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Kapitel 6

21. Februar 1945

Nach der Eroberung Gochs verläuft die Hauptkampflinie unterhalb der Stadt. Unverändert heftig ist der Widerstand der deutschen Soldaten. In einem Waldstück südlich der Straße Goch-Kalkar warten sie auf den Angriff der Alliierten.
Im Schutz der Dunkelheit rückt eine kanadische Kompanie vor. Als im Bereich eines Bauernhofs eine deutsche Stellung regelrecht zusammengeschossen ist, tritt ein kanadischer Major unbewaffnet aus der Deckung und geht auf zwei deutsche Fallschirmjäger zu. „Sagen Sie doch den Offizieren, dass der Krieg entschieden ist und dass Sie nur noch sterben können.“ - „Dann sterben wir für Hitler“, lautet die Antwort der Deutschen.

Verabredet wird eine kleine Feuerpause, in der die Verwundeten eingesammelt werden können. Dann gehen die Kämpfe 72 Stunden lang weiter. „Es war der grauenhafteste Tag des ganzen Krieges für mich“, heißt es später in den Erinnerungen des kanadischen Majors. Die Eroberung der Straße Goch-Kalkar - sie kostet 400 Soldaten das Leben.

Als an diesem Tag die Kanadier ins bereits eroberte Schloss Moyland eindringen, werden sie von Baronin Marie von Hahn empfangen. Die Hausherrin hat Musik aufgelegt - Rossinis Barbier von Sevilla. Die einrückenden Soldaten verhalten sich weniger stilvoll und verwandeln die Räume des durch Feuer und Beschuss schwer beschädigten Schlosses in ein Heerlager. Möbel und Bilder dienen als Brennholz für Feuer im Schlosshof.

Unterdessen wird Kalkar aus der Luft angegriffen und bombardiert. Auf das zerstörte Geldern, über dessen intakte Niersbrücken der deutsche Nachschub läuft, fallen im Bereich von Süd- und Westwall sowie Bahnhofstraße fast 100 Tonnen Bomben.

Rund um das Lazarett St. Bernardin in Hamb explodieren Fliegerbomben. Wemb liegt immer noch unter ständigem Artilleriebeschuss. In Keylaer richten auf Hofmannshof Minenbomben ein Blutbad unter den lagernden Soldaten an.

Weeze wird an diesem Tag aus Versehen verschont: Eine Flugzeugstaffel verwechselt Goch mit der kleinen Gemeinde und wirft 98 Bomben auf die bereits eroberte Festungsstadt.

Der Kampf um Weeze und Kervendonk tritt in seine Endphase. Deutsche Artillerie und Sturmgeschütze in Höhe des Fasanenkaths sollen das Kakenbruch, wo alliierte Einheiten liegen, unter stärkstes Feuer nehmen. Seit dem frühen Morgen schießen die Deutschen aus allen Rohren. Zeitgleich stürmen vier Gruppen Infanteristen vor. Ihr Angriff stockt, die meisten der deutschen Soldaten fallen, nur noch etwa zehn Fallschirmjäger harren im Bereich des Saarbrockshofs und des Guts Hovesaat aus. Ihre Munition geht zu Ende. Die Keller sind voll von Verwundeten.

Auf dem Wertzhof wird eine weiße Flagge gesetzt.

An diesem Tag stürzt eine Lancaster I auf Kevelaerer Gebiet ab. Die siebenköpfige Besatzung des britischen Bombers kommt ums Leben.

22. Februar 1945

Auf dem Vormarsch der Alliierten zum Rhein liegen jetzt Uedem, Kervenheim, Sonsbeck und Xanten in der Hauptkampflinie. Kevelaers Randlage lässt hoffen, dass der Wallfahrtsort verschont bleibt. Weeze wird nur deswegen immer wieder angegriffen, weil hier der deutsche Widerstand stärker als erwartet ist. Deswegen wenden sich britische Divisionen, was zunächst nicht geplant ist, Weeze zu, um danach auf Gochfortsberg-Kervenheim vorzustoßen.

Eine Handvoll Soldaten, Tage zuvor noch eine Kompanie des Fallschirmjägerregiments 7, verteidigt den Geurtshof. Im Büssenhof und in Steinhoffskath kämpfen verzweifelt acht Mann. Dann kommt Verstärkung. Später ziehen sich die Deutschen durch die Nierswiesen in Richtung Schaddenhof zurück.

23. Februar 1945

Die Operation Veritable, am 8. Februar begonnen, hat wie geplant britische und kanadische Truppen über Kleve und Goch herangeführt. Ihr Ziel ist Wesel. Jetzt beginnt die Operation Grenade, in deren Verlauf die 9. US-Armee aus dem Raum Aachen nach Nordosten bis zum Rhein und in Richtung Wesel vordringen soll. Briten, Kanadier und Amerikaner wollen sich auf der linken Rheinseite - im Kreis Moers - vereinigen, um gemeinsam den Rhein bei Wesel zu überwinden.

Die Alliierten wissen um die starken Verteidigungskräfte im Raum Wesel. Die Katastrophe von Arnheim, wo im September 1944 eine gewaltige Luftlande- und Bodenoperation (Market Garden) gescheitert ist, soll sich nicht wiederholen.
Die amerikanische Operation Grenade, deren Beginn wegen der Überschwemmungen im Bereich der Rur immer wieder verschoben worden ist, bricht mit gewaltiger Macht durch die deutschen Verteidigungslinien. Als erstes wird der Großraum Jülich von den Amerikanern besetzt. Ein Corps der 9. US-Armee marschiert auf Venlo zu.

Die Wehrmachtsführung wird von dem Ansturm der Amerikaner über die Rur überrascht. Sie hat die Maas im Visier gehabt, wo der Großangriff erwartet worden ist. Die deutschen Verteidigungskräfte im Rur-Bereich sind viel zu schwach. Um sie zu verstärken, werden wichtige Verbände aus der Hauptkampflinie zwischen Uedem und Weeze herausgelöst und gegen die Amerikaner eingesetzt. Damit erfüllt die Operation Grenade ihren zweiten Zweck, nämlich die Kampfkraft der Deutschen aufzusplitten und zu schwächen.

Die um ihr nacktes Überleben kämpfenden Fallschirmjäger westlich von Uedem sind verzweifelt: Die komplette Panzer-Lehr-Division wird in den Raum Mönchengladbach abgezogen. Für die verbleibenden Fallschirmjäger, die sich zwischen Babbe-Gehöft und Sophienhof eingraben und der Übermacht der Alliierten nichts außer ihrer Tapferkeit entgegenzusetzen haben, wird der Verteidigungsbefehl zum reinen Todeskommando.

Der Büssenhof in Weeze muss den ganzen Tag über Trommelfeuer über sich ergehen lassen. Am frühen Abend verlassen erste kanadische Panzer den Schutz der Waldungen und greifen den Büssenhof und ein weiteres Gehöft an, wo Fallschirmjäger lauern. Wegen des heftigen Abwehrfeuers ziehen sich die Panzer vorerst in ein Wäldchen zurück.

Unterdessen gehen die Bombardierungen der Städte im Ruhrgebiet weiter. Am 23. Februar wird in Witten Fliegeralarm ausgelöst. Obwohl keine einzige Bombe fällt, sterben 38 Menschen. In Panik geraten, treten sie sich vor dem Luftschutzbunker zu Tode.

24. Februar 1945

Wieder Bombenabwürfe und Artilleriebeschuss auf Winnekendonk. Über Kervenheim stürzt eine britische Halifax III ab, die die Ruhrgebietsstadt Kamen, nicht Winnekendonk oder Kervenheim bombardieren wollte. Alle sieben Besatzungsmitglieder kommen ums Leben.

Vier zivile Todesopfer an diesem Tag werden aus dem Raum Winnekendonk gemeldet, deren Namen wir nicht kennen. In Kervendonk wird der Kevelaerer Anton Heinrich Eisen (40 Jahre, Basilikastr. 30) von einem Artilleriegeschoss getötet.

Am selben Tag sterben die Soldaten Matthias Ingenpaß aus Kevelaer (27 Jahre, Bahnstr. 13) in einem Kriegsgefangenenlazarett an der Wolga und Theodor Jakob Michiels aus Kevelaer (18 Jahre, Gelderner Str. 129) in Ungarn. Vom 24. Februar stammt das letzte Lebenszeichen der Soldaten Franz Hendricks aus Kevelaer (24 Jahre, Hüls 16) und Karl Ambaum aus Kevelaer (20 Jahre, Busmannstr. 16). Franz Hendricks wird zuletzt in Hameln, Karl Ambaum in Polen gesehen.

Cyriakus-Kirche Weeze
Die Cyriakus-Pfarrkirche zu Weeze (r. ein Vorkriegsbild) nach der Sprengung durch deutsche Wehrmachtssoldaten.
Fotos aus: Weeze im Rückblick 2, S. 200. Weezer Geschichte 2005, S. 81.


An diesem Tag wird die St.-Cyriakus-Pfarrkirche mit ihrem 75 Meter hohen Turm gesprengt. Bereits von vielen Bomben und Granaten getroffen, legen Deutsche, Wehrmachtssoldaten und nicht Angehörige der SS, wie es später heißen wird und in der Grundsteinurkunde für den Neubau niedergeschrieben steht, Hand an das Gotteshaus. Es sind Fallschirmjäger, die bis zum 23. Februar auf Gut Marienwasser gelegen haben und sich nun zurückziehen. Eine Weezerin, die auf dem Gut untergetaucht ist, hat mit eigenen Ohren von einem Mitglied des Sprengkommandos gehört: „Morgen wird der Kirchturm gesprengt.“

Die St.-Cyriakus-Kirche ist nur noch ein Trümmerhaufen, als die Kanadier Weezer Boden erreichen.

Möllmannshof und der Hauwschenhof sind gefallen, auf dem Keysershof wird noch gekämpft. Um etwa 18 Uhr beginnt Artillerie, sich auf den Keysershof einzuschießen. Deutsche Granatwerfer erwidern das Feuer. Dann stoßen Panzer vor, umstellen den Hof. Als alliierte Soldaten in den Keysershof eindringen, verschanzen sich die 30 deutschen Fallschirmjäger, die noch übrig geblieben sind, im Keller, wo Zivilisten um ihr Leben bangen. Als ein Fallschirmjäger verlangt, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen, wird er von deutschen Soldaten überwältigt. In gespenstischer Ruhe wird das Eindringen der Alliierten erwartet. Nach einer halben Stunde erkunden einige Fallschirmjäger die Lage auf dem Hof: Kein Panzer ist zu sehen. Die 30 Fallschirmjäger ziehen in Richtung Weeze ab.

Am selben Tag fliegen englische Bomber einen schweren Angriff auf die Stadt Geldern. Pfarrkirche, Rathaus und Umgebung werden bombardiert, wobei einige Menschen ihre Leben verlieren.

In Gaesdonck ist der Hauptverbandsplatz auf dem Gelände des Collegiums Augustinianum bereits seit zehn Tagen aufgegeben. Seitdem arbeitet hier im Keller eine Funkabteilung der Wehrmacht. Am 24. Februar werden die Gaesdock-Gebäude beschossen. Es sind kaum mehr als Ruinen, die am nächsten Morgen von kanadischen Soldaten eingenommen werden.

Immer noch glaubt die Wehrmachtsführung an die Wirksamkeit des Westwalls. Vom 24. Februar an müssen Volkssturmmänner und Zwangsarbeiter wieder graben und bauen. Der Friesenriegel verläuft von Schravelen bis westlich von Wemb. Beiderseits der Straße Kevelaer-Weeze werden tiefgelegte Stellungen errichtet.

Schon in wenigen Tagen wird die Vergeblichkeit dieser letzten Anstrengungen deutlich: Am Niederrhein, und nicht nur dort, ist der Westwall, der ungeheuer viel Material verschlungen und viele Todesopfer unter den Zwangsarbeitern gekostet hat, völlig sinnlos. Er verzögert den Vormarsch der Alliierten nicht im Geringsten.

Kapitel 6

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© Martin Willing 2012, 2013