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Bergmann, Ludwig
Mutiger Mann in der NSDAP-Zeit | * 1923 | † 1984

Foto zeigt Dr. Ludwig Bergmann
Im Haus des Schuhfabrikanten und Heimatdichters Theodor Bergmann herrschte im April 1923 Feierstimmung. Ein vierter Sohn war auf die Welt gekommen. In der Geburtsanzeige für Josef Ludwig schrieb der Vater: "Er wurde getauft in der Pfarrkirche zu Cleve. Seine Taufpaten waren der Reichstagsabgeordnete Josef Joos aus Mönchengladbach und Frau Hedwig Becker. Dem großen Zentrumsführer Windhorst zu Ehren haben wir ihn Ludwig genannt. Möge er seinem Vorbild folgen durch das ganze Leben.“

Ludwig Bergmann wurde zu einem Vorbild und zwar in der Braunen Zeit, als überall am Niederrhein Hass-Veranstaltungen der NSDAP gegen Bischof Clemens August Graf von Galen liefen.

Es war der Herbst 1941. Katholiken vom ganzen Niederrhein zeigten in der Marienstadt, dass sie zu von Galen und seinen „Brandpredigten“ standen, in denen er die Nazis der Euthanasie beschuldigte und ein Ende forderte. Vertreter aller Dekanate des Niederrheins, von Kevelaers Pastor Wilhelm Holtmann für den 14. September 1941 eingeladen, kamen mit dem Bischof in der Basilika zusammen, wo er mit 3000 Pilgern eine Firmerneuerungsfeier beging.

Zur gleichen Zeit brannte die NSDAP ein Feuerwerk von „Gegen-Veranstaltungen“ im Kreis Kleve ab, um mit „den Verrätern an der deutschen Volkseinheit“ (NSDAP-Kreisleiter Quella) abzurechnen. Die inszenierten „Volksaufstände“ gegen von Galen zogen sich bis Anfang Oktober hin. Die Schlag auf Schlag einberufenen NS-Versammlungen in Geldern, Weeze, Kevelaer, Issum, Sonsbeck und Straelen lieferten tumb-dumpfe Diffamierungen des Diözesanbischofs am Fließband.

Sie wären wohl in Vergessenheit geraten, wenn sich Gauamtsleiter Hamacher in der Gewalt gehabt hätte. Aber seine Entgleisungen auf der Anti-von-Galen-Veranstaltung im Weezer Lokal „van de Locht“ am 14. September, also am selben Tag, als 3000 Katholiken mit ihrem Bischof in Kevelaer feierten, überschritten jedes Maß.

Als Hamacher von der „Sau aus Münster“ gesprochen hatte, reichte es einem der Parteigenossen: Bauer Wilhelm Urselmann verließ sofort den Saal. Einige Besucher schlossen sich spontan an. Die anderen hörten sich die primitiven Beleidigungen an: „Steigbügelhalter des Bolschewismus“, „Sau hinter der Lambertikirche“, „das Schwein C.A.“, „Hoch- und Landesverräter“, „dieses Schwein zieht von Ort zu Ort“, „Man sollte diesem Ferkel … die Front öffnen, dann stände er da, wo er hin will und hin gehört, dieser vollgefressene Fettwanst“, „Dieser gemeine Landesverräter gehört an die Wand“ - all diese Aussagen wurden im Strafantrag, den das Bischöfliche Generalvikariat am 27. September beim Oberstaatsanwalt Kleve stellte - aktenkundig. Das Verfahren, es wundert nicht, versandete ergebnislos.

Die nicht enden wollenden Attacken gegen den populären Bischof sprachen sich unter den Katholiken am Niederrhein herum. In diesem Klima der Erregung berief die NSDAP für Donnerstag, 25. September, eine Veranstaltung im Kevelaerer Saal Schatorjé, Bahnstr. 23, ein. Guter Besuch war programmiert, denn den Belegschaften von Kevelaerer Unternehmen war die Teilnahme quasi zur Pflicht gemacht worden. In Betrieben versammelten sich gegen 19.15 Uhr Arbeiter und Angestellte, um geschlossen - ihre Betriebsfahne voran - zum Saal zu marschieren. „Schatorjé“ wurde zum Bersten voll.

Drei junge Kevelaerer, in der katholischen Jugendbewegung aktiv, darunter Ludwig Bergmann, mischten sich - verteilt über den Saal - unter die Besucher. Gegen 20.15 Uhr erteilte Ortsgruppenleiter Steinberger dem Redner des Abends, Kreisamtsleiter Dr. Reible, das Wort. Nach den üblichen Lobpreisungen des Führers und seiner Taten sagte Reible den entscheidenden Satz:

„Ich erkläre hiermit öffentlich: Bischof Clemens August ist ein Landes- und Volksverräter!“

In diesem Augenblick standen die drei jungen Kevelaerer auf. Sie hofften, dass möglichst viele Menschen mit ihnen den Saal verlassen würden. Doch nur einer erhob sich und folgte ihnen durch die Stuhlreihen zum Ausgang. In diesem Augenblick erfasste explosive Stille den Saal. Das Publikum schaute auf die Vier bei ihrem Spießrutenlauf. Männer in schwarzen Uniformen rempelten sie im Vorbeigehen an. Redner Reible, der erst verstummt war, schrie plötzlich los:

„Denen, die da hinausgehen, kann ich das auch noch schriftlich geben, dass Clemens August ein Landesverräter ist!“

Da passierte etwas Unglaubliches. Jemand sagte:

„Bitte, geben Sie mir das schriftlich!“

Alle Augen richteten sich auf den, der gesprochen hatte - auf einen Uniformierten, einen jungen Luftwaffensoldaten, Jakob Schmitz, auf Heimaturlaub bei seinen Eltern (Basilikastraße 31), Buchbindermeister von Beruf, Mitglied der Kolpingfamilie.

Reible fand seine Fassung wieder.

„Das können Sie haben am Schluss meiner Ausführungen“, erwiderte er und redete noch etwa eine Viertelstunde. Dann setzte er mit einem dreifachen „Sieg Heil“ den Schlusspunkt. Das Deutschlandlied erklang, danach das Horst-Wessel-Lied.

Und wieder passierte etwas Unglaubliches: Der junge Soldat begab sich nach vorn ans Rednerpult, um „es“ schriftlich zu bekommen. Die Leute, die sich bereits zum Ausgang bewegt hatten, blieben stehen und beobachteten, wie Jakob Schmitz dem Redner ein Blatt Papier reichte. Reible zögerte, während zwischen dem Soldaten und Kreisleiter Quella Worte gewechselt wurden, die man hinten im Saal aber nicht verstand. Aber wir wissen aus den Akten zum späteren Strafverfahren gegen ihn (am 3. Oktober stellte das Bischöfliche Generalvikariat Strafantrag gegen Reible wegen Beleidigung des Bischofs), was Quella, Reible und Jakob Schmitz in etwa sagten:

„Wofür wollen Sie die Bescheinigung haben?“

„Ich kann mir nicht gefallen lassen, dass ein Landesverräter noch frei herumläuft“, antwortete Jakob Schmitz listig.

Dann sahen die neugierig gewordenen Besucher, dass Quella auf Reible einredete. Derweil schrieb Jakob Schmitz auf das Blatt Papier den Satz vor:

„Bischof Clemens August ist ein Landesverräter."

Eine groteske Szene: Der Soldat reichte Reible den Zettel zur Unterschrift, und der unterschrieb ihn tatsächlich. Schmitz nahm das Blatt Papier, grüßte militärisch, begab sich zur Theke, trank einen Schnaps und verließ, angerempelt von Uniformierten, den Saal Schatorjé. Auf der Straße folgten ihm mehrere Leute, die er bald abschütteln konnte.

Am nächsten Morgen erschienen zwei Gestapo-Leute im Priesterhaus und verlangten von Pastor Holtmann die Herausgabe des Zettels. Holtmann, der längst informiert war, sagte wahrheitsgemäß, er habe den Zettel nicht.

Aber er besorgte ihn sich sofort.

Der Pastor suchte Jakob Schmitz in dessen Wohnung auf, bat um das Dokument und brachte es am selben Tag zum Generalvikariat in Münster. Von dort wurden die vier jungen Männer, die in Kevelaer nach dem Angriff auf den Bischof den Saal verlassen hatten, gefragt, ob sie sich als Zeugen in einem Prozess zur Verfügung stellen würden.

Sie sagten zu, wie den Akten zu entnehmen ist. Ihre Hoffnung, dass andere im Saal ihrem Beispiel folgen würden, erfüllte sich nicht. Ludwig Bergmann, Josef Heckens und Peter Heckens, aktive Mitarbeiter der Katholischen Jugendbewegung, blieben aber nicht ganz allein. Der junge Mann, der spontan aufgestanden war und ebenfalls den Saal verlassen hatte, war Leo Feddema, ein junger Niederländer aus Weeze. Von Jakob Schmitz, dem Kolpingsohn in Uniform, wussten sie zu diesem Zeitpunkt nichts. Beide Aktionen liefen getrennt und wurden erst im Strafverfahren zu einer gemeinsamen Sache - mit Jakob Schmitz als dem „Inhaber“ des Dokuments und den vier jungen Männern als Augen- und Ohrenzeugen. Dass auch dieses Verfahren ergebnislos blieb, sei noch angemerkt, ebenso die gute Nachricht, dass keiner der mutigen jungen Männer später behelligt wurde.

Der Heimatkalender von 1982 hat allerdings festgehalten, dass Ludwig Bergmann damals vor versammelter HJ-Mannschaft (Hitlerjugend) wie folgt abgekanzelt wurde: "Der darf in unserem Staat nicht die Uni besuchen; der kann Schuhmacher werden!" Daraufhin wurde er aus der HJ ausgestoßen. Einer Vorladung zum Parteigericht in Geldern entzog er sich durch Vorlage eines Gesundheitsattestes. Obwohl er bei der Musterung als nicht kriegsdienstverwendungsfähig eingestuft worden war, wurde er kurzfristig eingezogen und befand sich in weniger als acht Wochen an der Ostfront.

Nach einer schweren Kopfverwundung wurde er aus der Wehrmacht entlassen. Nunmehr wagte man es nicht mehr, seinem Studium etwas in den Weg zu legen.

Promoviert wurde er mit dem Thema "Wallfahrtsorte und Wallfahrtsbrauchtum am unteren Niederrhein" 1949. Später arbeitete er als Studiendirektor am Gymnasium Thomaeum zu Kempen.

Die Folgen der Kriegsverletzung bestimmten sein Leben. Am Einschusskanal des Granatsplitters bildete sich ein Gehirntumor, der ihn nach langer, schwerer Krankheit 1984 zu Hause sterben ließ.