelegt hatte, heirateten sie im August 1950. Theune wurde Assistent an der kirchlichen Hochschule von Wuppertal und ein Jahr später Vater von Töchterchen Cornelia. „Ich beendete mein Studium nicht. Damals hieß es, die Mädchen nähmen den Männern die Stellen weg. Ich war mit Leib und Seele Mutter.“ Die junge Familie genoss das Leben in der Nähe der Hochschule.
Das Glück dauerte zwei Jahre. Dann, 1952, bekam Theune eine eigene Pfarre in Schenkenschanz. „Das war am Ende der Welt und seine erste Aufgabe bestand darin, den Pachtzins für die Wiesen zu erhöhen, die die Kirche besaß.“
Ein Jahr später kam Tochter Christina zur Welt, dann ihr Schwesterchen Dorothea - es war ein halbes Jahr alt, als Pfarrer Theune im Oktober 1955 die neu gegründete evangelische Gemeinde in Kevelaer übernahm und mit seiner Familie in das Pfarrhaus an der Brunnenstraße einzog. Die jüngsten Töchter Angela und Claudia wurden in der Marienstadt geboren. „Im Haushalt eines Pfarrers spielt sich vieles an der Tür ab oder am Telefon. Ich leitete eine Gruppe und machte Krankenbesuche. Aber in erster Linie war ich leidenschaftliche Mutter meiner fünf Kinder“, berichtet die Großmutter von fünf Enkelkindern.
Die fünf
Töchter von Eva-Maria Theune
(v.l.): Christina (Fußball-Lehrerin, Köln), Angela (Grundschullehrerin,
Aachen), Dorothea (Krankenschwester, Freiburg), Claudia (Professorin für
Archäologie, Berlin und Wien), Cornelia (Schulleiterin, Tübingen).
Zu ihrem 80. Geburtstag (2007) erhält Eva-Maria Theune einen Liebesbrief
ihrer Tochter Angela Baker-Price. Darin heißt es u.a.:
Meine Mutter hat ein riesengroßes Herz, da passen ihre fünf Töchter,
alle Schwiegersöhne, die fünf Enkelkinder und schon einige
Schwieger-Enkelkinder hinein, die ihr alle das Liebste auf der Welt und
ihr ganzer Stolz sind. Sie vergisst keinen Geburtstag, telefoniert mit
den Mitgliedern der Großfamilie und schreibt ihnen zu Weihnachten
seitenlange Briefe. - Liebe Freunde und gute Nachbarn haben in ihrem
Herzen einen Ehrenplatz.
Ihr Herz wird traurig, wenn Menschen streiten, nur an sich denken und
den Blick auf andere verlieren. Davon hat sie zu viel erlebt. Während
ihrer Kindheit und Jugend herrschte Hitler. Daher weiß sie, wie es ist,
in einer Diktatur und im Krieg zu leben. Sie sah als Mädchen die
jüdischen Dorfbewohner verschwinden, die Gießener Synagogen nach der
Reichskristallnacht brennen, musste zur Flak und verlor ihren einzigen
Bruder, der - gerade 18 Jahre alt - an der Front in Polen starb.
Meine Mutter hat einen klugen Kopf. Sie liest jeden Tag die FAZ.
So erfährt sie, was in der Welt los ist.
Aber ihr Herz und ihren Verstand setzte sie in Kevelaer ein, wo sie seit
über 50 Jahren wohnt und sich engagiert: als erste Pfarrfrau der
Evangelischen Kirchengemeinde organisierte sie das Pfarrhaus, zog ihre
Kinder groß, machte Krankenhausbesuche und kümmerte sich um Obdachlose,
traurige Gemeindeglieder, ihre Eltern und Schwiegereltern. - Sie hat
mitgeholfen, dass sich Katholiken und Protestanten in Kevelaer gut
verstehen.
Nach dem Tod meines Vaters war sie langjährige Vorsitzende des
Presbyteriums und wurde Predigthelferin. Deshalb konnte sie mich und
meinen Mann trauen und alle Enkel taufen. Der Apostel Paulus, Martin
Luther, Shakespeare und J. S. Bach haben sie besonders interessiert,
über sie weiß sie ganz viel. - Ab und zu riefen dann die Enkel an:
„Omama, ich kapier meine Hausaufgaben nicht. Kannst du mir helfen?“
Mehr als 30 Jahre hat sie mit ihrem geliebten Klever Chor alle großen
Chorwerke in Konzerten in Kleve, Deutschland und Europa gesungen und
beim Singen Kraft geschöpft. Früher musste ich ihr immer die schwierigen
Singstellen auf dem Klavier vorspielen, dafür hat sie mit mir
Lateinvokabeln gepaukt.
Meine Mutter hat fleißige Hände: Stundenlang arbeitet sie in ihrem
Garten; er ist mittlerweile ihr privates Fitness-Studio, ihr Refugium
und ihr ureigenes Paradies.
Täglich geht sie mit ihrem Hund Rana spazieren, sie hat ihn in einem
Tierheim ausgesucht. Rana war der ängstlichste Hund auf Erden und hat
nur gezittert. Jetzt ist Rana fröhlich, weil meine Mutter sie gut
versorgt und sie viel ermutigt hat.
Meine Mutter kann gut kochen. Im Pfarrhaus hat sie oft mittags für 14
Leute gekocht. Wenn die Enkelkinder zu Besuch sind, gibt es immer
Gemüsesüppchen und Apfelpfannekuchen. In der Adventszeit fahren sie zum
Backen zu ihrer Omama, und sie kennen nun die alten Familienrezepte von
Spritzgebäck, Haselnussraute und Lebkuchen. Berühmt wurde ihr
Streuselkuchen-Doping. Vor der Kamera des ‚Aktuellen Sportstudios’
backte sie 2003 in den USA frischen Streuselkuchen, prompt wurden die
von ihrer Tochter Christina trainierten und mit dem Kuchen „gefütterten“
deutschen Fußballfrauen Weltmeisterinnen.
Doch egal, welche ihrer fünf Töchter zu Besuch ist: Auf jede ist sie
stolz, ob sie Professorin oder Grundschullehrerin ist, eine Schule oder
eine Krankenhausstation leitet. Jede hat sich ein gutes Leben aufgebaut,
und jede bekommt ein Stück Streuselkuchen und den in der Familie als
‚Mutterkaffee’ bekannten sehr starken Herzklabaster-Kaffee.
Ich bin sehr stolz auf meine Mutter. Ich bin ihr unendlich dankbar für
alles, was sie getan und mir mitgegeben hat und dafür, dass sie nach dem
frühen Tod meines Vaters durchgehalten hat.
1968 traf ein schwerer Schmerz die
Familie, der tiefe Wunden auf Dauer hinterließ: Pfarrer Theune starb im
Alter von 45 Jahren an Darmkrebs. „Wir mussten das Pfarrhaus verlassen
und wohnten zur Miete an der Wember Straße“, erzählt die Witwe. Die
Rente reichte kaum.
Als sie gefragt wurde, ob sie an der
Pestalozzi-Sonderschule
evangelische Religion unterrichten wolle, nahm sie das Angebot an.
„Finanziell lebten wir an der Grenze, und ich habe auch daran gedacht,
dass die Kinder bald das Haus verlassen würden.“
Die Ehe sei ihre Aufgabe gewesen, so habe sie die Leere mit einem Beruf
füllen wollen. Fehlende Qualifikationen holte sie in berufsbegleitenden
Lehrgängen in Köln nach und machte 1974 ihr Examen zur
Lehrer-Assistentin. Im selben Jahr zog sie in ihr eigenes Haus am
Mühlenring ein.
Nachdem Pfarrer Günther Vogt Kevelaer verlassen hatte und Pfarrer
Volker Raettig noch nicht in
sein Amt eingeführt war, übernahm Eva-Maria Theune als Lektorin
Gottesdienste. „Ich sollte eine vorgedruckte Predigt ablesen“, sagt sie.
„Aber ich hab´ die immer stark überarbeitet, bis es meine eigene war.“
Und schließlich habe ihr Pfarrer Raettig vorgeschlagen, Predigthelferin
zu werden. 1981 wurde sie als solche ordiniert und erhielt offiziell das
Recht, alle Formen des Gottesdienstes abzuhalten.
Ein Bild aus 1994 mit Eva-Maria
Theune (l.): Pfarrer André van de Bruck wird von Superintendent
Jürgen Dembek (r.) in sein Amt eingeführt.
„In all den Jahren habe ich Erfahrungen mit meinem Glauben gemacht“,
sagt Eva-Maria Theune. „Gott war für mich nicht da in schweren Zeiten.
Aber ich bin immer wieder durch sie hindurch getragen worden. Es ist
reine Gnade, dass ich durchgehalten habe. Das ist ein Geschenk. Ich habe
immer gemerkt, dass es Schritt für Schritt weiterging.“
Miriam Etzold
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