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    SACHBEGRIFFE |
Hanssen, Dr. Paul

Arzt in Kevelaer | * 1910 | † 2007

Dr. Paul Hanssen und FrauEs sei selbstverständlich gewesen, erzählt der ab 1984 im Ruhestand lebende Arzt, dass er, wie sein Urgroßvater, Vater und Onkel, den Arztberuf ergreifen würde. Im Metier aufgewachsen und darin einbezogen, denkt der Sohn von Dr. med. Peter Hanssen über andere Berufe gar nicht nach. Im Jahr 1935 absolviert er sein Staatsexamen und erhält 1936 die Approbation.


Dr. Paul Hanssen und seine Frau Helli
Hanssen (* 1918, † 2010), mit der er
2003 Diamantene Hochzeit feierte.

Als Assistenzarzt arbeitet er in verschiedenen Krankenhäusern, bis er 1940 aus Berlin als Soldat eingezogen wird. Aus Rußland tritt er 1943 einen unerwarteten Heimaturlaub an. Seine damals in Oberhausen arbeitende Verlobte Helli Geerling überrascht er auf dem Bahnhof mit einer Kostbarkeit. Den ganzen Weg von Rußland aus hat er im Gepäck 99 Eier transportiert. Den Kurzurlaub nutzen die jungen Leute und schließen in Wesel den Bund fürs Leben.

Seine Arbeit als Arzt wird durch den Kriegsbeginn sehr geprägt. „Eine medizinische Versorgung war nahezu unmöglich“, erinnert Hanssen sich. „Es war schrecklich, als Arzt daneben zu stehen und das große Leid auf dem Hauptverbandsplatz an der Ostfront mitanzusehen“.

Im November 1945 wird Hanssen bei Schloss Wissen aus der amerikanischen Gefangenschaft entlassen und läuft nach Kevelaer. Dort erfährt er, dass sein Vater schwer erkrankt ist. Sein Vater stirbt noch im selben Jahr, und Paul, sein Sohn, übernimmt die Praxis in der Amsterdamer Straße 29.

Viel ist von dem großen Gebäude nach den Bombenangriffen nicht mehr übrig. Der Hausflur und die im Obergeschoss eingerichtete Küche sind noch zu benutzen. Im Flur warten die Patienten, und dort werden sie auch behandelt. „Immer wieder kamen Menschen und fragten nach einem Verband; oftmals hatte ich nicht einmal den. Ich hatte nicht einmal medizinisches Besteck. Eine Pinzette und eine Verbandsschere - mehr war nicht da. Erst nach und nach konnte ich mir was anschaffen. In meiner Militärkluft, mit dem Fahrrad meiner Frau ging ich auf Hausbesuch. Doch an Bezahlung war nicht zu denken, die Leute hatten ja auch nichts. Ich kann mich noch gut an einen halben Liter Milch erinnern, den ich als Lohn in einer leeren Bierflasche mit nach Hause brachte“.

Die Gemeinde Kevelaer ist nach dem Krieg dringend auf Ärzte angewiesen. Paul Hanssen bekommt sofort die Zulassung und auch Belegbetten im > Krankenhaus. Dort erhält er auf Krankenschein 3 RM für eine Behandlung. Betten werden belegt, wie sie gerade frei sind. Als Arzt muss Hanssen alles machen - Röntgen, Geburtshilfe, kleine chirurgische Eingriffe. Es gibt keinen Kinderarzt, erst später einen Chirurgen und Internisten. Zu diesem Zeitpunkt betreut Hanssen auch die zwei Notkrankenhäuser: An der Hauptstraße (Hotel Rütter / Bekleidungshaus Gahlings) das Krankenhaus für alte Leute und das Notkrankenhaus gegenüber dem Marienhospital bei Grevers als Isolierstation für Diphtherie, Scharlach und ähnliche Erkrankungen.

In der Hauptsache sind es Hausgeburten, zu denen er mit der einzigen Hebamme Poos gerufen wird. Frau Poos muss bei Wind und Wetter aus Twisteden anreisen. „Es war eine arme Zeit. Oftmals lagen die gebärenden Frauen auf Stroh, mit einem einzigen Laken. Ein alter Opel als neues Arztfahrzeug war schon viel wert.“ Seine Frau muss das Auto, oftmals unter Mithilfe der Haushilfe, eine Straße weit anschieben, damit der Wagen endlich anspringt.

1954, nach der Währungsreform, entscheidet sich Hanssen für eine Praxisvergrößerung. Für ein Darlehen von 5000 DM kauft er ein Trümmergrundstück an der Egmontstraße. „Meine Frau weinte die ganze Nacht, aus Sorge, dieses Geld niemals wieder zurückzahlen zu können. Sie arbeitete als gelernte Sprechstundenhilfe in meiner Praxis mit, mit drei weiteren Angestellten. Der Praxisbereich war sehr groß. Er umfasste alle Nachbardörfer. Ich war Tag und Nacht Arzt, immer einbezogen. In der damaligen Zeit Arzt zu sein - das bedeutete verzichten“, sagt er.

Die Angestellten, die im Haus und in der Praxis arbeiten, bleiben unvergessen. „Für alle können wir nur dankbar sein, sie haben mit uns geoselt und gehungert“. Als es wirtschaftlich ein wenig bergauf geht und die Ärzte sich untereinander vertreten können, fahren die Eheleute Hanssen gelegentlich in Erholungsorte. Dort lernt Hanssen das Fotografieren lieben. Sonst bleibt keine Zeit für Privatleben oder Hobbys.
1984 erkrankt Paul Hanssen schwer und muss seine Praxis nach 50-jähriger Arzttätigkeit aufgeben. > Dr. Anton Scholz übernimmt seine Arbeit.

Heute, so sagt er in einem Gespräch mit Claudia Daniels vor seinem 90. Geburtstag , denkt er manchmal an seine alten Patienten zurück. „Wenn ich die Zeitung aufschlage, Todesanzeigen von bekannten Patienten lese, über den Friedhof gehe und bekannte Namen lese, dann ist es nicht nur schwer zu ertragen, weil ich selber schon alt bin. Es ist einfach Trauer, weil man früher als Arzt und Patient sehr stark zusammengehörte“.

Dr. med Paul Hanssen wird 97 Jahre alt.

© Martin Willing 2012, 2013