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Die Zeit bei der RP in Emmerich
Meine Karriere bei der „Rheinischen Post" in Emmerich begann im Januar 1970 mit einer possenreifen Peinlichkeit. Ich musste, kaum dass ich die Aufgabe übernommen hatte, meinen neuen Arbeitgeber um eine Gehaltserhöhung bitten, weil mein Gehalt bei der RP, das ich Ende des Monats erstmals beziehen würde, um einen guten „Hunnie" niedriger lag als mein bisheriges bei der WAZ.
Ich hatte mich bei den Einstellungsgesprächen in Düsseldorf auf die Frage, was ich denn künftig verdienen wollte, aus Versehen selbst unterboten. Zwar war mir Geld auf dem Konto nicht unangenehm, aber im Kopf beschäftigte es mich nie vordergründig. Nun musste ich Düsseldorf gegenüber kleinlaut eingestehen, dass ich - durch meine dusselige Gehaltsforderung - bei der RP weniger verdienen würde als vorher. Das sei wohl nicht im Sinne der Erfinder. Der Verlag legte nach, und das Thema war erledigt.
Die Redaktion befand sich in der Kaßstraße neben dem Kino, was sehr hilfreich war, denn dort gab es, im Gegensatz zu den RP-Räumen, ein Klo. Ansonsten war die technische Ausstattung auf der Höhe ihrer Zeit. In der Redaktion stand sogar ein Fernschreiber, mit dessen Hilfe ich auch am Abend problemlos Texte in die Setzerei des Gelderner Druckhauses Schaffrath übermitteln konnte.
Bei meinem offiziellen Antrittsbesuch im Rathaus klappte mir vor Staunen fast der Kiefer herunter.
Einen solchen NSU RO 80 - ebenfalls in Grün - fuhr ich Anfang der 1970er-Jahre.
Kaum war ich mit meinem grünen NSU Ro 80 auf den Parkplatz gerollt, kamen mir Bürgermeister Franz Wolters und der legendäre > Willi Pieper, die graue Eminenz am unteren Niederrhein, entgegen und empfingen mich wie einen wichtigen Gast.
Das war ich aus Walsum, wo ich mich mit Bürgermeister und Stadtdirektor eher angelegt als angefreundet hatte, nicht gewohnt. Das kritisch-distanzierte Verhältnis zu den Stadtoberen in Walsum hatte sie allerdings nicht daran gehindert, zu meiner Abschiedsfeier zu kommen und mir eine kleine Wandtafel mit dem Stadtwappen zu schenken.
„Trotz seiner Jugend", hatte Georg W. Kruse, Chef der WAZ-Bezirksredaktion, in mein vom 31. Dezember 1969 datiertes Zeugnis geschrieben, „galt sein Wort, in Bericht oder Kommentar, in der Kommunalpolitik ebenso wie im gesellschaftlichen Leben. Er führte seine Feder mit Mut und ohne Rücksicht auf seine Person für die Zeitung und für die Stadt Walsum". Vielleicht hätte das der eine oder andere im Walsumer Rathaus auch unterschrieben.
Der
Empfang auf dem Parkplatz vor dem Emmericher Rathaus war der Beginn
einer langen Freundschaft, die meine dreieinhalbjährige Dienstzeit in
der Stadt am Rhein überdauerte. Besonders zu Willi Pieper, dem früheren
Landtagsabgeordneten, Bürgermeister von Emmerich und
CDU-Kreistagsfraktionsvorsitzenden im neuen Kreis Kleve, verband mich
eine lebenslange Beziehung.
Willi Pieper, Landtagsabgeordneter,
Bürgermeister, Kreistagsfraktionschef.
Ich achtete diesen Mann nicht nur, sondern hatte ihn immer auch in
meinem Herzen. Er war einer von drei Politikern in meinem Berufsleben,
mit denen ich mich geduzt habe.
Ende 2007 starb er im gesegneten Alter von fast 90 Jahren. In der ersten KB-Ausgabe von 2008 schrieb ich über den „wohl profiliertesten Politiker niederrheinischer Provenienz", der wenige Tage vor seinem Tod zum Ehrenbürger der Stadt Emmerich ernannt worden war, ohne die Urkunde noch selbst in Empfang nehmen zu können:
„Seine Verdienste um das Gemeinwesen, die ein Buch füllen würden, kann man in einem Zeitungsartikel nicht angemessen würdigen. Zwei Punkte seien herausgegriffen: Da ist zunächst die Brücke zwischen Emmerich und Kleve. An ihrem Bau hatte Willi Pieper nicht nur großen Anteil - er ist der Vater der Rheinbrücke. Und da ist die geistige Brücke zwischen den Regionen: Der Emmericher hat wie kein zweiter den neuen Kreis Kleve ans Laufen gebracht und ihn geformt und geprägt."
2007 in der St.-Aldegundis-Kirche zu
Emmerich: Kondolenzbuch für Willi Pieper.
Foto: Martin Willing
Anfang der 1970er-Jahre, als Pieper den Höhepunkt seiner Popularität und seines öffentlichen Ansehens erreicht zu haben schien, ließen Parteifreunde im Raum Wesel Querschüsse knallen. Innerparteiliche Konkurrenz scharrte mit den Hufen, denn Pieper, der „ewige“ Landtagsabgeordnete, sollte abgelöst werden.
Ich hatte Pieper und sein politisches Format inzwischen schätzen gelernt und beteiligte mich an dem publizistischen Feuer, das auch von der RP-Kreisredaktion in Wesel gegen den Emmericher abgeschossen wurde, nicht und trug manche betriebsinterne Diskussion mit meinem Lokalchef in Wesel aus.
Nach seinem Abschied aus der aktiven Politik hatten Pieper und ich über längere Zeit keinen Kontakt - bis jener Tag im Jahr 2003 kam, an dem er plötzlich in meinem Büro stand. Er hatte sich von seinem Sohn nach Winnekendonk fahren lassen, um mir zum 60. Geburtstag zu gratulieren. „Ich hänge sehr am dem Buch“, sagte Willi Pieper, der Kunstliebhaber, als er mir einen Bildband über Henri de Toulouse Lautrec aus seiner Bibliothek schenkte.
Emmerich war für den jungen Journalisten das schiere Kontrastprogramm zu Walsum, wo die NRZ mit Abstand die meisten Leser hatte. Auch die Nummer zwei, die RP, war in Walsum deutlich besser verbreitet als die WAZ, der ich, auf sehr schmaler Leserbasis beginnend, mit kämpferischem Journalismus erst einmal Aufmerksamkeit hatte verschaffen müssen. In Walsum hatte ich keine Gelegenheit verstreichen lassen, mich kritisch mit der städtischen Entwicklung der Bergarbeiterstadt und den politisch Verantwortlichen auseinander zu setzen.
In Emmerich, der letzten deutschen Stadt am Rhein, waren die Gewichte der Zeitungen anders verteilt. Hier standen sich mit RP und NRZ zwei Konkurrenzblätter gegenüber, die in Bedeutung und Auflage nicht wesentlich variierten. Die hohe Verbreitung in den so genannten bürgerlichen Kreisen verschaffte mir nicht nur Gehör, sondern auch eine neue Erfahrung: Meine journalistische Arbeit trug zum öffentlichen Meinungsbild bei und wirkte sich dadurch auf die Stadtpolitik aus.
Ich spürte mehr denn je die Verantwortung, die diesem Beruf innewohnt, und war gerne bereit und fest entschlossen, mit ihr sorgsam umzugehen. Dieses Bemühen um verantwortungsbewussten Journalismus mag der wichtigste Grund dafür gewesen sein, dass Politiker aller Fraktionen mir mit Achtung begegneten.
Der Konkurrenzkampf zwischen RP und NRZ in
Emmerich war sportlich, aber nicht verbissen. Mit Peter Ecke, dem etwas
älteren Kollegen von der Neuen Ruhr Zeitung, fühlte ich mich
geistesverwandt. Dass er sich seiner Kirche zugehörig fühlte,
verheimlichte er nicht.
Auch zu Horst Boch, seinem freien Mitarbeiter,
der im Hauptberuf Bediensteter der Stadtverwaltung war, gewann ich ein
fast freundschaftliches Verhältnis. Horst Boch übergab den
NRZ-Stenoblock eines Tages an seine Frau Gaby, die von nun an für das
Blatt schrieb. Während Horst Boch Jahre danach hauptamtlicher
Bürgermeister von Emmerich wurde, stieg Gaby Boch ganz in den
Journalismus ein und machte Karriere. Viele Jahre leitete sie die
NRZ-Kreisredaktion in Kleve.
Unsere Kontakte rissen nie ab. Als Delia Evers und ich im Jahr 2007 den Entschluss gefasst hatten, das Kevelaerer Blatt zu verkaufen, war es Gaby Boch, die wir zuerst informierten, woraus sich die Verhandlungen mit der WAZ Mediengruppe und schließlich ihre Übernahme des KB entwickelten.
Gaby Boch, langjährige Redaktionsleiterin der NRZ in Kleve.
Aber noch war ich bei der „Rheinischen Post" in Emmerich. Eines Tages - es war im Februar 1973 - rief mich der Chef vom Dienst, Horst Morgenbrod, an und verabredete ein Treffen mit mir in Emmerich. Er eröffnete mir, dass ich zum 1. Juli die Leitung der RP-Lokalredaktion für den Kreis Geldern übernehmen solle.
Die Kreisstadt Geldern hatte ich in den vergangenen Jahren häufig besucht, denn regelmäßig hatten die Redakteure der bei Schaffrath gedruckten RP-Ausgaben Umbruchdienst zu leisten, um ihr technisches Verständnis für das Zeitungsmachen zu schulen und die in Geldern beschäftigten Umbruchredakteure zu entlasten.
Natürlich fühlte ich mich von der Berufung zum Lokalchef geehrt, aber es konnte keinen Zweifel geben, dass ich in den drei Jahren ein Emmericher geworden war, der nicht leichten Herzens Adieu sagen konnte.
Gut zwei Monate nach meinem Wechsel nach Geldern verabschiedete mich der komplette Emmericher Stadtrat - am 4. September 1973 - auf einer „Sondersitzung" in den „Stadionterrassen". Mir wurde ein Bild des heimischen Malers Hein Driessen geschenkt. Ich revanchierte mich, und dabei hatte ich einen Kloß im Hals, mit dem Eingeständnis, dass ich in Emmerich meine bisher schönste Zeit erlebt hätte.
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© Martin Willing 2012, 2013