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Pflege zu Hause

Ambulante Pflege von den Anfängen bis heute 

Ambulante PflegeSeit 1995 ist die Pflegeversi-cherung in Kraft, und genau so lange sind viele Menschen besorgt über das, was sie kostet und was sie leistet. Besonders die ambulante Pflege, die von den Angehörigen unmittelbar miterlebt wird, löst Sorgen aus: Die Kosten der ambulanten Pflege und die Zahlungen der Kranken- und Pflegekassen driften dramatisch auseinander.

Im Alter zu Hause von einem Angehörigen liebevoll gepflegt:
der Idealfall.

Die Pflegekräfte müssen Zeit einsparen, um auszugleichen, was das Pflegegeld nicht mehr abdeckt. Dadurch gerät die Arbeitsqualität in Gefahr und nicht nur sie: "Die ambulante Pflege droht vor die Wand zu fahren" - so drückte es im Frühjahr 2013 Diözesan-Caritasdirektor Heinz-Josef Kessmann aus.

Jeder sechste Bürger im Kreis Kleve war 2011 älter als 65 Jahre. Der Anteil der "Senioren" wird von derzeit 19 auf 28 Prozent im Jahr 2030 steigen. Rund 10.500 Menschen waren im Berichtsjahr 2011 pflegebedürftig. Von den etwa 5.000 Einwohnern im Kreis Kleve, die Pflegegeld bezogen, wurden 2.600 ambulant (zu Hause) und 2.900 stationär (in Altenheimen) gepflegt. Die andere Hälfte der Pflegebedürftigen bekam keine Geldleistungen aus den Kranken- und Pflegekassen. Die meisten dürften zu Hause von Angehörigen gepflegt worden sein - auf eigene Kosten. Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen, so sagt die Statistik, werden in ihren eigenen vier Wänden betreut. Das entspricht auch den Wünschen der meisten Menschen. Sie wollen zu Hause bleiben und dort von einem Angehörigen, unterstützt durch professionelle Pflegekräfte, versorgt werden.

Dieser "Idealfall" ist keine Errungenschaft der Pflegeversicherung, sondern alte Tradition. So haben sich beispielsweise die Elisabethvereine, aus denen die Caritasverbände hervorgegangen sind, schon im 19. Jahrhundert intensiv um ambulante Kranken- und Altenpflege gekümmert. Die > Vorsehungsschwestern, deren Orden 1842 in Münster gegründet wurde, nahmen viele Jahrzehnte lang in Kevelaer diese sozialen Aufgaben wahr. Nicht von ungefähr blieben die krankenpflegenden Genossenschaften von der Verbannung aller Orden aus Preußen während des Kulturkampfs (1875) verschont.

Erst in den 1990er-Jahren und mit Inkrafttreten der Pflegeversicherung als Finanzierungsgrundlage entwickelten sich die modernen, professionellen Pflegedienste, die die ehrenamtliche Versorgung beispielsweise durch Ordensschwestern und Helferinnen von Wohlfahrtsverbänden zunehmend ersetzten. Immer mehr Altenheime schlossen sich zusammen, so auch das St.-Theresien-Stift in Weeze, das Katharinenhaus in Winnekendonk, das St.-Gerebernus-Altenheim in Sonsbeck und das Josefshaus in Wetten. Unter dem Dach der Caritasgesellschaft wurde auch die betriebswirtschaftliche Basis dieser Häuser erneuert. Weitere Häuser, die Pflegeleistungen anbieten, kamen auch in Kevelaer hinzu. Außerdem entwickelte sich ein Netz von Unternehmen, die ambulante Pflegedienste mit ausgebildeten Fachkräften leisten.

Als immer häufer darüber berichtet wurde, welche enormen Kosten entstehen, falls kein pflegender Angehöriger einen wichtigen Teil der Pflegearbeit leistet, kamen neue, früher nicht gekannte Sorgen auf: Zum einen mussten viele Menschen, die zum Pflegefall geworden waren, die erschütternde Erkenntnis verkraften, dass ihre Rente bei weitem nicht ausreichte, die Kosten zu decken. Sie waren plötzlich und unerwartet auf Zuwendungen der öffentlichen Hand angewiesen. Zum anderen mussten sich in solchen Fällen die Angehörigen von der Vorstellung verabschieden, sie würden noch etwas erben. Was die erbende Generation früher getrost im Hinterkopf haben durfte, wenn die eigene Zukunft geplant wurde, drohte nun ersatzlos von den Pflegekosten aufgezehrt zu werden. Und mancher Angehöriger musste sogar damit rechnen, mit seinem eigenen Vermögen zu den Kosten herangezogen zu werden. 

In dieser Bedrängnis tauchten, zunächst in Schwarzarbeit, Hilfskräfte aus Polen auf, die rund um die Uhr im Haushalt der zu pflegenden Person wohnten und unterm Strich deutlich weniger kosteten, als im Falle einer Unterbringung in einem Pflegeheim aufzubringen gewesen wäre. Dieser "Rettungsanker" wurde 2012 aus der rechtlichen Grauzone geholt, indem der Caritasverband Geldern-Kevelaer, die Diakonie im Kirchenkreis Kleve und andere Verbände solche ausländischen Hilfskräfte offiziell und in korrekt gestaltete Arbeitsverhältnisse vermittelte. Allerdings sollten sich diese Kräfte in der Regel auf hauswirtschaftliche Arbeiten beschränken. Für Pflegeleistungen muss nach wie vor ausgebildetes Fachpersonal eingesetzt werden.

Trotzdem bleibt die Verlockung, mit einer ausländischen "Rund-um-die-Uhr-Kraft" die hohen Pflegekosten wenigstens teilweise zu umgehen. Die Stiftung Warentest hat ausgerechnet, dass eine 24-Stunden-Betreuung zu Hause durch einen deutschen Pflegedienst wegen des wechselnden Einsatzes mehrerer Personen bis zu 10.000 Euro im Monat kosten könnte - unerschwinglich für die meisten Familien.

Mit einem symbolischen Protest machten im April 2013 mehr als 100 Caritas-Mitarbeiter aus dem Pflegedienst auf die Schere zwischen dem notwendigen Aufwand und dem tatsächlich bezahlten Aufwand aufmerksam. Sie ließen 2.000 Luftballons in den Himmel steigen. Den Pflegekräften würde zugemutet, ihre Arbeit fortschreitend zu "verdichten", also in immer kürzerer Zeit die selbe Leistung zu erbringen. In Zahlen ausgedrückt: Die Personalkosten stiegen in den letzten zehn Jahren um 20 Prozent, die Vergütung durch die Kassen aber nur um sieben Prozent. Und 2013 sollte die Vergütung sogar abgesenkt werden.

Caritas-Direktor Kessmann: "Der grundsätzlichen Zusage der Politik, es den Menschen zu ermöglichen, im eigenen Umfeld gepflegt zu werden, und die ambulante Pflege auszubauen, müssen eindeutige Taten folgen."

© Martin Willing 2012, 2013