Logo für Blattus Martini

Titelbutton
logo INHALTSVERZEICHNIS

Kapitel 22

27. April 1945

Aus dem Entlasslager in Weeze, wo Tausende Wehrmachtsangehörige interniert sind, wird ein Zettel geschleust, auf dem eine Nachricht für den Gemüsehändler Fritz Voss und seine Frau Maria steht. Das Stückchen Papier, das am 27. April in ihrer Wohnung an der Amsterdamer Str. 20 in Kevelaer abgegeben wird, enthält eine schreckliche Nachricht: Auch ihr Sohn Günther (18), der Zwillingsbruder von Kurt, der 1944 gefallen ist, wird nicht mehr nach Hause kommen. Auf dem Zettel teilt „sein bester Kamerad“ mit, dass Günther vierzehn Tage zuvor bei Kämpfen in Norddeutschland ums Leben gekommen ist.

28. April 1945

Das Ende des Nazi-Regimes ist zum Greifen nahe. Die Allianz der Westmächte und der Sowjetunion bedarf keiner Angebote der Deutschen mehr. „Himmler hat nichts zu bieten“, schreibt Charles de Gaulle, Präsident der provisorischen französischen Regierung, in seinen Memoiren.

Das abgelehnte Angebot des Reichsführers-SS, mit dem Westen einen Teilfrieden zu schließen, hat ein blutiges Nachspiel. Hitler befiehlt, vor Wut bebend, den SS-General Hermann Fegelein zu sich. Der Mann ist nicht aufzufinden. Seit zwei Tagen ist er verschwunden. Fegelein wird schließlich in seiner Wohnung aufgespürt - volltrunken und mit einer Mätresse im Bett. In seiner Wohnung findet man wenig später Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass der SS-General von Himmlers Verhandlungen mit den Alliierten gewusst hat. Eva Braun, Hitlers Geliebte, fleht um das Leben Fegeleins, der mit ihrer Schwester verheiratet ist. Fegelein, zur Ausnüchterung in eine Zelle gebracht, wird Stunden später erschossen.

Im Führerbunker treten um Mitternacht Goebbels und Bormann als Trauzeugen an. Ein Standesbeamter vollzieht im Führerbunker die Trauung Hitlers mit Eva Braun. Anschließend gibt Hitler seinen Willen zu Protokoll. „Ich selbst und meine Gattin wählen, um der Schande des Absetzens oder der Kapitulation zu entgehen, den Tod.“

In Holland lässt Reichskommissar Dr. Seyß-Inquart wertvolle Zeit verstreichen. Statt auf das Angebot des US-Befehlshabers Eisenhower, der zur Abhilfe des dramatischen Lebensmittelmangels im noch besetzten Teil der Niederlande eine „sofortige Begegnung“ vorgeschlagen hat, unverzüglich einzugehen, schickt Seyß-Inquart erst einmal einen Vertrauten voraus. Der soll Protokollfragen der Begegnung zwischen Eisenhower und dem Reichskommissar klären.

29. April 1945

Karl LeisnerAmerikanische Soldaten befreien das KZ Dachau. Mehr als 200.000 Menschen sind hier ab 1933 gefangen gehalten worden, mindestens 30.000 haben die Lagerhaft nicht überlebt, darunter viele katholische und evangelische Pfarrer und Ordensleute. Auch für Karl Leisner (Foto), der 1944 im Lager zum Priester geweiht worden ist und 1996 seliggesprochen werden wird, kommt die Befreiung zu spät. Er stirbt im August 1945 an den Folgen der Haft.

In Italien erklären die deutschen Truppen am 29. April ihre Kapitulation. Auch sie kommt zu spät: Unter denen, die noch ihr Leben lassen müssen, befindet sich Heinrich Peter Kelter von der Antoniusstr. 17 in Kevelaer. Einen Tag nach Ende der Kämpfe stirbt der 22-Jährige in Jesolo-Veneziá.

In Berlin tritt am 29. April die 12. deutsche Armee unter General Wenck „zum Entsatz der Hauptstadt“ an - ein hirngespinstiges Selbstmordkommando. Am Mittag will Hitler während der Lagebesprechung wissen, wie lange der Widerstand gehalten werden könne. Nicht länger als 24 Stunden, vielleicht weniger, wird ihm gesagt.

Hitler lässt daraufhin an seiner Schäferhündin Blondi die Wirkung des Zyankali testen, das er in Kapseln bereit hält. Nach dem Tod des Tiers formuliert Hitler seine Testamente. Darin heißt es u.a.: „Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassegesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, dem internationalen Judentum.“
Selbst im Angesicht des eigenen Todes versprüht Hitler weiter sein Gift.

30. April 1945

Seit fünf Uhr liegt die Gegend über dem Führerbunker unter schwerem Artilleriefeuer. Hitler fragt, auf dem Stuhl neben seinem Bett sitzend, erneut, wie lange noch gehalten werden könne. Es sind nur noch wenige Stunden. Sowjetische Soldaten sind schon in Sichtweite.

Bei der Mittag-Lagekonferenz, der letzten im Bunker, untersagt Hitler die Kapitulation, selbst wenn die Munition ausgegangen sei. Den Soldaten sei nur erlaubt, kämpfend aus dem Kessel Berlin auszubrechen.

Nach dem Mittagessen nehmen Hitler und seine Frau Abschied von den engsten Mitarbeitern. Gegen halb vier erschießt sich der „Führer“. Eva Hitler nimmt Gift. Die Leichen werden verbrannt.

Von dem Ende im Führerbunker weiß der deutsche Reichskommissar im besetzten Teil der Niederlande, Seyß-Inquart, noch nichts. Am 30. April kommt es endlich zu der von Eisenhower angeregten Begegnung. Seyß-Inquart begibt sich in Begleitung einiger Offiziere durch die feindlichen Stellungen nach Achterveld in der Provinz Gelderland. Etwa einen Kilometer vor der Schule, in der die Unterredung stattfinden soll, müssen die deutschen Autos halten. Die Insassen gehen das letzte Stück und tragen eine weiße Fahne voran.

Seyß-InquartStatt des amerikanischen Oberbefehlshabers und späteren US-Präsidenten Eisenhower begegnet Seyß-Inquart (Foto) einem anderen Prominenten: Schon von weitem erkennt der Reichskommissar seinen früheren Dienstwagen, einen Mercedes mit dem Kennzeichen „RK 1“, den Widerstandskämpfer erbeutet haben. An den Wagen gelehnt, erwartet Prinz Bernhard, der Gemahl von Kronprinzessin Juliana, der späteren Königin der Niederlande, die deutschen Unterhändler. Seyß-Inquart, der die Geste mit Sicherheit versteht, lässt sich keine Reaktion anmerken.

Die Amerikaner sind u.a. mit einem General vertreten. Man kommt schnell zur Sache und einigt sich darüber, wie die Alliierten ungefährdet durch die deutschen Besatzer Lebensmittel ins Land bringen können. Gleichzeitig macht der US-General Seyß-Inquart deutlich, dass jeder weitere Widerstand sinnlos sei. Der Reichskommissar stellt das nicht in Abrede, lehnt aber eine Kapitulation der Deutschen auf holländischem Boden ab. „Wir wollen das Schicksal der gesamten Armee mit unserem ganzen Volk teilen und treffen daher keine gesonderten Vereinbarungen. Ich lasse mich auf nichts ein.“

Auf der Rückreise schlägt ein Begleiter dem Reichskommissar vor, die nun geschaffenen Kontakte für eine Gesamtlösung mit den Westmächten zu nutzen. Seyß-Inquart verspricht sich nicht viel von Verhandlungen, weil der militärische Zusammenbruch Deutschlands ohnehin in wenigen Wochen eintreten werde und die Alliierten das wüssten. Aber er lässt zu, dass bei dem US-General, mit dem die Deutschen soeben gesprochen haben, nachgefragt wird, ob Seyß-Inquart für Besprechungen mit der Reichsführung freies Geleit nach Berlin bekommen könne.

Goebbels informiert den in Plön einquartierten Großadmiral Dönitz darüber, dass Hitler ihn, Dönitz, zum Nachfolger bestimmt habe. Dabei verschweigt Goebbels mit kühler Berechnung, dass Dönitz nur als Reichspräsident, nicht aber auch als Reichskanzler eingesetzt ist. Goebbels ist nun Kanzler, wenn auch nur für wenige Stunden.

Dönitz, der sich als Nachfolger in allen bisherigen Hitler-Funktionen wähnt, beschäftigt sich am Abend mit der aus dem Führerbunker übermittelten Liste für das erste Dönitz-Kabinett. Rüstungsminister Speer, der aus seinem Notquartier, einem bewohnbaren Bauwagen in Eutin, zu Dönitz in Plön gestoßen ist, sieht seinen Namen nicht auf der Liste. Neuer Rüstungsminister ist Karl Otto Saur.

Dönitz lässt Himmler, der sich unweit vom Quartier in Plön aufhält, zu sich kommen und informiert ihn über die Nachfolgeregelungen, die Hitler verfügt hat. Himmler dient sich Dönitz und seiner Regierung als „zweiter Mann“ an, was dieser „dankend“ ablehnt. Seine Regierung werde einen „unpolitischen Charakter“ haben.

1. Mai 1945

Wie ein trauriges Operettentheater vollzieht sich der Abgang der Nazi-Führung. Albert Speer, der es besser weiß, verschweigt Dönitz gegenüber den Selbstmord Hitlers und formuliert für das neue Staatsoberhaupt die Proklamation „An das deutsche Volk“, die um 10.26 Uhr vom deutschen Rundfunk gesendet wird:

„Aus dem Führerhauptquartier wird gemeldet, daß unser Führer Adolf Hitler heute nachmittag in seinem Befehlsstand in der Reichskanzlei, bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend, für Deutschland gefallen ist.“

Und auch eine andere Bekanntmachung stammt aus Speers Feder:

„Der Führer mag heute noch im Streit der Meinungen stehen. Seine historische Persönlichkeit wird einmal in einer gerechten Geschichte anerkannt werden.“

Reichspräsident Dönitz ruft in einer Rundfunkansprache zur Fortsetzung des Krieges an der Ostfront auf. Er glaubt, mit den Westalliierten einen Teilfrieden schließen zu können.

Hakenkreuzfahne
Das böse Spiel ist aus.

In Holland erfährt nun auch Seyß-Inquart vom Tod Hitlers. Der Reichskommissar erlässt seine letzte Bekanntmachung:

„Deutsche Soldaten, deutsche Männer und Frauen, deutsche Jugend in der Festung Holland! Ich rufe euch auf, höret es und faßt es mit starkem Herzen: Unser Führer ist im Kampf gefallen. Sein sichtbares Wirken ist beendet (...) Sein Geist wird niemals enden (...) Die tausendjährige Sehnsucht des deutschen Volkes, er hat sie erfüllt. Wofür Millionen deutscher Männer geblutet haben und gefallen sind, was in bitterster Not und im letzten Kampf Trost und Stärke war, er hat es erfüllt. (...) er, der Schöpfer und Vollender Großdeutschlands (...) Wir glauben an Deutschland und wir können nicht anders (...)“.

Der Name Seyß-Inquart steht auf der Ministerliste in Hitlers Testament: Er soll Außenminister werden. Reichspräsident Dönitz bestellt Seyß-Inquart am 1. Mai nach Plön ein. Mit einem Schnellboot der Kriegsmarine wird der Reichskommissar von der niederländischen Küste abgeholt.

Am 1. Mai erfährt Dönitz, dass laut Hitlers Testament nicht er, sondern Goebbels zum Reichskanzler bestimmt ist. Die Information verändert allerdings nicht viel, weil die Kanzlerschaft von Goebbels noch am selben Tag endet: Goebbels und seine Frau Magda, die ihre sechs Kinder mit in den Tod nimmt, begehen Selbstmord.

2. Mai 1945

Der letzte Kampfkommandant von Berlin, General Helmuth Weidling, spricht in seinem Kapitulationsbefehl an seine Truppen klare Worte:

„Am 30. April 1945 hat der Führer Selbstmord begangen und damit alle, die ihm Treue geschworen hatten, im Stich gelassen. (...) Jede Stunde, die ihr weiterkämpft, verlängert die entsetzlichen Leiden der Zivilbevölkerung Berlins und unserer Verwundeten.“

Der Kampf um Berlin ist zu Ende. Am Vormittag dringen russische Soldatinnen in den verlassenen Führerbunker ein. Es sind Sanitäterinnen, die sich von dem letzten verbliebenen Maschinisten in den Ankleideraum von Eva Braun führen lassen (J. Fest, Der Untergang). Was brauchbar erscheint, wird aus dem Schrank und einer Kommode herausgenommen und in Taschen und Beutel gestopft. Dann sieht der Maschinist die Frauen abziehen, „mindestens ein Dutzend Büstenhalter“ und andere Wäschestücke schwingend.
Kapitel 22

linie

logo INHALTSVERZEICHNIS

linie

© Martin Willing 2012, 2013