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INHALTSVERZEICHNIS

MARTIN WILLING

Amtsblatt und die Folgen (1)

Wie die Politik Einfluss auf die Zeitung nehmen wollte

Anzeigenerlöse sind für die meisten Verkaufszeitungen existenziell bedeutsam. 70 bis 80 Prozent des Aufwands der Zeitungsverlage, so hat es lange Zeit in der Branche geheißen, werden durch die Erträge der Inserate gedeckt. Die Erlöse durch den Verkauf der Zeitungsexemplare - Vertrieb am Kiosk und Abonnements - tragen dagegen nur einen kleineren Teil der Kosten.

Das Kävels Bläche wich schon immer von dieser Durchschnittsregel ab. Zwar gab es auch für das Kevelaerer Blatt einzelne Wirtschaftsjahre mit besonders hohen Anzeigenerlösen. Aber insgesamt war in den vergangenen drei Jahrzehnten das Verhältnis der Erträge aus dem Anzeigen- und Zeitungsverkauf eher ausgeglichen. Darüber waren wir nicht unglücklich: Je mehr die sehr viel zuverlässigeren Einnahmen aus dem Zeitungsverkauf zur Kostendeckung unseres Verlages beitrugen, desto zukunftssicherer war seine wirtschaftliche Basis.

Gleichwohl waren wir, wie jede Verkaufszeitung, zwingend auf Anzeigenerlöse angewiesen. Größter Einzelkunde unter den Inserenten war, als wir das Kävels Bläche 1981 übernahmen, die Stadt Kevelaer, die ihre Amtlichen Bekanntmachungen in der alten Heimatzeitung veröffentlichte. Bereits für Mai 1881, zwei Jahre nach Gründung des Kevelaerer Blatts, das damals „Kevelaerer Volksblatt“ hieß, sind Amtliche Bekanntmachungen der Gemeinde im KB dokumentiert. Sogar der Kreis Geldern und das in der Kreisstadt ansässige Finanzamt ließen ab 1925 ihre Amtlichen Bekanntmachungen auch ins Kävels Bläche einrücken.

Als Jakob Köster im Jahr 1949 seine Traditionszeitung wieder aufleben ließ, beschloss die Amtsvertretung Kevelaer einstimmig, dass die Wochenzeitung „Aus Kevelaer und Umgebung“ die Bezeichnung „Amtliches Mitteilungsblatt“ führen durfte. Fortan wurden im Kävels Bläche die Stadt-Bekanntmachungen - gegen Bezahlung - veröffentlicht.

Eine folgenschwere Rechtsunsicherheit trat 1984 ein. Die Auffassung griff um sich, dass bei strenger Auslegung der Vorschriften Kommunen eigentlich nur Tageszeitungen oder selbst herausgegebene Informationsblätter für ihre Bekanntmachungen nutzen durften, nicht aber Wochenzeitungen. Um für Rechtssicherheit zu sorgen und dem Kävels Bläche den großen Anzeigenauftrag zu erhalten, übernahm die Stadt Kevelaer 1984 in Übereinstimmung mit unserem Verlag die Herausgeberschaft jenes Teils im Kävels Bläche, der durch „Amtliche Bekanntmachungen“ gekennzeichnet war. Damit verbunden war das Recht der Stadt Kevelaer, gegebenenfalls jederzeit im Kävels Bläche solche Bekanntmachungen veröffentlichen zu können, wenn es sein musste auch außerhalb der normalen Erscheinungsweise des Kävels Bläche. So waren die Stadt und unser Verlag auf der sicheren Seite.

Gleichwohl spitzte sich der Streit um die „Amtlichen“ zu. 1987 entschied das Oberverwaltungsgericht Münster gegen die Stadt Xanten: Ihre Veröffentlichungspraxis (die „Amtlichen“ wurden dort im Anzeigenblatt „Niederrhein Nachrichten“ veröffentlicht) sei unzulässig, weil das Blatt wöchentlich und nicht täglich erscheine.

Zwar gefährdete das Urteil, gegen das Berufung nicht möglich war, nicht die Praxis in der Stadt Kevelaer, die seit 1984 selbst den Amtlichen Teil im Kävels Bläche herausgab, aber sicherheitshalber ließ die Stadt alle „Amtlichen“ von 1969 bis 1984, also vom Jahr der Kommunalen Neuordnung bis zur Übernahme der Herausgeberschaft für den Amtlichen Teil, neu veröffentlichen. Unser Verlag, der bei Verlust dieses größten Anzeigenauftrags schwer getroffen worden wäre, räumte der Stadt für die Wiederholung der früheren „Amtlichen“ einen Sonderpreis ein, der nur die Druckkosten für die Zusatzseiten deckte. Mit der erneuten Veröffentlichung war ein etwaiger Formfehler, auf den sich ein Gericht hätte beziehen können, geheilt.

Wir nahmen erfreut zur Kenntnis, dass der Stadtrat mehrheitlich dazu stand, die „Amtlichen“ weiterhin im Kävels Bläche veröffentlichen zu lassen und den heimischen Kulturträger zu stützen. Abgelehnt wurde mit Mehrheit der Antrag einer der kleinen Oppositionsfraktionen, die Stadt solle ein eigenes Mitteilungsblatt herausgeben, weil die Veröffentlichung in einer Wochenzeitung „unzulässig“ sei. Der Fraktionschef kündigte an, „alle rechtlichen Mittel“ in Anspruch zu nehmen, um den Sachverhalt „endgültig klären“ zu lassen.

Davon hörte man später nichts mehr, wohl aber spürten wir in den nächsten Jahren zunehmend, dass sich einige Politiker von der Sicherung des bedeutenden Anzeigenauftrags etwas mehr Konzilianz in der politischen Berichterstattung des Kävels Bläche versprochen hatten. Es war die Zeit, da das KB die Sonnenschein-Verlautbarungen der Stadt Kevelaer, die den Medien angedient wurden, zerpflückte und manche Information als Luftblase entlarvte. Und es war die Zeit der so genannten Traberpark-Affäre, über die in einem anderen Kapitel zu reden ist. Wir Journalisten fühlten uns durch einzelne Politiker unter Druck gesetzt.

Die unverdeckte Drohung, der Stadtrat könne, wenn das Kävels Bläche nicht „freundlicher“ berichte, auch anders, nämlich per Beschluss dafür sorgen, dass der Zeitung diese wichtige Einnahmequelle entzogen werde, war für uns gefährlich; denn mit umgekehrten Vorzeichen hätten die selben Politiker das infame Gerücht streuen können, wohlgefällige Berichterstattung sei bei uns, wenn genügend viel Geld fließe, käuflich.

Aus Gründen der Klarstellung und der Hygiene zogen wir die Notbremse und kündigten am 7. Juni 1995 der Stadt Kevelaer das Recht, im Kävels Bläche einen Amtlichen Teil herauszugeben.

Wir hatten zwar keine Ahnung, ob wir den Verlust dieser Einnahmen verkraften würden, aber die durchaus mögliche Existenzgefährdung des Verlags war uns weniger wichtig als der Schutz unserer Glaubwürdigkeit. Die Entscheidung war im übrigen zwangsläufig, denn der Anzeigenauftrag, der größte, den das KB je hatte, war ja tatsächlich abhängig vom Votum der Ratsmitglieder, über deren Taten und Untaten das Kävels Bläche jede Woche zu schreiben hatte. Um transparent zu machen und sicherzustellen, dass diese Zeitung nicht von politischen Interessenvertretern beeinflusst werden kann, verzichteten wir lieber auf 55.000 Mark Umsatz im Jahr.

Der Stadtrat musste nun tätig werden und diskutierte ausgiebig über einige Varianten, allerdings mit keinem Wort über die Ursache der Notwendigkeit, für die „Amtlichen“ ein neues Medium zu finden. Mit einer Stimme Mehrheit entschied sich der Rat für die Tageszeitung „Rheinische Post“, deren Lokalredaktion in Geldern sitzt.

Mit deren Berichterstattung waren die Stadtoberen in den folgenden Jahren allerdings auch nicht restlos zufrieden. Das politische Rathaus zeigte sich über seine Darstellung in den Medien zunehmend unglücklich. Im Frühjahr 2001 brütete Stadtdirektor > Heinz Paal seine Idee aus, mit einem städtischen „Mitteilungsblatt“ den Medien zeigen, was eine schöne Harke ist. Die „Rathaus-Zeitung“ sollte einmal wöchentlich kostenlos verteilt werden - vorgeschlagen war ausgerechnet der Tag, an dem das KB herauskommt. Da kam bei den Kritikern des Kävels Bläche Freude auf: „Das wird ein KB-Killer“.

Der Plan eines städtischen Mitteilungsblatts wurde Ende April in einer Arbeitsgruppe detailliert besprochen - mit dem früheren Stadtdirektor und nun direkt gewählten Bürgermeister Heinz Paal, einigen Verwaltungsmitarbeitern und Ratsmitgliedern sowie dem Wirtschaftsförderer > Hans-Josef Kuypers. Sie beschlossen, am Konzept für ein Mitteilungsblatt zu feilen.

Kevelaers Vorbild waren Amtsblätter eines privaten Verlags in den Kleingemeinden Issum und Rheurdt. Dieser Verlag hatte der Stadt Kevelaer angeboten, für sie die Ausgaben herzustellen, den redaktionellen Inhalt zu redigieren, ein Botensystem aufzubauen und einen Anzeigenakquisiteur zu stellen. Das Blatt sollte die „Amtlichen Bekanntmachungen“, die zur Zeit noch kostenpflichtig in der „Rheinischen Post“ veröffentlicht wurden, bekommen und zusätzlich gewerbliche Anzeigen aufnehmen. Gleichwohl müsste die Stadt zuzahlen, weil die „Kostendeckung nur teilweise über Werbung“ erfolgen könnte.

Die presserechtliche Verantwortung für den Inhalt sollte ein Verlagsmitarbeiter tragen, „Ortsbetreuer“ des Verlags sollten sich um Werbung und redaktionelle Texte kümmern. Um „Parteipropaganda“ - so das Protokoll einer Arbeitssitzung - abfedern zu können, sollte „die Verwaltung“ einen nicht näher erklärten Einfluss auf die Texte nehmen dürfen, ebenso bei „wallfahrtsbeeinträchtigenden Artikeln“. Einer redaktionellen Halbtagskraft sollte ein Redaktionsteam von vier bis fünf Verwaltungsleuten „zuarbeiten“. Und damit nichts aus dem Ruder liefe, sollten Leserbriefe - so schlug es der Verlag vor - grundsätzlich nicht aufgenommen werden.

Was die Stadt Kevelaer dazu trieb, ein Zeitungskonzept wie aus der Steinzeit der Medien aufzulegen, war auf den ersten Blick unverständlich. In keiner anderen Gemeinde des Kreises Kleve gab es schon damals einen so dicht besetzten Zeitungsmarkt wie in Kevelaer. Es lag allerdings keine Unkenntnis darüber vor, dass der relativ kleine Kevelaerer Zeitungsmarkt bereits stark besetzt war.

Bürgermeister Paal wusste genau, dass er mit einem „Rathaus-Blatt“ in den örtlichen Medienmarkt eingreifen würde. Sechs Jahre zuvor, als ein gleiches Medienprojekt schon einmal diskutiert wurde, hatte die Verwaltung noch Bedenken gehabt: „Die Herausgabe eines eigenen Amtsblattes in der von den Gemeinden Issum und Rheurdt praktizierten Form dürfte für die Stadt Kevelaer nicht infrage kommen. Zwar handelt es sich um eine kostengünstige Regelung (geschätzte Personalkosten etwa 10.000 DM jährlich), jedoch würde die Stadt damit in eine direkte Konkurrenz zur örtlichen Medienlandschaft treten, was aus Sicht der Verwaltung nicht angestrebt werden sollte.“

Damals war mitnichten das Kevelaerer Blatt gemeint gewesen, denn zu diesem Zeitpunkt besaß bereits die „Rheinische Post“ den Anzeigenauftrag „Amtliche Bekanntmachungen“.

Für die RP stand jetzt ein jährliches Auftragsvolumen von mehr als 50.000 Mark auf dem Spiel. Dabei hatten der Bürgermeister und seine Führungscrew noch vor einem Jahr exklusiv Redakteure der „Rheinischen Post“ auf eine Bowlingbahn nach Goch eingeladen, um in lockerer Atmosphäre zu überlegen, „wie die Pressearbeit verbessert und intensiviert werden kann“.

Ich kommentierte das Projekt „Rathaus-Zeitung“ im KB mit der Frage: „Welch’ eine kindliche Vorstellung muss das Rathaus von Zeitungsarbeit haben, wenn geglaubt wird, mit einer Halbtagskraft und einigen zuarbeitenden Verwaltungsleuten eine ernstzunehmende Zeitung auf den Markt bringen zu können?“ Anstatt stolz auf die besondere Medienlandschaft in Kevelaer zu sein - keine andere Stadt am Niederrhein hat wie Kevelaer eine eigene Zeitung -, wollten die Projektentwickler die Stadt Kevelaer wie unterversorgte Kleingemeinden behandeln, die mit selbst gestrickten Mitteilungsblättern das Selbstwertgefühl aufbesserten.

Und weiter hieß es im KB: „Die Bürger Kevelaers haben einen solchen Rückfall ins Kleinkarierte nicht verdient. Und die Verwaltungsmitarbeiter, denen eine journalistische Mitarbeit an dem Rathaus-Blatt zugemutet werden soll, sollten sich mit dem Hinweis verweigern, dass vor dem Zugang zum Journalistenberuf heute Ausbildung und akademisches Studium stehen. Sie würden als Laien auf einem Markt, der nirgendwo am Niederrhein dichter besetzt und härter umkämpft ist als in Kevelaer, vorgeführt. Diesen Flop sollten die Ratsmitglieder sich, den Bürgern und Verwaltungsmitarbeitern, aber auch unserem Bürgermeister ersparen.“

Die SPD winkte im Juni 2001 ab. „Dass die in letzter Zeit sich häufenden negativen Schlagzeilen Herrn Paal ein Dorn im Auge sind, können wir nachvollziehen, denn schlechte Politik zieht schlechte Presse nach sich.“ Darauf aber mit der Herausgabe einer eigenen vom Steuerzahler finanzierten Gegenzeitung zu reagieren, sei kaum eine angemessene Reaktion. Richtiger sei es, bessere Politik zu machen. Das Geld des Steuerzahlers „für selbstbeweihräuchernde Zeitungsberichterstattung aus dem Fenster zu werfen“, sei dem kritischen Wähler nicht begreiflich zu machen.

Das Projekt blieb in der Schublade, die „Rheinische Post“ behielt die „Amtlichen“ und in der CDU setzte ein Nachdenken darüber ein, mit welchem Spitzenkandidaten sie 2004 die Kommunalwahl bestreiten sollte - mit Bürgermeister Heinz Paal jedenfalls nicht.

Der Einzug von Bürgermeister Dr. Axel Stibi ins Rathaus wurde von vielen Bürgern, aber auch von uns Journalisten als eine Abkehr von der „alten Politik“ interpretiert. Den Neuanfang in der Wallfahrtsstadt begleiteten wir zwar wie gewohnt aus kritischer Distanz, freuten uns aber zugleich darüber, dass sich eine Wende in der Stadtpolitik anzubahnen schien. Wir fassten neues Vertrauen in die Politik, aus deren Reihen im Frühjahr 2005 die Initiative ergriffen wurde, das Kävels Bläche wieder zum Amtsblatt zu machen.

Das Vorhaben war mutig, denn dass die „Rheinische Post“ nicht darüber begeistert sein würde, einen so großen Anzeigenauftrag und zugleich den inoffiziellen Status „Amtsblatt“ zu verlieren, lag auf der Hand. Besonders aus CDU-Kreisen meldeten auswärtige, aber einflussreiche Politiker in Kevelaer nachdrücklich Bedenken an. Der Schritt könne sich für die CDU schädlich auswirken, falls der Ärger in die Berichterstattung einfließe.

Die Sorge war nicht aus der Luft gegriffen. Ein Informant des KB wollte wissen, dass der neue Lokalchef der „Rheinischen Post“ sich angeblich in Kevelaer bereits damit gebrüstet hätte, schon mehrere Rathäuser - im übertragenen Sinn - abgefackelt zu haben. Seine Zeitung stehe nach dem jüngst erfolgten Einzug der „Neuen Rhein-Zeitung“ in die Wallfahrtsstadt in direkter Konkurrenz mit einer Tageszeitung.

Im April 2005 brachten die Fraktionen KBV, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen ihren gemeinsamen Antrag ein, das Kevelaerer Blatt mit der Veröffentlichung der Amtlichen Bekanntmachungen zu beauftragen. Bürgermeister Dr. Axel Stibi erklärte in dieser Sitzung, er sei von einem Pressevertreter angerufen worden, der den vorliegenden Antrag kannte. Der Pressevertreter habe offen mit der Verschlechterung des Verhältnisses gedroht, falls sich der Bürgermeister nicht eindeutig zu seiner Zeitung als „Kevelaers Nr. 1“ bekennen würde.

Stibi betonte, dass jeder Pressevertreter, der meine, den Bürgermeister dieser Stadt mit solchen Aussagen beeindrucken oder manipulieren zu können, sich im Irrtum befinde. Wer auch immer meine, so vorgehen zu können, der gewinne nicht sein Vertrauen, sondern verspiele es.

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© Martin Willing 2012, 2013