17. Februar 1945
Die Straße von Winnekendonk in Richtung Kervenheim ist der wichtigste
Nachschubweg der Wehrmacht für die Frontsoldaten vor Goch. Gegnerische
Kampfflugzeuge und Artillerie versuchen ständig, die Lieferungen von
Munition und Waffen zu unterbrechen oder zu behindern. So gerät auch das
ansonsten unbedeutende Dorf Winnekendonk ins Visier der alliierten
Kampftruppen auf ihrem blutigen Weg zum Rhein.
An diesem Samstag erleidet Uedem sein fürchterlichstes Bombardement des
Kriegs und versinkt in Schutt und Asche - wie am Tag zuvor die Stadt
Rees, wo von den Häusern und der katholischen Kirche nur noch
Steinstümpfe stehen.
Goch gewinnt einen Tag Aufschub: Als am 17. Februar britische
Infanteristen das Höhengelände südwestlich von Kalkar an der Hauptstraße
Goch-Kalkar für den bevorstehenden Sturm auf die „Festung Goch“
erkunden, geraten die Aufklärer unter starken Beschuss aus den Wäldern
von Moyland. Der Wald muss erst „gesäubert“ werden, wie es im
Divisionsbericht heißt. Artillerie und Bomber übernehmen diese Aufgabe.
Im Hauptquartier der 15. Division erörtern ab 11.30 Uhr die Briten ihren
Vormarsch auf Goch. Auf die Eroberung der Straße Goch-Kalkar wird nach
den Meldungen der Aufklärer zunächst verzichtet. Den für den Sturm
eingeteilten Soldaten werden mittags statt der üblichen Feldrationen
frische Steaks und Gemüse vorgesetzt. Um 20.30 Uhr weitere
Lagebesprechung mit dem Angriffsplan, um 23 Uhr letzte Zusammenkunft.
Direkt nach Mitternacht soll der Angriff beginnen.
Mittlerweile schüttet es wie aus Eimern.
18. Februar 1945
Der Sonntag beginnt in Winnekendonk mit zwei Gottesdiensten um 6 und um
7 Uhr. Im Achterhoek gibt es kaum ein Haus oder Gehöft, in dem keine
deutschen Soldaten lagern. Bei Lemmens in Winnekendonk ist eine
Artillerieeinheit in Stellung gegangen. Auch im Wettener Busch (Berber)
stehen schwere Geschütze. Auf den Straßen des Dorfs rollen den ganzen
Sonntag über Wehrmachtswagen und Tiger-Panzer.
In Kervendonk liest Pfarrer Coenders auf dem Endtschenhof am Morgen eine
heilige Messe.
Der Bereich Wember Bruch liegt unter starkem Artilleriebeschuss.
In Xanten treffen am Sonntag General Schlemm und der Befehlshaber der
Heeresgruppe H, General Blaskowitz, im Kartenraum des Hauptquartiers der
Ersten Fallschirmjäger-Armee zusammen. Sie besprechen die neue Lage,
nachdem deutsche Verzögerungsaktionen die Truppen der Alliierten nicht
auf der Höhe des Reichswalds haben halten können. Die nach Süden
verschobene Verteidigungslinie ist zu schwach, um den befürchteten Sturm
auf Goch abzuwehren. Nach sechs Tagen verzweifelten Widerstands durch
zwei deutsche Panzer- und Infanterie-Korps steht die kanadische Armee am
Stadtrand von Goch.
General Schlemm überträgt die Verteidigung der Stadt dem II.
Fallschirmjäger-Korps unter General Eugen Meindl. Der Befehl lautet, die
Linie Goch-Uedem um jeden Preis zu halten.
Im Schutz des Frühnebels sammeln sich die Truppen zweier schottischer
Divisionen zum entscheidenden Schlag. Ihre Soldaten dringen bis zum
inneren Panzergraben Gochs vor, der nach einigen Schwierigkeiten
provisorisch überbrückt wird. Die Eisenplatten sind derart verzogen,
dass gepanzerte Truppentransporter den Graben nicht überwinden können.
Unter heftigem Beschuss aus der Innenstadt überqueren die Angreifer zu
Fuß den breiten Panzergraben. Aber sie kommen nicht weiter und sitzen
wegen des deutschen Abwehrfeuers den ganzen Tag über fest.
Erst gegen Mitternacht gelingt es den Schotten und hinzugestoßenen
englischen Soldaten, am Panzergraben zwei kleinere Brückenköpfe
einzurichten und zu sichern. An einigen Stellen liegen kaum 30 Meter
zwischen den Feinden. Sie liefern sich Wurfduelle mit Handgranaten. Die
Deutschen schießen obendrein mit Panzerfäusten. Auf beiden Seiten
sterben an diesem Sonntag viele Soldaten, was in den späteren Berichten
mit „großen Verlusten“ umschrieben wird.
Goch ist mehr als nur eine Etappe. Für den britischen Feldmarschall
Bernhard Montgomery, der zeitgleich mit den Amerikanern zum Rhein
vorstoßen will, um anschließend das Ruhrgebiet einzukesseln, ist Goch
eine entscheidende Festung, deren Einnahme den Wendepunkt in der
Schlacht um das Rheinland bringen soll. Auch im niederrheinischen
Hauptquartier der Deutschen, in Xanten, wird die Bedeutung der
Verteidigung Gochs für den Kriegsverlauf nicht unterschätzt.
Eisenbahnlinie und drei wichtige Straßen machen aus Goch einen
Nachschub-Knotenpunkt, den General Schlemm für die Deutschen erhalten
muss. Schlemm sieht wie Montgomery, dass Goch sogar das „Scharnier“ für
die Alliierten auf ihrem Weg zur Rheinüberquerung ist.
Durch zwei Panzergräben, bis sechs Meter tief, ist Goch geschützt. Die
Stadt ist umgeben von betonierten Stellungen, Stacheldraht und dichten
Minengürteln. Die Zugänge zu den zahlreichen Kampfbunkern, aus deren
Schießscharten gefeuert wird, sind vermint. Häuserkeller sind
zugemauert. Durch schmale Schlitze können die Verteidiger mit ihren
Maschinengewehren die wichtigsten Straßenzüge abdecken. Die gewaltigen
Betonbauten haben dem Bombardement der britischen Bomber der letzten
Tage und Wochen standgehalten. Ansonsten ist Goch bereits zertrümmert.
Kaum ein gewöhnliches Haus, das nicht aussieht wie eine Ruine.
19. Februar 1945
In den frühen Morgenstunden dringen englische und schottische Soldaten
in alle Stadtteile von Goch südlich der Niers ein. Mit flammenwerfenden
Panzern ziehen drei Bataillone durch die Straßen und setzen alles in
Brand, was brennen kann.
Derweil wartet Oberst Paul Matussek, der deutsche Garnisionskommandant,
auf das Eintreffen seiner herbeibefohlenen Reserven, um die Stadt halten
zu können. Während Matussek und sein Stab am Frühstückstisch sitzen,
eilen die angeforderten Verstärkungstruppen herbei - zum Teil auf
Fahrrädern. Auf ihrer Fahrt durch die Frontabschnitte werden viele der
Wehrmachtssoldaten von den Alliierten regelrecht eingesammelt. Das
Frühstück ist noch nicht beendet, da dringen Briten in das Quartier von
Matussek ein und nehmen ihn und seinen Stab gefangen. Am Ende dieses
Tags sind über 400 Deutsche und dazu die Festungsstadt Goch in der Hand
der Alliierten.
Auf dem linken Flügel der vorrückenden Alliierten schieben sich die
Kanadier an die Straße von Kalkar nach Uedem heran. Die Straße
Goch-Kalkar wird überschritten, Moyland fällt nach schweren Kämpfen in
die Hand der Angreifer, die auf Kalkar vorstoßen wollen, aber in einem
Gegenangriff von deutschen Panzerbesatzungen zurückgeschlagen werden.
Mit
ihren Tigern treiben die Deutschen einen Keil in die Frontlinie bis zur
Bahnlinie Goch-Uedem und erobern für kurze Zeit Schloss Kalbeck zurück.
Vor und in Gehöften an der Front liefern sich die Gegner Nahkämpfe um
jeden Meter, um jeden Stall.
Blick auf die
Maria-Magdalena-Kirche und den Markplatz in Goch.
Hunderte von Menschen, in deutscher, britischer oder kanadischer
Uniform, verlieren an diesem Tag ihr Leben.
Montgomery notiert für den 19. Februar:
► „Heute haben wir Goch eingenommen;
die 15. und 51. Div. sind mit der Sicherung der Stadt beschäftigt, wo
wir bis jetzt 400 Gefangene gemacht haben. Wir verfügen jetzt auch über
die Straße Goch-Kalkar mit Ausnahme des Endstücks bei Kalkar. Nach der
Einnahme von Goch muß jetzt um dieses Stück gekämpft werden, das uns in
den Stand setzt, die Straße zu benutzen. (...) Die Gesamtzahl der
Gefangenen im Laufe der Operation Veritable beträgt jetzt nahezu 10.000,
und wir schätzen, daß etwa 20.000 Deutsche außer Gefecht gesetzt sind.
Unsere Truppen haben eine sehr große Zahl der deutschen Gefallenen
begraben. (...) Unsere Verluste durch Veritable betragen jetzt 3.800,
mit der Ausnahme von 400 Kanadiern sämtlich Briten.“
Für dieselbe Zeit hält der auf dem Endtschenhof in Kervendonk
ausharrende Pfarrer Coenders in seinem Bericht fest: „Der 19. Februar
war ein kritischer Tag. Wegen der Fliegergefahr mußten wir uns meistens
im Keller aufhalten.“
Die Front rückt unaufhaltsam näher. Deutsche Truppen ziehen sich nach
dem Fall von Goch auf eine neue Abwehrstellung in Kervendonk zurück,
verstärkt um von Süden herangezogene Einheiten. Der Endtschenhof droht
in das Zentrum von Angriffen zu geraten.
Gegen 16 Uhr stürmen alliierte Verbände auf breiter Linie gegen deutsche
Stellungen an, wobei die Höfe in Höst und Rottum besonders unter
Beschuss genommen werden. Rosenhof, Rottumshof, Malenhof, Polzenhof und
Reutershof sind am Abend schwer beschädigt oder zertrümmert. In den
Ruinen toben erbitterte Nahkämpfe.
20. Februar 1945
Abgeworfene Flugblätter fliegen durch die Gegend. Sie informieren in
deutscher Sprache darüber, dass Goch gefallen und sein Verteidiger
Oberst Matussek in Gefangenschaft geraten ist. Die britische Presse
bejubelt den Sieg über das „Zentrum der Siegfriedlinie“.
Schottische Infanteristen erobern das brennende Schloss Kalbeck zurück.
Dann überschreiten sie - mitten durch scharfes Abwehrfeuer der Deutschen
- die Bahnlinie Goch-Uedem. Ein Durchbruchsversuch der Alliierten an der
Straße Goch-Kalkar bei Halvenboom scheitert an zwei deutschen
Panzerdivisionen, die am frühen Morgen sogar einen Gegenangriff fahren:
Im Hörbereich der sich warm laufenden Panzermotoren erwarten die
Alliierten den Angriff. „Jedem in der Kompanie“, so berichtet später
Major Louis Frogett, „wurde erklärt, daß unbedingt abzuwarten sei, bis
die Panzer heran waren.“
Mit Panzerabwehrkanonen feuern die Briten auf die deutschen Panzer und
schießen einen nach dem anderen ab. „Auch ihre ganze Infanterie konnte
ausgeschaltet werden“, notiert der Major.
Neben diesem fürchterlichen Sterben unter den Soldaten sorgen ohne
Unterlass Bomber für Grauen unter den Zivilisten. An diesem Tag wird das
St.-Katharinenhaus in Winnekendonk schwer getroffen. In Kervendonk
müssen sich die Menschen den ganzen Tag über wegen des
Artilleriebeschusses in Schutzkellern aufhalten. Als sich auf dem
Endtschenhof dennoch zwei Knechte hervorwagen und zu einem Wall laufen,
um Rüben auf ein Pferdefuhrwerk zu laden, wird der eine Mann durch eine
Granate getötet, der andere schwer verletzt. Auch das Pferd, von einem
Granatsplitter getroffen, überlebt nicht.
Die deutschen Soldaten auf dem Hof ziehen ab. Am Abend ist der
Endtschenhof in der Hand der Alliierten.
Kapitel 5
Wird fortgesetzt |