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Gesichter eines Gnadenortes: Die Hostie

Über eine Oblate, die zum Leib und Blut Christi wird 

Gesichter eines GnadenortesEine Oblate wird während der Heiligen Messe an die Gläubigen ausgeteilt. Die Hostie ist kein bloßes Symbol für das Karfreitagsopfer. Bei der Wandlung, die Christus während der Messfeier durch seinen Stellvertreter, den Priester, vollzieht, wird aus Brot und Wein das, was Christus gesagt hat: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut“.

Die konsekrierte, verwandelte Hostie ist in der katholischen Kirche das sanctissimum - das Allerheiligste. Als Anfang Juli 1993 Einbrecher aus der Antoniuskapelle in Kevelaer den Tabernakel raubten, erschreckte die Gläubigen weniger der materielle Schaden als vielmehr der Diebstahl von 300 geweihten Hostien. Der Tabernakel wurde, stark beschädigt, 14 Tage später entdeckt, die Hostien blieben verschwunden.

Seit Anbeginn ist der Empfang der Heiligen Kommunion das zentrale Erlebnis im Dasein des gläubigen Katholiken. Zu keinem anderen Zeitpunkt weiß er sich Gott näher.

Hostienfrevel wie der in der Antoniuskapelle bestürzt die Glaubensgemeinschaft, weil sich jemand an dem vergreift, was ihr das Allerheiligste ist. Entsprechend scharf waren in früherer Zeit Strafen für solche blasphemische Taten, und in der Vorstellung der Menschen im Mittelalter ahndete Gott selbst so manchen Hostienfrevel, indem er dem Missetäter Schlimmes widerfahren ließ.

Hostienwunder, denen Wallfahrten nachfolgen, gehen häufig auf einen Frevel als Ursprungstat zurück. Sie werden besonders aus dem Mittelalter überliefert. Diese Wallfahrtsepoche wurde erst vor etwa zwei Jahrhunderten durch die von marianischen Mirakeln geprägte Zeit abgelöst, die bis heute anhält, wie sich in > Medjugorje in der Herzegowina (1981 Marienerscheinungen) besonders eindrucksvoll zeigt.

Als Ort des ersten Hostienwunders in Deutschland gilt das bayrische Bettbrunn im Bistum Regensburg. Die Legende erzählt, ein Hirte habe im 12. Jahrhundert zu Ostern kommuniziert, aber die Hostie nicht verschluckt, sondern mit nach Hause genommen. Er habe sie in einem ausgehöhlten Hirtenstock aufbewahrt, um sie ganz für sich im stillen zu verehren, denn der weite Weg in die Pfarrkirche sei ihm oft unmöglich gewesen.

Eines Tages habe er sich über das störrische Vieh so geärgert, dass er im Zorn den Stock mit der Hostie nach den Tieren warf, wobei diese herausfiel. „Wie auf einen Schlag stand das Vieh still und fiel wie im Gebet auf die Knie“, heißt es in der Überlieferung. Der erschrockene Hirte habe vergeblich versucht, die Hostie wieder aufzuheben, und auch der eilig herbeigerufene Pfarrer sei machtlos gewesen. Erst als der Bischof in feierlicher Prozession gekommen sei, habe sich die Hostie bergen lassen. An dieser Stelle wurde eine Kapelle gebaut, zu der bis heute Pilger wallfahren.

Das sogenannte „Blockade-Wunder“ im Zusammenhang mit der Hostie wiederholt sich in den Ursprungsmirakeln von Wallfahrtsorten, die auf einem Hostienwunder gründen, hundertfach in zahlreichen Variationen. Aus allen spricht der nicht steigerungsfähige Respekt vor dem, was Christen das Allerheiligste bedeutet. Es sind schöne, klare Bilder, die von jedem verstanden werden und die das kaum fassbare Mysterium der Heiligen Wandlung während der Messfeier fassbarer machen.

Solcher „Übersetzungen“ ist der Mensch, nicht nur der des Mittelalters, bedürftig. Er versteht die Geschichte von dem zornigen Hirten aus Bettbrunn vielleicht eher als eine theologisch korrekte Darstellung, wie wir sie in den Dokumenten des Konzils von Trient nachlesen können: „Um die ewige Erlösung zu wirken (Hebr. 9,12), wollte Christus sich einmal auf dem Altare des Kreuzes dem Vater zum Opfer darbringen. Deshalb brachte er beim letzten Abendmahl seinen Leib und sein Blut unter den Gestalten von Brot und Wein Gott Vater dar und wollte damit seiner Kirche ein Opfer hinterlassen, durch welches das blutige, einmal am Kreuze darzubringende Opfer vergegenwärtigt, das Andenken daran bis zum Ende der Welt festgehalten und seine heilsame Kraft zur Nachlassung der Sünden zugewendet würde, die von uns täglich begangen werden“ (Trid. Sess. XXII, c.1).

Den Zusammenhang zwischen Konzil und auflebenden Hostienwundern beschreibt Weihbischof > Heinrich Janssen im Kirchengeschichtsbuch (ab S. 397) so: „Unglaube und Sakramentenfrevel führen zu einem ´Hostienwunder`. Diese Entstehungsgeschichte ist im Zusammenhang mit den mittelalterlichen Kämpfen um die wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie zu sehen. Auf dem vierten Laterankonzil 1215 wurde die ´Realpräsenz Christi in der Eucharistie` zum Dogma erklärt und die Gläubigen zum Empfang der Eucharistie in der Osterzeit verpflichtet.“

Die Kranenburger Kreuzwallfahrt geht ebenfalls auf ein Hostienwunder zurück, das dem von Bettbrunn in Teilen ähnelt. Am Ostersonntag des Jahres 1280 empfing ein Kranenburger Hirte die Osterkommunion. Auch hier löste sich die Hostie nicht im Leib des Kommunizierenden auf, sondern fiel in einen hohlen Baum, nachdem sich der Hirte übergeben hatte. Der Hirte, so die Erzählung, alarmierte den Pfarrer, der vergeblich versuchte, die Hostie zu fassen. 28 Jahre danach, 1308, wurde der Baum gefällt. Aus dem gespaltenen Baum fiel eine gewachsene Figur des Gekreuzigten heraus: das künftige Kranenburger Kreuzheiligtum, zu dem auch viele Kevelaerer jährlich pilgern.

„Wundertätige oder - als Beleg für die reale Existenz Christi in der Brotsgestalt gedeutete - blutende Hostien wurden zu bevorzugten Zielen von Wallfahrten“, schreibt auch Autor Wilhelm Janssen in dem erwähnten Kirchengeschichtsbuch (S. 111). „Bekannteste Wallfahrtsstätte dieser Art war das mecklenburgische Wilsnack, das manchen Pilger vom Niederrhein angezogen haben dürfte.“ Auch in der Stiftskirche von Kleve sei eine Hostie verwahrt worden, die 1360 einige Blutstropfen abgesondert habe - Anlass zu einer jährlichen Stadtprozession.

Die Hostie in ihrer zum Allerheiligsten gewandelten Form steht im direkten Bezug zum „15. des Nissan“ im jüdischen Kalender, dem Karfreitag, dem Tag, an dem Jesus Christus um drei Uhr am Kreuz auf dem Kalvarienberg bei Jerusalem verstarb. „Kar“ ist abgeleitet vom althochdeutschen „Kara“ und bedeutet „Kummer, Klage“. Im Gedenken an den Tod Jesu findet an diesem Tag, der für evangelische Christen der höchste Tag im Kirchenjahr ist, keine Eucharistiefeier mit Kommunionausteilung statt, weil die geheiligte Hostie zugleich Auferstehung bedeutet und in ihr der auferstandene Christus nach katholischer Überzeugung persönlich gegenwärtig ist.

Nur in einer deutschen Kirche, nämlich in Delbrück, wird auch an Karfreitag die Kommunion ausgeteilt, und zwar aufgrund eines Privilegs, nachdem ein Ritter 1496 eine Reliquie vom Heiligen Kreuz aus Palästina mitgebracht hatte. (Susanne Hansen, Die deutschen Wallfahrtsorte, Augsburg 1991, S. 175) Des Todes Christi am Karfreitag wird bei jedem Kreuzweggang in der 12. Station gedacht.

In der Karwoche sind in den katholischen Kirchen als Zeichen für den bevorstehenden Tod des Erlösers alle Kreuze mit violetten Tüchern bedeckt, so auch das gotische Kreuz im Altarraum der Marienbasilika zu Kevelaer, das aus Flandern stammt, Ende des 15. Jahrhunderts geschaffen worden und in dessen Fuß eine Kreuzreliquie eingelassen ist. Auf dem Querbalken ist rückwärtig das alte griechische Wort aus der Karfreitagsliturgie zu lesen: „Barmherziger, heiliger, unsterblicher Gott“.

Diesem Wort begegnen wir auch in der Beschreibung eines der drei Seherkinder von Fatima, Schwester Lucia, die über eine Erscheinung vom 13. Juni 1929 während eines Gebets in der Kapelle des Ordenshauses in Tuy sagt:

„Das einzige Licht war das der ewigen Lampe. Auf einmal erhellte sich die Kapelle mit einem übernatürlichen Licht, und über dem Altar erschien ein Lichtkreuz, das bis zum Dach reichte. In einem helleren Licht sah man im oberen Teil des Kreuzes ein Männerantlitz mit dem Oberkörper, auf der Brust eine Lichttraube und, fest genagelt am Kreuz, den Körper eines anderen Mannes.

Etwas unter dem Gürtel, in der Luft schwebend, sah man einen Kelch und eine große Hostie, auf die einige Blutstropfen fielen, die über das Gesicht des Gekreuzigten und aus einer Brustwunde flossen. Während diese Tropfen auf die Hostie fielen, flossen sie in den Kelch hinein. Unter dem rechten Arm des Kreuzes war die Madonna (sie war die Madonna von Fatima, mit ihrem Unbefleckten Herzen in der linken Hand, ohne Schwert, noch Rosen, aber mit einer Dornen- und Flammenkrone) …

Unter dem linken Arm bildeten große Buchstaben so, als ob sie aus kristallenem Wasser wären, das auf den Altar floß, die Worte: ´Gnade und Barmherzigkeit`. Mir war klar, daß mir das Geheimnis der Heiligen Dreieinigkeit gezeigt worden ist, und ich empfing, über dieses Geheimnis, Aufklärungen, die zu enthüllen mir nicht erlaubt ist.“ (Redzioch Wlodzimierz, Unsere Liebe Frau von Fatima, Fatima 1994, S. 31.)

Das eucharistische Wunder, das sich in der Messe vollzieht, stand am Anfang und am Ende der zwei Jahrzehnte, in denen die noch lebende Visionärin von Fatima Erscheinungen hatte. Über ihre dritte Engel-Vision aus dem Jahr 1916 - die Marienerscheinung von Fatima erfolgte 1917 - sagt Schwester Lucia: „Der Engel hält einen Kelch und eine Hostie in den Händen. Aus der Hostie fallen in den Kelch Blutstropfen hinein.“

Das Verständnis der Katholiken von Hostie als dem sanctissimum hat sich seit dem Konzil von Trient nicht geändert, wohl die äußere Form des Kommunizierens. Seit Mitte der 1960er-Jahre wird im Gefolge der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils in deutschen Kirchen die „Handkommunion“ gereicht: Der Priester legt die Hostie nicht mehr auf die Zunge, sondern in die geöffnete Hand. In anderen Ländern, teilweise auch in Süddeutschland, ist es dabei geblieben, dass nur der Priester die Hostie anfasst. In Kreisen „fundamentalistischer“ Katholiken wird die Handkommunion abgelehnt. Beide Formen treffen wir in Fatima und Lourdes an.

An der Gnadenkapelle von Marpingen im Saarland, die nicht kirchlich eingeweiht ist - die Marienerscheinungen von 1876 in Marpingen werden vom Bistum Trier abgelehnt -, hing in den 1990er-Jahren ein Schild, das die Messbesucher bittet, „aus Respekt vor dem Allerheiligsten auf die Handkommunion zu verzichten“ und die Kommunion nur kniend zu empfangen.

Wer die konsekrierte Hostie im katholischen Sinn als Christi Leib und Blut versteht, kann eher nachvollziehen, dass einzelne Menschen unter der Wucht dieser Erkenntnisse von einem „normalen Leben“ ablassen und sich nur noch der Verherrlichung des Allerheiligsten widmen. So erging es der Österreicherin Antonia Lamberger, die 1972 in Klagenfurth Marienerscheinungen hatte und den Auftrag der „Königin vom kostbaren Blute“ in die Tat umsetzte, die „Armee vom Kostbaren Blut“ zu gründen. Das „kostbare Blut“ Christi, immerwährend zugegen in der geweihten Hostie und hingegeben zur Erlösung der Menschen, sei ihm durch seine Mutter gegeben worden.

Die zeitgenössische Seherin ist eine von vielen marianischen Visionären, die eine Miterlöserschaft Mariens ansprechen oder - wie 1983 bei einer weiteren (nicht anerkannten) Marienerscheinung in Marpingen - den Papst unverschlüsselt zum „letzten Mariendogma von der Miterlöserin, Mittlerin und Fürsprecherin“ auffordern.
Sehr viel einfacher und deswegen vielleicht auch mit geradezu überwältigendem Echo spricht Maria in den Visionen der sechs Kinder von Medjugorje (Herzegowina).

Seit dem 24. Juni 1981, der ersten von zahlreichen Marienerscheinungen und Marienbotschaften, die bis heute anhalten, verbreiten sich die Botschaften um die ganze Welt und ziehen besonders jugendliche und junge Pilger aus vielen Ländern an. Die Botschaften enden oft damit, daß Maria sagt: „Danke, daß ihr meinem Ruf gefolgt seid“. Die von den Kindern weitergegebenen Empfehlungen der Gottesmutter für ein christliches Leben sind ebenso einfach wie pragmatisch.

Auch wenn in der Außenansicht von Marienwallfahrtsorten es zuweilen nicht so scheint, als stehe die Heilige Messe mit Empfang der Kommunion im Mittelpunkt der Wallfahrt, ist die Eucharistiefeier Sinn und Schlusspunkt einer jeden Pilgerschaft. Das drückt die Praxis am Gnadenort Kevelaer aus. Hier werden jedes Jahr Hostien in sechsstelliger Zahl ausgeteilt, im 18. Jahrhundert wegen des Andranges - die große Basilika gab es damals noch nicht - sogar im Freien.

Auferstehung, Erlösung und unmittelbare Nähe zu Gott werden in der Kommunion den Menschen verheißen.

Der kleinen Mirjana, einem der Seherkinder von Medjugorje, sagt Maria: „Habt Zeit, zu Gott in die Kirche zu kommen! Kommt ins Haus eures Vaters!“

Das war am 28. Januar 1987. Eines der größten Probleme der Menschen scheint bis heute zu sein, keine Zeit zu haben.

© Martin Willing 2012, 2013