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    SACHBEGRIFFE |
Neuy, Heinrich

Bauhaus-Künstler aus Kevelaer | * 1911 | † 2003



Foto zeigt Bauhaus-Künstler Heinrich NeuyEs hat Zeit gedauert, bis einer der größten Künstler-Söhne Kevelaers in seiner Geburtsstadt angenommen wurde. Heinrich Neuy, vor 100 Jahren geboren, war bis zu seinem 80. Geburtstag eine hierzulande praktisch unbekannte Person. Ein einziges Mal taucht sein Name vor 1991 in den hiesigen Zeitungen auf, und das auch nur in der Todesanzeige für Vater Johann Neuy (1965). Der „jüngste Bauhaus-Künstler“, in Fachkreisen längst ein Begriff, wohnte und arbeitete im münsterländischen Borghorst und war Kevelaer aus dem Blick geraten.

Niemand konnte bis Mitte der 1990er-Jahre bei Wikipedia oder sonst wo im weltweiten Netz gezielt oder zufällig auf Heinrich Neuy stoßen, denn damals lag das Internet noch in Säuglingswindeln. Inzwischen findet man beim Googeln seines Namens mehr Einträge, als man an einem Tag lesen kann.

Wer 1991 den Anstoß gegeben hat, Heinrich Neuy erstmals im Kävels Bläche ausführlich zu würdigen, wissen wir nicht mehr. Das Museum als Hüter des Kevelaerer Kultur- und Kunstschatzes war es jedenfalls nicht, denn das hatte sich nicht - wie auch sonst niemand in Kevelaer - frühzeitig um den großen Künstler gekümmert. Birgit Pauli-Heijnen, damals für das KB tätig, besuchte Heinrich Neuy in seinem Elternhaus, wo er mit seiner Familie - zwei Töchtern, sechs Enkeln und vier Urenkeln - seinen 80. Geburtstag feierte. Er erzählte der KB-Autorin von alten Zeiten, als ihn seine Mutter zu Maler Josef Pauels (Maasstraße) schickte, damit er die Kunst des Malens und Zeichnens erlerne.

Heinrich Neuy, den das Bauhaus-Ideal einer Verbindung von Architektur, bildender Kunst und Handwerk faszinierte, erfuhr 1933 das krasse Gegenteil von der Freiheit des Gestaltens und der Gedanken: Das Lehr- und Forschungsinstitut Bauhaus in Dessau (Thüringen) wurde zwangsgeschlossen. Niedergeschmettert von solchem Banausentum, erkannte Heinrich Neuy, dass alles, was er malte, baute und dachte, nicht angewendet werden konnte. Um ein Einkommen zu erwirtschaften, reaktivierte der Künstler seine Tischlerfähigkeiten, erwarb den Meisterbrief und baute sich - inzwischen war die Nachkriegszeit angebrochen - eine Existenz in der Tischlerwerkstatt seines Schwiegervaters in Borghorst auf.

Foto zeigt ein Kunstwerk von Heinrich NeuySeit dem KB-Bericht von 1991 zum 80. Geburtstag ist Heinrich Neuy in Kevelaer präsent, denn von da an erinnerte das KB in der Rubrik „Persönlichkeiten“ regelmäßig an den Meister. Als im Herbst 1998 das erste von drei Büchern „Kevelaerer Persönlichkeiten“ kurz vor dem Abschluss stand, riefen wir Heinrich Neuy in Borghorst an, weil kein ansprechendes Porträtfoto von ihm aufzutreiben war. Der hochbetagte Künstler schrieb uns am 9. November 1998 einen Brief (s. o.) und wies auf zwei Fotos in dem gerade erschienenen Buch „Heinrich Neuy, Retrospektive“ hin. Das von ihm favorisierte Foto, 1996 von Carla Meyer aufgenommen, sehen Sie am Kopf dieser Seite.

Eines der Werke von Heinrich Neuy.

Seitdem ist mehr als ein Jahrzehnt ins Land gezogen. Heute pflegen verdienstvolle Ehrenamtliche in Kevelaer das künstlerische Erbe von Heinrich Neuy. Der Neuy-Kunst-Verein und das Heinrich-und-Karl-Neuy-Haus garantieren dafür, dass Karl Neuy und sein großer Bruder Heinrich nicht mehr vergessen werden.


Ad personam:
In Kevelaer geboren, studierte Heinrich Neuy nach Abschluss seiner Tischlerlehre Innenarchitektur an der Kunstgewer-beschule Krefeld. Dann folgte er dem Ruf des Bauhauses Dessau, der Hochschule für Gestaltung. Am Bauhaus studierte er Werklehre bei Josef Albers, künstlerische Gestaltung bei Wassily Kandinsky, Innenarchitektur bei Lilly Reich, Architektur bei Ludwig Mies van der Rohe, Städtebau bei Ludwig Hilberseimer und Psychologie bei Graf von Dürckheim. Nach Schließung des Bauhauses im Winter 1932/33 durch die Nazis kehrte Heinrich Neuy zum Handwerksberuf zurück. 1937 legte er die Meisterprüfung im Tischlerhandwerk ab, heiratete Martha Schütte und zog nach Borghorst, wo er die Tischlerei seines Schwiegervaters übernahm. Nach dem Krieg arbeitete er als Tischlermeister, Innenarchitekt und Maler. Er sprach über Malerei und Gestaltung an Schulen und Hochschulen, schrieb Bücher über die Formensprache sowie Charakterfarben und über „beweisende Malerei“. Die Bilder des „jüngsten Bauhauskünstlers“ wurden und werden im In- und Ausland ausgestellt.

© Martin Willing 2012, 2013