Erster
Weltkrieg (1914 - 1918)
►
Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli 1914
Das Dorf Winnekendonk am 3. Mobilmachungstag im Sommer
1914. Alle Dörfer des Grenzgebiets wurden abgeriegelt und deren Eingänge
streng bewacht wegen Spionagegefahr. Foto aus: Geldrischer
Heimatkalender 1939, S. 44
Bereits am 24. Juli 1914 tauchte in großer Aufmachung am Kopf
des damaligen Amtlichen Kreisblattes, der "Geldernschen Zeitung" im
Verlag Chr. Ed. Müller zu Geldern, eine kriegerische Schlagzeile auf:
"Vor dem Ausbruch des Krieges".
Anlass für die martialische Aussage war die Ermordung des
österreichischen Thronfolgers und seiner Gattin durch einen bosnischen
Studenten am 28. Juni. Die Bluttat führte direkt in eine internationale
Krise, da die serbische Regierung und die Öffentlichkeit zum Teil
hinter dem Attentäter standen. Daraufhin hatte Österreich-Ungarn,
gedeckt durch deutsche Treueversprechen, an Serbien ein Ultimatum
gestellt (23. Juli), in dem gefordert wurde, die Schuldigen zu
bestrafen und die Beteiligung Österreich-Ungarns an der Bluttat zu
untersuchen.
Serbien antwortete zwar kompromissbereit (25. Juli), aber
Österreich-Ungarn hielt die Reaktion für unbefriedigend, brach die
diplomatischen Beziehungen zu Serbien ab und rief die Teilmobilmachung
aus (25. Juli).
Am 28. Juli erklärte Österreich Serbien den Krieg.
Es war der Beginn des Ersten Weltkriegs. Britische und deutsche
Vermittlungsversuche hatten die Kriegserklärung nicht verhindern können.
Rußland antwortete auf die Kriegserklärung mit einer
Gesamtmobilmachung. Deutschland verschärfte die Situation und stellte am
31. Juli Ultimaten an Rußland (Einstellung der Mobilmachung) und
Frankreich (Neutralitätserklärung für den Fall eines deutsch-russischen
Konflikts). Da Rußland nicht reagierte, rief Deutschland die
Mobilmachung aus und erklärte gegenüber Rußland den Krieg (1. August).
Schon am Tag zuvor, 30. Juli, war durch Geldern das
Gerücht gelaufen, dass die jungen Männer zu den Fahnen gerufen würden.
Die künftigen Soldaten strömten in die Gelderner Kneipen, um die
neuesten Nachrichten aus Berlin zu hören. "Manche Arbeiter ließen sich
schon ihren Lohn auszahlen, um im Falle einer Mobilmachung gleich zur
Stelle zu sein. Am Abend kam es zu begeisterten Kundgebungen, und um
Mitternacht zogen Bürgergruppen zum Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem
Kleinen Markt. Dort wurden 'feurige Ansprachen' gehalten und
patriotische Lieder gesungen"
(Heinz Bosch, Illustrierte Geschichte
der Stadt Geldern 1848-1969, Band 2, Geldern 1998, S. 16).
Am 30. Juli erschien ein Extra-Blatt des "Kevelaerer Volksblatts":
"Mobilmachung in Deutschland". Am 1. August berichtete das Kävels
Bläche:
► "Die Spannung, ob Deutschland mobilisiert wird, hat heute ihren
Höhepunkt erreicht. In der Stunde, wo wir diese Zeilen vor
Redaktionsschluß schreiben, liegt noch keine definitive Nachricht über
die Mobilisierung unserer Wehrmacht vor. Doch ist diese ja nach den
vorangegangenen Meldungen stündlich zu erwarten. Seitens der
Eisenbahn-Direktion ist auf hiesiger Station der amtliche Fahrplan der
Pilgerzüge für Samstag und die folgenden Tage heute morgen eingegangen,
den wir an der üblichen Stelle veröffentlichen. Zweifellos werden die
Sonderzüge hier eintreffen, wenn bis morgen die Mobilisierung nicht
erfolgt. Im anderen Falle werden diese Züge nicht mehr abgelassen
werden. Sobald wir eine Nachricht hierüber von bahnamtlicher Seite
erhalten, werden wir diese durch Extrablatt unseren Lesern übermitteln."
Die Gemeinde Kevelaer erklärte sich bereit, für kurze Zeit Soldaten
aufzunehmen, und wurde zur Garnisonsstadt deklariert (28. November). Die
Soldaten wurden in Gaststätten und Privatquartieren untergebracht. In
Kevelaer wurden ein Kriegslazarett eingerichtet und die Küche im Marienheim
zur allgemeinen Suppenküche umgewandelt. Die Mädchen der Industriehandarbeitsschule nähten fortan warme Kleidung für die Soldaten
an der Front.
Europa stand unmittelbar davor, einen weltweiten Krieg anzuzetteln.
Deutschland erklärte Rußland den Krieg (1. August). Jetzt mobilisierte
Großbritannien seine Flotte (1. August) und sicherte Frankreich
Unterstützung zu (2. August). Kanada erklärte sich für den Fall eines
Krieges mit Großbritannien solidarisch (2. August). Deutschland
reagierte auf eine "unbefriedigende Antwort" aus Frankreich mit seiner
Kriegserklärung (3. August).
Hitler in der Menschenmasse vor der Feldherrnhalle in München:
"Hitler wurde wie andere Zehntausende vom nationalen Delirium erfaßt und
begrüßte den Krieg enthusiastisch" (Ian Kershaw, Hitler 1889 - 1936, S.
128). - Hitlers künftiger Photograph Heinrich Hoffmann, der diese
Großdemonstration in München fotografiert hatte, fertigte später
Vergrößerungen von der Aufnahme an und entdeckte das Gesicht des
25-jährigen Hitler, von Kriegsbegeisterung erfasst, in der Bildmitte.
In der allgemeinen "Kriegsverrücktheit" - allerorten hatte sich in
Deutschland überschäumende Begeisterung für den bevorstehenden
Waffengang gezeigt - ließ sich in München auch dieser Rekrut nur zu
gerne einberufen: Adolf Hitler, der am 2. August vor der
Feldherrnhalle in der Menschenmasse stand, die frenetisch die deutsche
Kriegserklärung an Rußland begrüßte - mit den Liedern "Die Wacht am
Rhein" und "Deutschland über alles".
Am ersten Mobilmachungstag (2. August) "waren die Straßen voller
einberufener Reservisten aus den Kreisen Geldern, Kleve und Moers
gewesen, die sich bei dem Bezirkskommando am Ostwall zur Aufstellung des
III. Reserve-Bataillons zu melden hatten. Unterkunft fanden die
künftigen Soldaten in den Schulräumen und in den Sälen der Gastronomie
sowie in zahlreichen Privatquartieren"
(Heinz Bosch, Illustrierte
Geschichte der Stadt Geldern 1848-1969, Band 2, Geldern 1998, S. 16).
Das Deutsche Reich kalkulierte mit der Neutralität Belgiens und der
Niederlande. Deutschland forderte dennoch ein Durchmarschrecht für
Belgien (2. August), das die belgische Regierung allerdings verweigerte
(3. August). Trotzdem marschierten deutsche Truppen unter Verletzung der
Neutralität Belgiens am 3. und 4. August durch das kleine Königreich.
Großbritannien war über diese Verletzung empört und forderte ultimativ
die Respektierung der Neutralität - was einer Kriegserklärung gleichkam
(4. August).
Der Beginn des Ersten Weltkriegs führte dazu, dass in den Kreisen
Geldern und Kleve ab dem 4. August die bis dahin planmäßig verkehrenden Eil- und
Personenzüge ihre Fahrten auf der Strecke "Cleve-Köln" und umgekehrt
einstellten. Es fuhren nur noch Militär-Lokalzüge.
Im Wallfahrtsort Kevelaer hielt sich die
Kriegsbegeisterung noch eher in Grenzen. Am 4. August versammelten sich
zahlreiche Kevelaerer zu einer Andacht vor der Gnadenkapelle. Dieser
ersten "Kriegsandacht" sollten viele weitere folgen. Sie wurden bei
ungünstiger Witterung in die Marienkirche (die spätere
Basilika) verlegt.
Die Gnadenkapelle zu Kevelaer (Aufnahme aus 1929).
Derweil musste sich Kevelaers Bürgermeister Mathias Marx um die sichere
Zustellung von Nachrichten kümmern. Er erließ am 4. August folgende
Amtliche Bekanntmachung:
► "Die zum militärischen Nachrichtendienst benutzten Brieftauben tragen
die ihnen anvertrauten Depeschen in Aluminiumhülsen, die an den
Schwanzfedern oder an den Ständern befestigt sind.
Bürgermeister Mathias Marx.
Tritt eine Taube mit Depesche in einem fremden Taubenschlage ein oder
wird sie eingefangen, so ist sie ohne Berührung der an ihr befindlichen
Depesche unverzüglich, falls eine Fortifikation am Orte, an diese,
andernfalls an die oberste Militär- oder Marinebehörde auszuhändigen.
Ist auch eine Militär- oder Marinebehörde nicht am Orte, so ist die
Taube an den Gemeindevorstand zu übergeben, der für die
Weiterbeförderung der Depesche an die Militärbehörde oder an den
Befehlshaber der nächsten Truppenabteilung sorgen wird.
Die Durchführung dieses Verfahrens erheischt die tätige Mitwirkung der
gesamten Bevölkerung. Von ihrer patriotischen Gesinnung wird erwartet,
daß jedermann, der in den Besitz einer Brieftaube gelangt, bereitwillig
den vorstehenden Anordnungen entsprechen wird.
Kevelaer, den 4. August 1914.
Der Bürgermeister: Marx."
Am selben Tag wurden am Niederrhein sämtliche
Volksschulen geschlossen. Die Schüler der Oberklassen sollten sich als
Erntearbeiter zur Verfügung stellen, um die zum Kriegsdienst
einberufenen Männer zu ersetzen und "in dieser entscheidenden Stunde für
die nationale Sache ein Opfer zu bringen."
Das Kävels Bläche berichtete am 5. August:
► "Im wirtschaftlichen Handel und Wandel machen sich bereits die ernsten
kriegerischen Zeiten bemerkbar. Die Lebensmittelgeschäfte konnten in den
letzten Tagen dem Andrang der Kunden kaum Stand halten und mußten
zeitweise wegen Überfüllung die Lokale schließen. Dabei war allenthalben
eine Preissteigerung der Waren zu konstatieren. Einer willkürlichen
Steigerung der Preise in diesen schweren Zeiten sollte aber
behördlicherseits zeitig ein Riegel vorgeschoben werden. (…) Sehen wir
den kommenden Ereignissen mit Gottvertrauen entgegen und beschreiten wir
den Weg, den uns E. Majestät der Kaiser gewiesen, als er der Berliner
Bevölkerung sagte, gehet in die Kirche und betet zu Gott um seine Gnade.
Wir gehen vielleicht schweren Zeiten entgegen; aber mit Mut und
Gottvertrauen stehen wir ihnen nicht ungerüstet gegenüber. Wird wirklich
das letzte und schwerste von uns verlangt, nun dann, wir sind bereit".
Die Kirche unterstützte die Bevölkerung in diesem Betreben: In einem
feierlichen Bittamt am 6. August in der Marienkirche (
Basilika) ging es
laut KB-Bericht um die "Erflehung des göttlichen Beistandes in den
unserem Vaterland bevorstehenden Kämpfen."
In Geldern rief die Pfarrgeistlichkeit die Reservisten zum Empfang der
heiligen Sakramente auf. Bei einer Bittandacht am 5. August war die
Gelderner Pfarrkirche überfüllt. "Die Beichtstühle der Pfarrkirche waren
bis in die späte Nacht umlagert, und auch am folgenden Tag eilten die
Soldaten vom Niederrhein zur Beichte und zum Empfang der Sakramente in
die Kirche."
(Heinz Bosch, Illustrierte Geschichte der Stadt Geldern
1848-1969, Band 2, Geldern 1998, S. 16).
Die Kevelaerer Zeitung wurde nunmehr nicht müde, die Leserschaft auf den Krieg
einzustimmen. Am 5. August schrieb sie unter der großen Überschrift
"Für's Vaterland":
► "Eine Schicksalsstunde hat für Europa geschlagen. (…)
So gewaltige Kräfte der Zerstörung, wie ein europäischer Krieg in der
Gegenwart sie entfesseln kann, sind bisher niemals entfaltet und
aufgespeichert worden."
Es folgte die (geschichtsklitternde)
Versicherung, dass nicht Deutschland Schuld habe an diesem Krieg. "Heute
muß auch das Deutsche Reich das Schwert ziehen. Die Treue gegen seine
Bundesgenossen und sein eigenes Lebensinteresse lassen ihm keine Wahl."
Der Artikel endete mit der fetten Schlagzeile, die quer über die
Zeitungsseite gedruckt war: "Mit Gott für König und Vaterland, für
Kaiser und Reich! Es lebe der Kaiser! Heil dem deutschen Vaterlande!"
Am 6. August erfuhren die Kevelaerer aus einer
Amtlichen Bekanntmachung
im KB:
► "Der Gemeinderat von Kevelaer hat in seiner heutigen Sitzung
beschlossen, aus Anlaß der gegenwärtigen Kriegslage bei den Schwestern
von der hiesigen Bewahrschule unter Mitwirkung des
Elisabethvereins eine
Volksküche einzurichten, in welcher den notleidenden Bewohnern von
Kevelaer bis auf weiteres jeden Mittag angemessene Kostportionen,
bestehend aus einer Suppe von Reis, Gerste, Hülsenfrüchten, Kartoffeln
u.s.w. mit Fleischbeilage verabreicht werden sollen.
Als Empfänger kommen inbetracht:
1. alle Familien, welche zur Zeit von der Armenverwaltung eine
fortlaufende oder periodische Unterstützung erhalten,
2. diejenigen bedürftigen Familien, deren Ernährer zu den Fahnen
einberufen sind,
3. solche Familien, die durch den Kriegszustand brotlos oder doch im
Verdienst erheblich geschmälert worden sind.
…
Kevelaer, den 6. August 1914.
Der Bürgermeister: Marx."
Die Verpflegung wurde teils kostenlos ausgegeben (an Menschen, die unter Nr. 1 fallen),
sonst waren 10 Pf. pro Portion zu zahlen. Menschen, die unter Nr. 2
fielen, bekamen das Geld von ihrer Unterstützung abgezogen; Menschen,
die unter Nr. 3 fielen, sollten das Geld nach dem Krieg zurückzahlen.
Und immer wieder Kriegsbegeisterung, so auch am 8. August im Kävels
Bläche:
► "Die Mobilmachung und die Kriegsnachrichten haben wie andernwärts, so
auch hier, helle Begeisterung erweckt, die ganz besonders in zahlreichen
Meldungen von Freiwilligen zum Ausdruck kommt. Es sollen annähernd 200
aus unserer Heimatgemeinde sein. Diese Zahlen sprechen für sich und
stellen den tapferen, vaterlandstreuen Söhnen des Niederrheins das
glänzendste Zeugnis aus. (…) Auf Wiedersehen, auf baldiges frohes
Wiedersehen, Ihr Wackeren, die ihr hinausziehen dürft, die Reihen jener
Tausenden zu vermehren, die schon gerüstet und gewappnet an des Reiches
Grenzen stehen. Auf Wiedersehen, Ihr Getreuen! Wir empfehlen euch dem
Schutze des Allmächtigen und seiner gnadenreichen Mutter, der 'Trösterin
der Betrübten' und wollen unsere Gebete so lange fortsetzen, bis wir
euch wohlbehalten wieder in unserer Mitte haben. Auf Wiedersehen!"
Eine bischöfliche Verordnung gestattete während des Krieges, bei
Arbeitskräftemangel dringende Feldarbeiten an den Sonn- und Feiertagen
auszuführen. Ferner wurde das Fast- und Abstinenzgebot völlig
dispensiert. Es durfte also an allen Tagen nach Belieben Fleisch
gegessen werden - so lange der Krieg dauerte.
Die Pfarrgeistlichkeit im Wallfahrtsort Kevelaer ließ
sich von der "Kriegsverrücktheit" allerdings kaum anstecken. Der Rektor
der Wallfahrt, Peter Kempkes, hatte sich am 7. August in die
Gnadenkapelle begeben und das Gnadenbild sichergestellt. Es war durch ein
altes Bild "Maria Kevelaer" ersetzt worden.
Pfarrer Peter Kempkes.
Das Original wurde im Boden des Umgangs der Kerzenkapelle vergraben.
Diese heimliche Arbeit, die von der Öffentlichkeit unbemerkt blieb,
führte Maurermeister Peter Tebartz aus. Dem
Gnadenbild wurde eine Urkunde beigegeben:
► "Dieses wahre Gnadenbild der Trösterin der Betrübten von Kevelaer
wurde aus Anlaß des Krieges aus der Gnadenkapelle genommen, durch ein
altes Bild Maria Kevelaer ersetzt, und im Boden des Umganges der
Kerzenkapelle vergraben durch Maurermeister Peter Tebartz. Gebe Gott,
dass diese Vorsorge unbegründet war und dass bald wieder ein glücklicher
und dauernder Friede uns werde. Kevelaer, den 7. Aug. 1914, G. Kempkes,
Pfr., Küppers, Kpl."
Bereits am 27. Oktober wurde das Gnadenbild aus seinem Versteck in der
Kerzenkapelle zurückgeholt, vorübergehend in einer eisernen Schachtel
aufbewahrt und am 1. Dezember 1914 an seinen angestammten Platz in der
Gnadenkapelle - durch Goldschmied Fr. Bausch in Gegenwart von Pfarrer
Kempkes - eingebaut.
Kerzenkapelle zu Kevelaer: Versteck für das Gnadenbild im Ersten
Weltkrieg.
Später - beim Vordringen der Kriegsgegner im Oktober
und November 1918 und bei den inneren Unruhen im Deutschen Reich - wurde
das Gnadenbild erneut vergraben - wiederum durch Maurermeister Peter
Tebartz, wie eine Urkunde vom 9. November 1918 vermerkt.
Mit Beginn der französischen Offensive gegen
Elsaß-Lothringen (14. August), die mit der Schlacht bei Mülhausen (19.
August) zum Stehen kam, startete auch die deutsche Offensive - mit
Einmarsch in Brüssel (20. August), raschem Einfall in Frankreich, der
die französische Regierung zum Ausweichen nach Bordeaux zwang (3.
September), und der Schlacht an der Marne (6. bis 9. September), die zum
Erstarren der Front führte.
Derweil wurden die Kevelaerer vom Kävels Bläche auf Kriegsbegeisterung
eingeschworen (15. August):
► "'Not lehrt beten', Not weckt aber auch Liebe. Schwere Zeiten sind
gekommen über unser liebes Vaterland, unsere Herzen seufzen tief auf.
Aber Freude durchdringt uns, wenn wir schauen allgemein die Flammen hl.
Begeisterung derer, die hinausrücken ins Feld der Ehre zum schweren
Kampf und Streit, sowie derer, die daheim bleiben, und da beten, daß der
l. Gott schütze und segne unser Vaterland und unsere Truppen.
Christliche Liebestätigkeit ist allüberall wirksam, wo es gilt, Not zu
lindern oder ihr vorzubeugen.
Von behördlicher Seite, von Vereinen und Privatpersonen ist schon vieles
geschehen. Auch in Kevelaer ist man nicht rückständig, es sei nur
erinnert an die bereits am Montag in Betrieb gesetzte Garküche bei den
Schwestern in der Bewahrschule, ferner [an] die einzelnen Vereine, die aus
ihrer Kasse eine ansehnliche Summe zur Linderung der allgemeinen Not zur
Verfügung gestellt haben.
Montag abend beschlossen die Mitglieder des Vorstandes des kath.
Arbeitervereins, das Vermögen des Vereins den Mitgliedern des Vereins
und den Angehörigen zur Verfügung zu stellen. (
... Es soll ...) Fürsorge getroffen werden, daß für die zur Fahne Einberufenen, sowie für
die Arbeitslosen die Beiträge für die Krankenkasse weitergezahlt werden,
damit vor allem bei der Familienversicherung die Angehörigen des Nutzens
der Krankenkasse nicht verlustig gehen. Ferner wurde die Einrichtung
eines Sekretariats zur Auskunft in allen Sachen, die sonst vom
Arbeitersekretär geregelt wurden, beschlossen. Sprechstunden sind
Mittwochs und Freitags von 6 - 8 Uhr nachmittags bei Herrn Braunmüller
(Mühlenstr.).
Schließlich wurde angeregt und sehr beifällig aufgenommen, daß
Gartenarbeiten u. s. w. bei Familien der Mitglieder, wo der Vater oder
Sohn eingezogen, von freiwilligen Arbeitern ohne jedes Entgelt
ausgeführt werden sollen. Weitere Entschließungen werden, wenn nötig,
folgen."
Gleichwohl sah es der Vermieter-Verein von Kevelaer für
nötig an, am 22. August diese Anzeige im KB aufzugeben:
► "Der Vermieter-Verein Kevelaer macht seine Mitglieder darauf
aufmerksam, daß der bestehende Kriegszustand die Zahlung der Miete nicht
aufhebt. Bedürftigen Familien kann auf Antrag die Miete gestundet
werden, und wollen sich dieselben mit ihrem Vermieter verständigen.
Der
Vorstand."
Am 9. September mahnte im KB das Ortskartell Kevelaer im Reichsdeutschen
Mittelstands-Verband:
► "Man begegnet zuweilen der Ansicht, daß nach dem Ausbruch des Krieges
die Bezahlung der Rechnungen der Handwerker und Kaufleute etc.
einstweilen nicht mehr zu erfolgen brauche. Diese Ansicht ist durchaus
irrig, da auch nach Eintritt der Mobilmachung die eingegangenen Verträge
und Zahlungsverpflichtungen unverändert in Geltung bleiben. Während die
Handwerker, Kaufleute und Gewerbetreibenden von ihren Gläubigern zur
Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten dringend angehalten werden, droht
andererseits der Eingang ihrer eigenen Forderungen zu stocken. Die
verehrten Mitbürger werden daher dringend gebeten, die Rechnungen sofort
zu bezahlen, soweit sie dazu auf irgendeine Weise in der Lage sind,
damit das Erwerbsleben im vaterländischen Interesse weiter geführt
werden kann."
Die erste Nachricht über einen gefallenen Soldaten aus
Kevelaer war bereits am 26. August im KB erschienen:
► "Wir erhalten die Trauernachricht, daß der Herr Lehrer Karl Hellwig,
Leutnant des Infant.-Reg. Nr. 144 in Metz, den Heldentod fürs Vaterland
starb." Gleichzeitig erschienen im KB die Traueranzeige der Familie
sowie Nachrufe des Turnvereins und der Lehrerschaft Kevelaers.
Am 9. September brachte das Kävels Bläche folgende Amtliche Bekanntmachung:
► "Durch die Unterbringung einer großen Anzahl Verwundeter in Kevelaer
ist eine ordnungsmäßige Versorgung des Ortes mit Lebensmitteln durchaus
erforderlich und wird deshalb den Verkäufern bis auf weiteres der Ankauf
marktgängiger Waren, wie von Eiern, Butter, Kartoffeln und Gemüse auf
dem Wochenmarkte erst ab 10 Uhr vormittags gestattet."
Gleichzeitig bat Bürgermeister Marx in einer zweiten Amtlichen
Bekanntmachung:
► "Diejenigen Bewohner von Kevelaer, welche geneigt sind, verwundeten
Kriegern ein helles, luftiges Zimmer mit voller Verpflegung gegen eine
tägliche Vergütung von zwei Mark (für jeden Offizier 2,50 Mk.) zur
Verfügung zu stellen, wollen sich vormittag bei mir melden."
In der gleichen KB-Ausgabe fand sich auch eine
Eigenanzeige der Druckerei und des Verlags J. Köster: "Patriotische
Kriegs-Postkarten in großer Auswahl soeben eingetroffen." Außerdem wurde
im KB (28. Oktober) für folgende Schriften geworben:
► "Soeben erschienen im Verlage von Butzon & Bercker m. b. H., Kevelaer:
Gottes Trost in Kriegsnot. Betrachtungen und Gebete zur Erbauung und
Aufmunterung für die Angehörigen der im Felde kämpfenden, verwundeten
und gefallenen Krieger. Von Th. Tremming, Rektor. Mit Genehmigung der
geistlichen Obrigkeit. Preis 50 Pfg.. Vorrätig bei J. Köster, Kevelaer."
Ferner wurden bei Köster angeboten: "Illustrierte Geschichte des
Weltkrieges 1914 mit vielen Kunstblättern und Karten. Eine fortlaufende
Kriegsgeschichte, Berichte von Kriegsschauplätzen, Mitteilungen von
Mitkämpfern u.s.w. Pro Heft 25 Pfg., Bisher sind 7 Hefte erschienen,
welche in grösserer Anzahl vorrätig sind. Bestellungen werden jederzeit
entgegengenommen." Der Kriegsverlauf wurde wie in einem
Fortsetzungsroman nachgezeichnet.
Am 30. September erschien im KB zum ersten Mal die
Rubrik "Ehren-Tafel". In einem dick schwarz umrandeten Kästchen stand
oben ein Emblem, bestehend aus Kreuz, Ehrenkranz und zwei sich
kreuzenden Gewehren, und dazu die Schrift: "Ehren-Tafel der im Felde gefallenen
Kämpfer der Bürgermeisterei Kevelaer aus dem Kriegsjahre 1914". Danach
folgten die Namen von Gefallenen. Ganz unten stand: "Wir bitten die
Angehörigen der etwa im Kriege Gefallenen, uns gefl. sofort Mitteilung
machen zu wollen, damit wir die Namen an dieser Stelle veröffentlichen
können."
Um die "Begeisterung" für den Kriegsdienst zu fördern, richtete
Kevelaers Bürgermeister Mathias Marx am 14. Oktober folgenden "Aufruf an
die Kevelaerer männliche Jugend":
► "Eine eiserne Zeit ist für unser Volk angebrochen, eine Zeit, welche
die höchsten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und den Opfermut
eines jeden stellt. Auch die heranwachsende Jugend soll nötigenfalls zu
militärischem Hilfs- und Arbeitsdienst nach Maßgabe ihrer körperlichen
Kräfte herangezogen werden.
Hierzu und für ihren späteren Dienst im Heere oder in der Marine bedarf
sie einer besonderen militärischen Vorbereitung. Auf Grund des
Ministerial-Erlasses vom 16. Aug. ds. Js. sollen auch in Kevelaer die
jungen Leute, gleichviel ob sie bereits einem Jugend-Verein angehören
oder nicht, gesammelt werden, um nach bestimmten, vom Kriegsministerium
gegebenen Richtlinien unverzüglich herangebildet zu werden.
Die jungen Leute werden in militärisch geordnete Gruppen
zusammengeschlossen und an bestimmten Nachmittagen in der Woche von
gedienten Leuten ausgebildet. Ein Ueben mit der Waffe findet nicht
statt.
Es wird darauf gerechnet, daß alle jungen Männer vom 16. bis zum 20.
Lebensjahre, insbesondere auch diejenigen, welche vorläufig vom
Heeresdienst zurückgestellt werden mußten, sich an dieser
vaterländischen Veranstaltung beteiligen werden. Ueber regelmäßigen
Besuch wird die von dem Kriegsministerium vorgeschriebene Bescheinigung
erteilt.
Die Kevelaerer Jugend hat stets gezeigt, daß sie für körperliche
Ausbildung, die ja in letzter Linie wieder für den Waffendienst tüchtig
machen soll, begeistert ist. Deshalb wird sie erst recht jetzt nicht
zurückstehen wollen, wo es sich unmittelbar um den Dienst des geliebten
Vaterlandes handelt.
Darum, Ihr jungen Kevelaerer, tretet in diese 'Jugendwehr' ein und
meldet euch zur Eintragung in die Stammrolle am Montag, den 19. ds.
Mts., nachmittags 2 Uhr auf dem Rathaus."
Mitte November wurde in Kevelaer mit Unterstützung der
Geistlichkeit eine solche
Jugendwehr gebildet. Über 100 junge Leute waren zur Stelle. Führer der
Kompanie war Vize-Feldwebel M. Hoymann. Als Zugführer fungierten
Hermann van Straelen, Joseph Plümpe und Albert Wilden. Pfarrer Peter
Kempkes forderte die Mitglieder der Jugendwehr auf, "den Geist der Zucht
und des Gehorsams sich anzugewöhnen, auch im kleinsten pünktlich zu
sein."
Die "Jungsoldaten" zwischen 16 und 20 Jahren wurden mittwochs und
sonntags unterrichtet und trainiert. Bei den Zeiten wurde Rücksicht
darauf genommen, dass die jungen Männer sonntags an der Kriegsandacht um
17.30 Uhr in der Marienkirche (
Basilika) teilnehmen konnten.
Mit dem Ende des ersten Kriegsjahrs 1914 und der
abrupten "Entgeisterung" über den Kriegseinsatz, der immer
mehr blutige
Opfer forderte, wandelte sich auch die Berichterstattung im Kävels
Bläche. War bis dahin immer bizarre Beschaulichkeit unter der Überschrift
"Der europäische Krieg" angesagt gewesen, hieß es ab der KB-Ausgabe vom 4.
November nur noch "Der Weltkrieg".
Die Kevelaerer waren in großer Sorge. Der Besuch der
Jahreshauptversammlung des Elisabethvereins - aus dem später die
Caritas-Konferenzen entstehen sollten - am 18. November war so
überwältigend, dass Pfarrer Peter Kempkes bei der Begrüßung sagen
konnte: "Elisabeth rief, und alle kamen". Den Festvortrag hielt Kaplan
Küppers: "Elisabeth und der Krieg".
Kevelaer war ab dem 28. November tatsächlich
eine Garnisonsstadt, wie eine
Amtliche Bekanntmachung vom 23.
November bestätigte:
Das
Hotel-Restaurant "Heidelberger Fass" auf einer zeitgenössischen
Ansichtskarte.
► "Nach einer Mitteilung des Königlichen Generalkommandos des VII.
Armee-Korps zu Münster werden vom nächsten Donnerstag ab in Kevelaer
zwei Rekruten-Depots in der Stärke von 5 Offizieren und 1400 Mann auf
mehrere Monate mit Verpflegung einquartiert."
Der Kölner Hof.
Ungefähr 10.000 "Landsturmleute" wurden während des Ersten Weltkriegs im
Gelderland untergebracht. Sie kamen in Trupps zu 500 und 600, wurden
hier kurz ausgebildet und dann im Ordnungsdienst, in der
Gefangenenüberwachung und unter Umständen auch an der Front eingesetzt.
In Kevelaer waren die Rekrutierten kaum zu übersehen und zu überhören.
Morgens war in aller Frühe lautstarkes Wecken. Die Signale schallten
durch Kevelaer. Dann war auf dem Platz neben dem "Heidelberger Faß"
Antreten. Hier wurden Befehle ausgegeben und in Empfang genommen. Dann
ging es entweder zur Instruktionsstunde im Saal des Gesellenhauses oder
zur
Tellerschen Wiese auf Winnekendonk zu, wo die Soldaten "geschliffen
wurden".
Die Kleiderkammer befand sich im "Kölner Hof". Dort wurden den
Soldaten die Uniformen ausgehändigt und angepasst. In der Schule waren
große Kessel aufgestellt, in denen das Mittagessen hergerichtet wurde.
Das erste Kriegsjahr ging zu Ende. Die schlimmsten
Stellungskämpfe der Geschichte, die Millionen Männern völlig sinnlos das
Leben kosteten, standen bevor. Und nach dem Krieg sollte mit
Dolchstoßlegenden vom eigenen Versagen abgelenkt werden, was den Boden
für den aufkommenden Nationalsozialismus bereitete.
Es war die Stunde Adolf Hitlers, der am 17. November 1914 die Explosion
einer französischen Granate, der beinahe der ganze Stab zum Opfer
gefallen wäre, überlebte. Hitler wurde für das Eiserne Kreuz
vorgeschlagen, weil er einige Tage zuvor mit einem Kameraden unter
feindlichem Beschuss das Leben des Kommandeurs geschützt hatte.
Am 23. Dezember empfing Hitler das Eiserne Kreuz II. Klasse. Es war, wie
er sagte, "der glücklichste Tag meines Lebens".
Stolz trug der Diktator das Eiserne Kreuz II. Klasse aus dem Ersten
Weltkrieg.
In Wirklichkeit war dieses Ereignis, wie wir heute wissen, der Beginn
des Aufstiegs eines Diktators, der Deutschland in den Untergang führen
sollte. Gleichzeitig löste Hitler den Holocaust an der Judenheit aus, um
diese von ihm gehasste Gruppe von der Landkarte verschwinden zu lassen -
das schlimmste Verbrechen an der Menschheit aller Zeiten.
Aus den vielen neuen Büchern zum Ersten Weltkrieg ragt die Arbeit von
Christopher Clark hervor: "Die Schlafwandler". Mit Clarks Werk scheint
sich ein Umdenken anzubahnen. "Die Deutschen tragen Schuld am Ersten
Weltkrieg - aber nicht mehr als andere" (
SPIEGEL). Die
Zeit
stellte eine "neue alte Lesart" fest (16.1.2014): "Die Staatsmänner
Europas haben gleichsam unwillenltich agiert, wie 'Schlafwandler' eben,
die sich der gefährlichen Konsequenzen ihres Tuns nicht bewusst sind."
Der Journalist und Historiker Volker Ullrich
(Abbildung r.), der 2013
mit einer
Hitler-Biografie
(Abbildung l.) auf den Markt gekommen ist, schrieb
in der
Zeit:
► "Offenkundig spielen hier auch tief sitzende Entlastungsbedürfnisse
eine Rolle: Wenn schon die deutsche Alleinschuld an der Entfesselung des
Zweiten Weltkriegs außer Zweifel steht, so will man doch wenigstens
nicht am Ersten Weltkrieg schuld gewesen sein, jedenfalls nicht
schuldiger als die anderen Mächte. Dieser Wunsch scheint umso
übermächtiger zu werden, je mehr Deutschland aufgrund seiner
ökonomischen Stärke eine führende Rolle in Europa spielt."
Weiterführende Links:
• EUROPEANA
(www.europeana1914-1918.eu)
•
Internationale Enzyklopädie des 1. Weltkriegs (www.1914-1918-online.net)
•
Erster Weltkrieg (www.bbc.co.uk/history/worldwars/wwone)
• Erster Weltkrieg
(www.iwm.org.uk)