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Stromversorgung in Kevelaer

1897 begann die Elektrifizierung der Wallfahrtsstadt

Elektrizitätswerk KevelaerDie Petroleumlampen schienen ausgedient zu haben. Allerdings war sich zu Beginn des Jahres 1889 der Gemeinderat von Kevelaer nicht im Klaren darüber, ob er sich für Gas oder Strom entscheiden sollte.

Das ehemalige Elektrizitätswerk
an der heutigen Johannesstraße.

Das Kävels Bläche meldete: "Es ist bereits eine Commission aus drei Herren gebildet worden, welche sich über die Vorzüge des ersteren oder letzteren Beleuchtungsmittels entscheiden soll. Daß dieser Plan im Verlaufe der Zeit zur Ausführung käme, würde offenbar die Bewohner hiesiger Gemeinde erfreuen. Vielleicht kommen wir später an dieser Stelle auf die Sache noch einmal zurück."

Das KB kam nicht, denn es gab in den folgenden Jahren nichts Neues zu berichten. Erst im Februar 1894 leuchtete die Stromdebatte wieder auf: "Nunmehr entspann sich eine recht interessante Debatte über die Beleuchtung Kevelaers", lesen wir im KB über eine Sitzung des Verschönerungsvereins, dessen Vorsitzender Kevelaers Bürgermeister Gerhard Leeuw war. "Nach allem dem, was wir in dieser Beziehung hörten, liegt die sog. Beleuchtungsfrage in den Händen einer aus Mitgliedern des Gemeinderathes zusammengesetzten Commission und wäre es zu wünschen, daß diese recht bald mit Vorschlägen eventl. Beschlüssen an die Oeffentlichkeit träte. Wir wollen vorderhand diese Frage nicht weiter hier erörtern."

Im Jahr darauf wurde eine neue "Beleuchtungs-Commission" unter Vorsitz von Bürgermeister Leeuw gegründet, die nun nicht länger fackelte. 1896 erhielt die Rheydter Firma Max Schorch & Cie. den Auftrag, in Kevelaer ein Elektrizitätswerk zu bauen. Diese erste elektrische Zentrale entstand 1897 am Deckersweg (heute Johannesstraße). Gleichzeitig wurde ein Freileitungsnetz errichtet. Für die Betreuung dieser oberirdischen Stromleitungen stellte die Gemeinde einen verbeamteten Obermonteur ein.

Zum ersten Mal leuchtete elektrisches Licht in Häusern Kevelaers und in den Amtsstuben der Bürgermeisterei am 3. September 1897. Wer sich ans Stromnetz anschließen lassen wollte, musste dafür, wie ein Ratsbeschluss von 1899 ausdrücklich festlegte, "die von der Gemeinde beorderten Monteure" in Anspruch nehmen.

Elektrizitätswerk Kevelaer1905 wurde das Kevelaerer Elektrizitätswerk erweitert und bekam seine bis heute erhaltene Fassade mit neugotischen und neobarocken Stilelementen.

Die neue Fassade.

1907 hatten von den fast 1.200 Wohnhäusern von Kevelaer bereits 312 Strom. Ein begeisterter Leserbriefschreiber lobte im April des selben Jahres im KB: "Die Wallfahrtszeit steht vor der Tür. (...) Anstatt der elendigen Petroleumlampen geben elektrische Bogen- und Glühlampen auch an den abgelegensten Stellen eine schöne Helligkeit."

Unterdessen schlossen die meisten Gemeinden und Städte in den niederrheinischen Landkreisen Stromlieferungsverträge mit dem RWE ab, das von dem bei Wesel gelegenenen Kraftwerk "Niederrhein" eine Stromleitung über die Weseler Eisenbahnbrücke bis nach Schravelen gebaut hatte.

Der erste Vertrag zwischen der Gemeinde Kevelaer und dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk wurde im Spätsommer 1913 vorbereitet. Das KB berichtete damals:

"In Gemäßheit des Beschlusses des Gemeinderates vom 20. August dieses Jahres fand in der Sitzung vom 13. des Monats unter Hinzuziehung des Sachverständigen, Stadtbaurat Lubszinski aus Krefeld, eine eingehende Besprechung der zwischen den Vertretern des RWE und der Deputation des hiesigen Elektrizitätswerkes bisher getroffenen Abmachungen statt. Es wurden die abweichenden Forderungen des Gemeinderates zur Übermittlung an das RWE geltend gemacht und beschlossen, von letzteren zunächst den Vertragsentwurf zu erbitten".

Am 14. Oktober 1913 wurde der Vertrag zwischen Kevelaer und RWE geschlossen. Daraufhin konnten im Gemeinde-Elektrizitätswerk die dampfenden und stinkenden Maschinen zur eigenen Stromherstellung abgebaut werden. Die Bürger profitierten doppelt: Die Umweltbelastung durch die Stromerzeuger mitten in der Gemeinde entfiel, und die Bezugspreise wurden gesenkt.

Freilich kamen nur die Bewohner im Ortskern in den Genuss der neuen Energie. In den Randbereichen Kevelaers, so an der Wettener und der Feldstraße, mussten die Bewohner noch auf Strom verzichten, wie ein Leserbriefschreiber Anfang 1927 im KB kritisierte: "Möchte die Bitte an die Gemeindeverwaltung richten, endlich einen Anfang zu machen mit der Anlegung des elektrischen Lichtes außerhalb Kevelaers."

1935 trennte sich Kevelaer endgültig von der Eigenversorgung und verkaufte dem RWE sein Elektrizitätswerk, aus dem ab 1913 ohnehin RWE-Strom floss. Zusammen mit der Gemeinde Issum war Kevelaer die letzte Gemeinde im Kreis Geldern, die sich im Sommer 1935 aus dem Strommarkt verabschiedete. Hauptgrund war die immer stärkere Stromnachfrage der Industrie-, Gewerbe- und Landwirtschaftsbetriebe, die die Investitionskraft der Gemeinde überfordert hätte. Die Stromleitungen, insgesamt 33 Kilometer lang, wiesen inzwischen "große Mängel" auf, wie in einer Gemeinderatssitzung im Juli 1935 dargestellt wurde. Eine Instandsetzung wäre für die Gemeinde "unerschwinglich" gewesen. Der Gemeinderat stimmte daher dem Verkauf zum 1. August 1935 umso bereitwilliger zu, als das RWE zugesichert hatte, die Arbeiter und Angestellten des Elektrizitätswerks zu übernehmen.

Die Folgen des Verkaufs von Werk und Leitungen an das RWE bekamen die Bürger schon im Jahr darauf zu spüren: Überall in den Straßen wurde nun gebuddelt, um die bis dahin oberirdischen Stromkabel im Ortskern unter die Erde zu legen.

In den umliegenden Gemeinden, die seit 1969 Ortsteile von Kevelaer sind, war die Elektrifizierung bis in die Nachkriegszeit lückenhaft. 1950 beschloss beispielsweise der Gemeinderat in Winnekendonk, Häuser und Katstellen im Außenbereich an das Stromnetz des RWE anzuschließen. Damit endete für manches Haus auf Schravelen und in Achterhoek das "Petroleum-Zeitalter".

1973 nahm das RWE eine neue Umspannanlage zwischen B 9 und Wettener Straße in Betrieb, deren Kapazität - so die Schätzung damals - bis zum Jahre 2000 reichen würde.

Die Konzessionsverträge, die das RWE-Unternehmen mit den Kommunen abschloss, hatten eine überaus lange Dauer und banden die Städte und Gemeinden über 20 Jahre oder sogar länger an den Konzern. Ohne dass es die Öffentlichkeit erfahren sollte, machte sich das RWE die Stadt- und Gemeinderäte durch Großzügigkeiten gewogen, solchen langfristigen Verträgen zuzustimmen. So bekam beispielsweise die Stadt Kevelaer 1993 für die Open-air-Kunstausstellung sculptura eine beachtliche Spende, die von der Stadt als Beitrag eines "nicht genannten Sponsors" bezeichnet wurde. Sponsor war, wie sich später herausstellte, das RWE. Im selben Jahr erhielt Kevelaer noch eine Geldspritze - diesmal 200.000 Mark, gespendet "von einem privaten Sponsor". Auch dieses Geld stammte aus der RWE-Kasse; es wurde für die Tiefenbohrung auf der Hüls eingesetzt, wo ein Kurzentrum entstehen sollte.

Trotz dieser "Wohltaten" scheute sich die SPD-Fraktion 1995 nicht, eine Überprüfung der Lieferverträge mit dem RWE zu beantragen, um gegebenenfalls Verhandlungen über neue Tarifstrukturen "zugunsten der Stadt Kevelaer zu führen".

Im Jahr darauf beauftragte in geheimer Sitzung der Hauptausschuss ein Ingenieurbüro mit einer Untersuchung der Frage, ob es sich für die Stadt wirtschaftlich lohne, Strom künftig wieder selbst zu erzeugen wie in den Anfangszeiten der Elektrifizierung. Bald darauf befasste sich die Stadt mit dem Projekt eines Blockheizkraftwerks für die Versorgung des Schulzentrums, wobei offen blieb, wer der Betreiber sein sollte: Stadt, Stadtwerke, RWE oder der Gasversorger NGW. Der Plan wurde aufgegeben.

Die langfristigen Konzessionsverträge wurden immer wieder von Kommunalpolitikern kritisiert. 2010 wollten die Grünen im Stadtrat das Thema aufrollen. Die KBV legte nach: Vor dem Hintergrund des Ende 2012 auslaufenden Konzessionsvertrags zwischen RWE und Stadt Kevelaer beantragte sie zu prüfen, ob die Stadtwerke künftig Strom (und Gas) zu betriebswirtschaftlich sinnvollen Konditionen liefern könnten. Heraus kam, was die Bürger seit 2011 von ihren Stadtwerken kaufen können: hundertprozentigen Naturstrom - gewonnen ohne Atomenergie.

Aber auch die Grundsatzfrage kam auf den Prüfstand. „Im Prinzip gibt es nur drei Optionen“, sagte Ratsmitglied Heinz-Peter Angenendt (Grüne) im Stadtrat im Herbst 2011: „Man kann generell die Konzessionsverträge mit den bisherigen Netzbetreibern abschließen, sich für andere Anbieter entscheiden oder versuchen, das eigene Stadtwerk als Netzgesellschaft zu betreiben.“ Die Stadt hatte sich alle Optionen offengehalten, indem sie den bis 2012 befristeten Konzessionsvertrag mit dem RWE rechtzeitig gekündigt hatte. Angenendt schlug vor, einem der potenten Netzbetreiber den Zuschlag zu geben, die Stadtwerke Kevelaer aber mit in den Vertrag einzubinden. Parteifreund Ulrich Hünerbein-Ahlers ergänzte: Falls RWE den besten Vertrag anbiete, solle man diesen auch annehmen, aber mit Einbindung der Kevelaerer Stadtwerke als Partner. Auch die CDU signalisierte Zustimmung. Ihr Pressesprecher Hubert van Meegen begrüßte eine Beteiligung der Kevelaerer Stadtwerke. Darüber dürfe "man nicht vergessen, dass man dann auch ein gewisses Risiko zu tragen hat".

Seit Gründung der NiersEnergie GmbH, die zu den Kevelaerer Stadtwerken gehört, haben die Einwohner eine "eigene" Alternative zum Strombezug durch RWE oder andere Anbieter. Weit mehr als 3.000 Haushalte in Kevelaer und Umgebung beziehen inzwischen den Öko-Strom.

Im April 2013 wurde mit RWE als Ergebnis eines Ausschreibungswettbewerbs ein neuer Konzessionsvertrag mit einer Laufzeit bis Ende 2032 geschlossen. Geplant war zudem die Gründung einer Beteiligungsgesellschaft mit den Stadtwerken Kevelaer.

© Martin Willing 2012, 2013