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Bergbau und Kevelaer

Nach der Stilllegung der letzten Zeche: Kamp-Lintfort

Letzte Zeche: Kamp-LintfortAls der Bergknappenverein St. Barbara den Geselligen Vereinen Kevelaer beitrat - das war 1953 -, stand der Bergbau noch in Saft und Kraft. Hunderte Kevelaerer verdienten ihr Brot auf Zechen am Niederrhein und pendelten täglich vom Wohnort zum Schacht.

Auch die letzte Zeche am Niederrhein wurde stillgelegt: Friedrich Heinrich in Kamp-Linfort.

Heute, jeder weiß es, ist der deutsche Bergbau ein auslaufendes Modell, die Subventionen werden eingestellt. Ende Dezember 2012 wurde Friedrich Heinrich in Kamp-Linfort, die letzte Zeche am Niederrhein, stillgelegt. Das alte Kumpel-Lied Glückauf, Glückauf, der Steiger kommt wird endgültig Folklore.

Der Steiger kommt nicht mehr. Er ist gegangen.

1959 wurde Karl Melzer als Festkettenträger in Kevelaer proklamiert. Zum ersten Mal war der heimische Bergknappenverein festgebender Verein. Sein Adjutant Walter Bruckmann trug zehn Jahre danach selbst die Festkette. Und noch zwei Mal durfte der Bergknappenverein die gemeinsame Kirmes ausrichten: 1987 mit Heinrich Vos und 2002 mit Herbert Holz als Festkettenträger. Der Bergknappenverein wird weiter bestehen, aber der Bergbau, seine „Basis“, wird schon der nächsten Generation fremd.

Vielleicht muss man die großindustrielle Aura der Bergwerksgewaltigen selbst erlebt haben, um das Ausmaß zu verstehen, wie tief der Bergbau im Bewusstsein der Menschen von heute abgesunken ist. In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre hatte der Verfasser dieses Berichts beruflich mit Bergwerksdirektor Dr. Barking in Walsum wiederholt zu tun. In der hochherrschaftlichen Vorstandsetage der Zeche Walsum wehte dem Besucher der Hauch der Thyssen-Dynastie entgegen, nicht nur wegen der Bilder der Gründerfamilie an den Wänden. Es war, als ruhte die deutsche Wirtschaft auf diesem Industriezweig. Und so war es zeitweilig auch.

Aber das ist längst Geschichte. Das Bergwerk Walsum fuhr im Juni 2008 die letzte Schicht. Es war das letzte noch aktiv fördernde Steinkohle-Bergwerk auf dem Gebiet der Stadt Duisburg.

Der industrielle Bergbau am unteren Niederrhein begann 1851 mit dem Antrag des Kommerzienrats Haniel, nach Steinkohle in einem linksrheinischen Grubenfeld bohren zu dürfen. Er nannte das Feld Rheinpreußen.

Mit wieder aufgenommenen Bohrungen wurde Anfang des 20. Jahrhunderts die Blütezeit des linksrheinischen Bergbaus eingeleitet. Darüber schrieb Theo Bercker im Geldrischen Heimatkalender 1957 (S. 49):

Auf jede fündig gewordene Bohrung wurde ein Normalfeld von 2,2 qkm verliehen. Bis heute sind am linken Niederrhein 900 qkm Bergwerkseigentum an verschiedene Gesellschaften verliehen worden. (...) Fünf verschiedene Gesellschaften fördern hier bereits Kohle. Die nördlichste Schachtanlage sind die Schächte 1/2 der Steinkohlenbergwerk Friedrich Heinrich A.G. in Kamp-Lintfort, deren Konzessionsgebiet weiter nordwestlich bis Sevelen und Hörstgen reicht. Damit steht der Steinkohlenbergbau bis dicht vor den südlichen Toren des Kreises Geldern. (...)

Aus der Karte der Bergwerksfelder am linken Niederrhein ist ersichtlich, daß die bisherigen und die als geplant bezeichneten Schachtanlagen in der Hauptsache auf einer von Rheinhausen aus nordwestlich verlaufenden Linie liegen, deren bisher nördlichster Punkt die geplanten Schächte bei Hörstgen und Sevelen sind. Verlängert man diese Linie nach Nordwesten hin, so läuft sie weiter zwischen Geldern und Issum und zwischen Kevelaer und Sonsbeck.

Während aber im Süden des linksrheinischen Gebietes die kohleführenden Schichten noch verhältnismäßig günstig liegen - bei Traar 230 m, Lintfort 330 m - fällt das Steinkohlengebirge nach Nordwesten flach ab. Das heißt nichts anderes, als daß hier die Kohle immer schwieriger zu erreichen ist. So liegt die oberste Kohle bei Weeze in 900 m, bei Kalkar in 1000 und bei Xanten in 1100 m Tiefe.

Der Kevelaerer Heimatkalender-Autor vermutete 1957, dass sich der „Bergbau, der den Kohlen folgen muß, unzweifelhaft nach Norden bzw. Nordwesten hin weiter ausdehnen“ werde. „Es wird aber wohl noch eine Reihe von Jahren dauern, ehe innerhalb des Kreises Geldern der erste Schacht niedergetrieben wird.“

Das war, obgleich es schließlich anders kam, eine Annahme auf realistischer Grundlage. In Kevelaer waren Ende 1902 auf einer Wiese an der Gelderner Straße Gerüste aufgebaut worden. Die internationale Bohrgesellschaft A. G. (Erkelenz) unternahm Bohrversuche auf Kohlen. Gefunden wurde in der Tiefe keine Kohle, sondern ein mächtiges Salzlager.

Im Bereich Kervenheim (Gelände von W. Büns) stand 1902 ein Bohrturm an der Straße nach Kevelaer in der Nähe von Grüntjeshof. Im selben Jahr war man auch in Wetten mit der Errichtung eines Bohrturms beschäftigt. Das Kävels Bläche vom 24. Dezember 1902 berichtete über Wetten:

Wie an mehreren Orten im Kreise Geldern, so wird auch im hiesigen Gemeindebezirke von zwei Bohrgesellschaften auf Kohlen gebohrt. Die Bohrgesellschaft Zeche Rheinpreußen bohrte hier an der Chaussee nach Kevelaer und sie hatte das Glück, Kohlen in einer Schicht von 2 1/2 Meter anzubohren. Das freudige Ereignis wurde gestern, nachdem eine Anzahl fachkundiger Herren das Resultat untersucht hatten, würdig gefeiert.

Zwei Jahre nach dem großen Salzfund bei Bohrungen an der Gelderner Straße in Kevelaer stieß man doch noch auf Kohle, und zwar in einer Tiefe von 526 Metern. Die Kohlenschicht hatte eine Stärke von annähernd einem Meter. Gefördert wurde nichts, die Kohle blieb für immer unten.

1905 kam es auf Schravelen zu jener erfolglosen Bohrung, die uns noch heute beschäftigt: Statt auf Kohle war der Bohrkopf in ein riesiges Salzwasserreservoire gestoßen. Die Brühe, die nach oben spritzte, sorgte damals für Ärger und Aufregung bei den Bergleuten und - gut 80 Jahre danach - beim Kevelaerer Stadtdirektor > Heinz Paal für einen Gedankenblitz: Das Solewasser, das sich überall in den Tiefen unter Kevelaer befindet, könnte für ein > balnearisches Kur- und Erholungszentrum zu nutzen sein. Aber auch daraus wurde nichts.

Der „gefräßige“ Bergbau ließ den Kreis Geldern - jedenfalls oberirdisch - unberührt. Er sorgte dafür in einer anderen Branche für Konjunktur: Der im Ruhrgebiet und bald auch am Niederrhein boomende Bergbau erzeugte einen gewaltigen Bedarf an berufsmäßiger Kleidung. Davon profitierte die Schuhfabrikation in Kevelaer und in der ganzen Region stark.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen Bergleute und ihr Beruf wiederum und für lange Zeit in hohem Ansehen. Ende der 1960er-Jahre bahnte sich ein Wandel an, als Absatzprobleme und andere wirtschaftliche Faktoren eine Konzentrationswelle auslösten, die zur Gründung der Ruhrkohle AG führte. Unrentable Zechen wurden stillgelegt - ein bis dahin unvorstellbarer Vorgang.

In Kamp-Lintfort wurden im Bergwerk West der Deutschen Steinkohle AG (DSK), das 2001 durch Vereinigung der selbstständigen Bergwerke Friedrich Heinrich (Kamp-Lintfort) und Rheinland mit dem Bergwerk Niederberg entstanden war, 3,2 Millionen Tonnen jährlich zu Tage gebracht. 3.800 Mitarbeiter waren im Bergwerk West beschäftigt.

Sieben Bergwerke waren es einmal am Niederrhein - mit 25.000 Bergleuten. Zumindest der Bergknappenverein wird in Kevelaer die Erinnerung an diesen einst blühenden Industriezweig wach halten.

© Martin Willing 2012, 2013