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Friedhofsgärtner in Wetten | * 1934
Am letzten Tag des Jahres 1998 verabschiedete sich Viktor Broeckmann
nach 40 Jahren von seinem Amt als Friedhofsgärtner. Sein Geburtshaus ist
die Wettener Hirschquelle. In der Wohnung über der Gaststube seiner
Eltern Theodor und Luzie blähte der kleine Viktor vor 64 Jahren zum
ersten Mal kräftig seine Lungen auf. Es war Juli und brüllend heiß im
Haus, Hundstage. Unten in der Schenke ging der Alltag weiter; Viktor
wuchs mit seinen Brüdern in dem Wirtsbetrieb auf, saß mit vier Jahren
auf schweren Kaltblütern, ritt mit den „Dicken“ zum Schmied und in die
Wiesen; fünf seiner acht Volksschuljahre fielen in den Krieg, eine
bleibende Erinnerung: Die Kartoffelkäfersuche.
Eigentlich wollte der junge Viktor Bauer werden wie sein Vater („Tiere
haben mich immer interessiert“), doch dazu gehörte ein Hof, und den
hatte er nicht. 1948 begann er eine Gärtnerlehre; er erinnert sich gern
an seine Jahre bei Rogmann auf der Berendonk: „Da gab es eine richtige
Kameradschaft“. Während er weitere Betriebe kennen lernte, bereitete er
sich auf seine Prüfung zum Gärtnermeister vor: Am 4. August 1958 bekam
er seinen Brief.
Das Jahr 1958 hatte es in sich: Er trat der Feuerwehr, der CDU und dem
Reiterverein bei, machte sich im Oktober als Gärtnermeister
selbstständig und übernahm im November Pflege und Totengräberdienste auf
dem Wettener Friedhof. Bald stand die vierte Beerdigung an: Es war sein
eigener Vater, für den er das Grab ausheben musste.
Theodor Broeckmann war jahrelang mit einem Gummiwagen, gezogen von
Pferdchen Bubi, zur Molkerei gefahren, hatte Milch getankt und vor den
Haustüren in die bereitgestellten Kannen gefüllt - begleitet von Sohn
Viktor. Nach dem Tod des Vaters fuhr der junge Broeckmann noch ein paar
Jahre weiter, ehe er sich ganz auf Gärtnerei und Friedhof konzentrierte.
Seit dieser Zeit hat Viktor Broeckmann 996 Mal geholfen, dass
Verstorbene in Würde zu Grabe getragen wurden. Er ging mit den
Hinterbliebenen auf den Friedhof, wählte mit ihnen den gewünschten Platz
für die Beerdigung aus, hob die Erde aus, band die Kränze. Er hat
Menschen in allen Gefühlslagen von Schmerz und Verzweiflung gesehen und
stets darauf geachtet, was er sagte. „Ein falsches Wort kann lange
nachgetragen werden“. Er hat nicht immer auf Abstand gehen können. „In
den 40 Jahren musste ich 39 Unfalltote beerdigen, darunter viele junge
Leute. Das ging mir an die Nieren“. Er grub die Stelle für die Frau
seines Freundes und „konnte das Grab kaum zumachen“.
In der Regel hat er versucht, seine Dienste auf dem Friedhof wie seine
übrige Arbeit in der Gärtnerei zu sehen: Man könne nicht bei jeder
Beerdigung über den Tod nachdenken. So ist der Friedhof für ihn ein
Stück berufliches Zuhause, das er kennt, wie kein zweiter. Er weiß noch
wie der erste Tote hieß, den er beerdigt hat und dass er beim Ausheben
auf ein Skelett stieß. Über drei Jahrzehnte grub er mit Schüppe und
Spaten.
Im Winter war das eine Tortur. „Manchmal hatten wir so starken
Frost, dass der Boden 60 Zentimeter tief gefroren war. Da mussten wir
durch“. Es gab keine Hilfsmittel - bis ihn der alte Theodor de Jong, von
Hause aus Holzschuhmacher und hilfsweise Totengräber, auf die Idee
brachte, die steinharte Erde mit Holzkeilen zu spalten. Erst 1991 nahm
Broeckmann einen kleinen Bagger in Betrieb.
Als er anfing, war der Friedhof von seiner heute wohl geordneten Form
weit entfernt. Die Gräber lagen verstreut im Gelände, Reihen und Wege
gab es kaum. Wenn er mit einer Schubkarre von einem Ende zum anderen
wollte, fuhr er im Zickzack oder musste über die Gräber. Viktor
Broeckmann setzte Pfählchen, legte Reihen an, verschob, immer in
Rücksprache mit den Hinterbliebenen, Grabstellen an die Wege heran.
Acht, neun Jahre brauchte er, bis er die Ordnung hatte, die er sich
wünschte. Er pflegte den Friedhof und kümmerte sich um 1300 Meter
Hecken, hatte im Laufe der Jahrzehnte fast jedes Grab in Bearbeitung.
Was Viktor Broeckmann im Laufe seines Berufslebens erfahren hat, wird
zur Geschichte, so wie die Geschichte von Marie („die weiß sofort, wer
gemeint ist, wenn ihr Name fällt“). Sie macht sich Sorgen über ihre
Beerdigung und trägt Broeckmann immer wieder auf: „Guck bloß, dass ich
richtig tot bin, wenn Du mich unter die Erde bringst“. Broeckmann pflegt
dann zu sagen: „Gut, Marie, Du kriegst ein Klämmerchen auf die Nase“.
Nach seinem Abschied vom Amt wollte Broeckmann kürzer treten, auch in
anderen Bereichen, wollte „nicht mehr ewig“ Vorsitzender im Reiterverein
„Von Bredow" sein (über 25 Jahre hatte er auf dem Buckel) und das Leben
mit seiner Frau Annemie genießen. Unvergessen war das Jahr 1988, in dem
er für die Geselligen Vereine die Festkette im Dorf tragen durfte.
Festkettenträger Viktor Broeckmann
nimmt die Gratulation seines Bruders
> Hans Broeckmann entgegen
(1988).
Die Gärtnerei, die er fast ohne Hilfe aufgebaut hat und in der er
Schnittblumen, Beetpflanzen und Kleinkoniferen groß gezogen hat, gab er
auf. Die Söhne haben sich in andere Richtungen entwickelt: Dr. Bernd
Broeckmann, Jahrgang 1964, ist Chemietechniker, Stefan Broeckmann,
Jahrgang 1967, hatte zwar zunächst gärtnerische Ambitionen, stieg aber
auf Informatik um.