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DOKUMENTATION: Richard Schulte Staade und sein "Geistliches Wort"

Mariä Geburt

Das folgende "Geistliche Wort" hat Pfarrer Richard Schulte Staade, heute Ehrenbürger der Stadt Kevelaer, am 7. September 1997 im Radio (WDR 5) gesprochen:

Foto zeigt Richard Schulte StaadeDer heutige Tag hat in Kevelaer einen besonderen Rang. Tausende von Pilgern kommen heute und morgen zum Fest Mariä Geburt in die niederrheinische Stadt nahe der niederländischen Grenze. Sie feiern den Geburtstag der Mutter Jesu.

Richard Schulte Staade: "Geistliches Wort" auf WDR 5.

Das Fest entstand im Orient und wurde bereits im 5. Jahrhundert auch in Rom gefeiert. Der 8. September ist kein historisches Datum. Er läßt sich nicht durch Urkunden belegen. Wer beachtete schon damals in Israel die Geburt eines Mädchens aus einfachen Verhältnissen? Erst im Nachhinein, als man von dieser Frau sprach, ihr Name bekannt wurde, da besann man sich auf den Geburtstag, denn Mirjam, Maria, Ria, Mia, Mary, Marie, um nur einige Varianten zu nennen, sind heute die häufigsten Mädchennamen auf der ganzen Welt! Sowohl in Israel als auch bei Christen und Moslimen steht dieser Name hoch im Kurs. In der islamischen Mystik lesen wir: „Der persische Mystiker Ruzbiham-i Baqli sagt uns, wie Maria in der islamischen Tradition zum Symbol der menschlichen Seele geworden ist, der Seele, die durch die Gnade Gottes die höchste Weisheit wundersam gebären konnte“.

Aber nicht nur in der mystischen Tradition, sondern auch in der allgemeinen Überlieferung und Frömmigkeit spielt Maria eine wichtige Rolle. Noch heute kann man erleben, wie fromme Türken das angebliche Mariengrab auf dem Bülbüldaghi nahe Ephesus andachtsvoll besuchen. Der Koran nennt Maria als einzige Frau mit Namen und zahlreiche Überlieferungen preisen sie. Ihr Name taucht in der muslimischen Literatur immer wieder auf. In einer von dem Theologen Ibn Hanbal (gest. 955) überlieferten Tradition wird Maria als eine der vier besten Frauen, die je gelebt haben, bezeichnet. Der muslimische Biograph Attar schreibt, daß am Jüngsten Tag Gott den Menschen ins Paradies eintreten lassen wird und ausruft: „O Männer!“, und der erste Mensch, der eintritt, wird eine Frau sein: Maria, denn sie ist höher als alle anderen Menschen, Männer und Frauen. („Jesus und Maria in der islamischen Mystik“, Kösel, 1996).

Seit Menschengedenken faszinieren die Sterne die Menschen. Sie sind Ausdruck von Schönheit und Harmonie der Schöpfung, Bilder von Sehnsucht und Hoffnung. Dichtung und wissenschaftliche Forschung befassen sich mit ihnen. Wundert es da, daß sie auch Eingang in die Bildsprache religiösen Lebens gefunden haben?

Maria wird schon früh mit einem Stern verglichen, mit dem Morgenstern oder dem Meeresstern. Wer in klaren Nächten einmal den Himmel in den frühen Morgenstunden angeschaut hat, der wird die große weiße, silbernglänzende Scheibe des Morgensterns entdeckt haben. Man wird angerührt von seiner klaren Schönheit und Ruhe. Von ihm geht eine Signalwirkung aus. Jetzt beginnt der neue Tag, die Dunkelheit und Beklemmung, die Wirnis, der Sturm und die unheimlichen Nebel der Nacht sind vorüber. Die Welt beruhigt sich und ein neuer Tag beginnt. Die Nacht ist zu Ende!

Eine ähnliche Ausstrahlung, wie die des Morgensterns, hat Maria für Christen. Mit ihr beginnt etwas Neues, das Alte hat ein Ende, ist Vergangenheit geworden. Gottesferne, Verwirrung und Verirrung, menschliche Eigensinnigkeit, die Sehnsucht des Menschen nach Klarheit, die diesem Urbegehren nicht gerecht werden kann, haben ein Ende. Gott handelt. Er denkt an sein Geschöpf, wählt einen Menschen aus in der Generationenfolge Abrahams und seiner Nachkommen: Maria.

Sie ist wie der neue Tag. Wie nach einer unruhigen Nacht auf dem Krankenlager oder nach einem Schicksalschlag der Morgen kommt und das Gefühl wächst, es geht weiter, die Karten werden neu gegeben, so beginnt mit Maria eine neue Wirklichkeit für den Menschen in Gegenwart und Zukunft. Der Gruß des Engels „Ave Maria“ „Sei gegrüßt Maria, du bist voll der Gnade, der Herr ist mit dir“, und die Bereitschaft Marias: „Mir geschehe, wie du gesagt hast“, wendet das Los der Kinder Evas. „Ave Maria klare, die Lichter Morgenstern! Du bist ein Freud fürwahre des Himmels und der Erd...“, singen wir.

Gott erfüllt nicht immer unsere Erwartungen, wohl aber all seine Verheißungen. Auch darum geht es am 8. September, dem Fest Mariä Geburt. die Neuschöpfung Gottes ist im Gang, der erste Schritt ist getan. Gott gibt den Menschen nicht auf. Gott fängt mit jedem Menschen immer wieder neu an.

Der Hymnus „Ave maris stella - Sei gegrüßt, du Meerstern“ entstand im 9. Jahrhundert in St. Gallen. In einer Zeit ohne elektrisches Licht und Neonleuchten dienten Sonne, Mond und Sterne den Menschen als Orientierung. Vor allem für die Seefahrt waren sie wichtige Orientierungspunkte, um den rettenden Hafen zu erreichen und ans Ziel zu gelangen. In der Apostelgeschichte erzählt der Apostel Paulus von einem Schiffbruch. „Tagelang trieben wir in Dunkelheit und Finsternis, den Gewalten der Wogen ausgesetzt, herum, weder Mond noch Sonne oder Sterne zeigten sich, uns schwand alle Hoffnung auf Rettung! Orientierungslos trieben wir dahin“ (Apg. 27,20).

Menschliche Existenz als Fahrt auf stürmischen, dunklem Lebensmeer ist ein altes Gleichnis menschlichen Daseins, nicht nur im Christentum. Ungewißheit und Wagnis gehören zu den Bedingungen menschlicher Existenz (Peter Wust). Auf schwankenden Balken stehen, in der Gefahr, Halt und Richtung zu verlieren, in der Furcht vor dem Scheitern, so erfährt der Mensch Schicksalstunden seines Lebens.

Dann ist Maria wie ein Meeresstern, die Stella maris, und der Blick auf sie Orientierung, Aussicht, den sicheren Hafen zu erreichen, in Kevelaer singen wir oft - und es klingt wie eine Liebeslied an Maria: „Wunderschön prächtige, hohe und mächtige... Sonnenumglänzete, Sternenbekränzete, Leuchte und Trost auf der nächtlichen Fahrt“. Maria, unsere Schwester im Glauben und „Trösterin der Betrübten“ sie kann uns helfen, unser Leben unter einen guten Stern zu stellen, damit das Leben gelingt!

© Martin Willing 2012, 2013