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MARIENFRIED (2)

Willst du uns etwas sagen?

Erfahrungen im Marienwallfahrtsort Marienfried

 Marienfried, der Erscheinungsort von 1946, wird von der katholischen Kirche weiter untersucht - aus gutem Grund: „Marienfried“ gilt vielen als glaubhaft.

Gnadenkapelle MarienfriedNach einem halben Tag auf der Autobahn ist Ulm erreicht, wenig später auch der kleine Ort Pfaffenhofen. Auf einem Hügel am Ortsrand liegt, gut ausgeschildert, die Gebetsstätte Marienfried.

Die Gnadenkapelle von Marienfried.

Der Wagen wird auf dem Parkplatz vor dem kleinen Friedhof abgestellt. Wir gehen an der Pilgerhalle vorbei in einen Waldweg. Warum Marienfried so heißt, erfährt man hier: Die friedliche Stille, die unter den alten Bäumen am Waldweg liegt, überträgt sich mit jedem Schritt auf den Besucher. Der Lärm des Alltags bleibt zurück. Tiefer im Wald stoßen wir auf eine kleine Lourdes-Grotte. Später stehen wir vor einer Fatima-Gebetsstätte. Ihr Vorplatz ist befestigt und kann viele Gläubige aufnehmen.

Zwischen den Stationen „Lourdes“ und „Fatima“, durch ein kleines Waldstück vor der Landstraße geschützt, leuchtet dem Besucher eine schneeweiße Kapelle entgegen, deren Zwiebeltürmchen von einem goldenen Kreuz gekrönt ist. Zunächst als Dankkapelle für den Schutz Mariens geplant, ist sie nach den Erscheinungen zur Gnadenkapelle erhoben worden, eingeweiht mit bischöflicher Genehmigung im Mai 1947. Mit Bezug auf den Schönstatt-Namen und die zentrale Marienfried-Aussage („Große Gnadenvermittlerin“) heißt die Kapelle „Dreimal Wunderbare Mutter und Mittlerin der Gnaden“.

Bei meinem Marienfried-Besuch wird in der Gnadenkapelle gerade eine hl. Messe zelebriert. Alle 50, 60 Plätze in der Kapelle sind besetzt. An Hauptfesttagen wird in der Marienfriedkirche jenseits der Landstraße die Eucharistie gefeiert. Diese Hallenkirche, die tausend Menschen aufnehmen kann, ist 1974 vom Augsburger Bischof Dr. Josef Stimpfle eingeweiht worden.

Seit jenem Jahr hat Marienfried ein Heim, das ganzjährig Pilger aufnimmt. „Haus Bethanien“ und „Haus Tabor“ runden zusammen mit einem Devotionalienladen die beachtliche Infrastruktur ab: Marienfried, das lässt sich unschwer an der liebevoll gepflegten Gesamtanlage ablesen, hat viele Förderer.

Abgelehnt, noch nicht entschieden oder anerkannt? Diese drei Varianten des Status’ einer Gnadenstätte durchziehen als Kernfrage die lange Geschichte deutscher Erscheinungsorte. Zumindest seit drei Jahrhunderten ist keiner anerkannt - mit einer Ausnahme, die von den Deutschen kaum zur Kenntnis genommen wird: Im ostpreußischen Dietrichswalde (Ermland, heute Polen) ist im Jahr 1877 die Gottesmutter viele Male zwei jungen Mädchen und zwei Frauen erschienen. Während erste Untersuchungen eher ablehnend ausgefallen sind, hat zur 100-Jahr-Feier im Jahr 1977 Kardinal Wojtyla, der spätere Papst, „Dietrichswalde“ anerkannt.

Das Einstufungsmuster („abgelehnt“, „noch nicht entschieden“, „anerkannt“) passt auf Marienfried schwerlich. Spätestens seit 1966 hat der zuständige Bischof von Augsburg alle Einschränkungen gegen Marienfried aufgehoben. Priester, darunter Bischöfe und Kardinäle, feiern in der Gebetsstätte die heilige Messe und fördern die Marienverehrung nach Kräften. Marianische Bewegungen wie „Schönstatt“, „Legio Mariä“ und auch die in Kevelaer aktive „Blaue Armee Mariens“ arbeiten hier ohne Einschränkungen und Vorbehalte. Es ist, als wäre „Marienfried“ de facto ein kirchlich anerkannter Erscheinungsort.

In der Gnadenkapelle und Marienfriedkirche liegen Schriften aus, die von dem Geschehen im Jahr 1946 berichten. Im offiziellen Wallfahrtsprospekt wird korrekt formuliert: „Viele Menschen glauben, daß die Gottesmutter an den genannten Tagen hier erschienen ist“. Auch hohe kirchliche Würdenträger, die Marienfried besuchen, benutzen solche Formulierungen, mit denen einem endgültigen Urteil der Kirche nicht vorgegriffen wird.

Seit 1950 liegt der Bericht einer ersten Untersuchungskommission vor, in dem es heißt, dass die Botschaften von Marienfried der katholischen Lehre nicht widersprechen; die Übernatürlichkeit der Erscheinungen stehe allerdings nicht fest, insbesondere deswegen nicht, weil ein Wunder als Bestätigung und damit eine wesentliche Voraussetzung für die Anerkennung fehlt.

Daraufhin hat der Bischof 1950 den Pfarrer angewiesen, über die Erscheinungen nicht zu predigen, weil sie nicht als echt erwiesen seien. Diese Weisung ist freilich nicht kirchenamtlich bekanntgemacht worden und gilt deshalb nicht als definitive Ablehnung, von der die Kirche nur schwerlich wieder abrücken würde.

Innenansicht der GnadenkapelleDer Weg für weitere Untersuchungen ist also frei. Der Bischof von Augsburg, Dr. Viktor Josef Dammertz, befasst sich in dem Jahr unseres Besuchs intensiv mit diesem Wallfahrtsort.

Blick in die Gnadenkapelle von Marienfried.

Ein erstes Ergebnis ist, dass Marienfried in eine kirchliche Stiftung mit einem geistlichen Direktor umgewandelt worden ist. Außerdem hat Dammertz eine Kommission beauftragt, „Marienfried“ nach den vorgeschriebenen Regeln zu untersuchen.

In einer öffentlichen Erklärung von 1996 bittet der Bischof alle Gläubigen, mit ihm um den Beistand des Heiligen Geistes zu beten, damit die volle Wahrheit erkannt werde und zum Durchbruch komme. Er betont zugleich, dass nicht mit einer schnellen Entscheidung zu rechnen sei. Er werde alle Untersuchungsergebnisse gewissenhaft würdigen und eine abschließende Erklärung vor der Bekanntgabe dem Vatikan zur Begutachtung vorlegen.

Damit ist „Marienfried“ in der „Bewährungphase“ so weit fortgeschritten wie kaum ein zweiter, bisher nicht anerkannter Erscheinungsort in Deutschland. Am Ende könnte - muss aber nicht - die Anerkennung durch die Kirche stehen. Der Prozess wird sicherlich sehr lange dauern. Bischof Dammertz deutet es am 21. Juli 1996 beim Gottesdienst in Marienfried zum 50-jährigen Jubiläum der Gnadenstätte auch an: „Ich muss Sie um viel Geduld bitten“.

Für die Glaubwürdigkeit der Aussagen von Bärbel Rueß, der Seherin von Marienfried, spricht ihre christliche Lebensführung vor und nach dem Erscheinungsjahr. Sie verkörpert einen „neuen Typus“ von Seherin, denn die Mystikerin wird keine Nonne, sondern lebt im Einklang mit ihrer marianischen Frömmigkeit - soweit Außenstehende das beurteilen können - als Ehefrau und Mutter.

Wie alle Seher wird auch Bärbel Rueß nach dem Ursprungsmirakel gründlichen und unangenehmen Prüfungen unterzogen; sie wird verdächtigt und verleumdet und muss mit dem polizeilichen Vorwurf leben, ihre „Entführungsgeschichte“ erfunden zu haben.

Sie zieht sich nach ihrer Heirat mit Anton Rehm aus der Öffentlichkeit zurück und widmet sich ihrer Familie, die bald um fünf Kinder wächst. 30 Jahre später sagt sie ihrer Freundin Anna Humpf, der Schwester des Pastors von Pfaffenhofen: „Dass ich die Gottesmutter gesehen habe, weiß ich sicherer, als dass ich fünf Kinder geboren habe“. Nichts ist überliefert, das einem Zweifel oder gar Widerruf gleich käme.

Ein besonders wichtiger Zeuge ist ihr Ehemann Anton Rehm, Theologe und Diakon. Rehm sagt am 18. Mai dieses Jahres während eines Vortrages in Freising: „Ich war 40 Jahre mit Bärbel verheiratet - wo wäre ich hingekommen, wenn ich ihr nicht geglaubt hätte!“ Er habe 1947, ein Jahr nach den Erscheinungen, zum ersten Mal davon gehört. „Ich habe gesagt, der Inhalt der Botschaft konnte unmöglich von einem 22-jährigen Mädchen ohne theologische Ausbildung kommen“.

Bärbel Rueß spricht, obschon sie nach den Ereignissen von 1946 noch 50 Jahre lebt, außer zu ihrem Pfaffenhofener Pastor Humpf, ihrer Freundin Anna und den kirchlichen Beauftragten der ersten bischöflichen Untersuchungskommission offenbar nicht mehr über die Erscheinungen. Die Seherin, die sich bereits als junges Mädchen der Gottesmutter geweiht hat, redet sogar mit ihren Kindern nicht darüber.

Im Oktober 1996, 14 Tage vor ihrem Tod, als die an Multipler Sklerose erkrankte Frau im Krankenhaus liegt, sind es ihre Kinder, die auf „Marienfried“ zu sprechen kommen.

„Willst du uns nicht etwas sagen?“, fragen sie am Krankenbett.

„Nicht hier“, antwortet Bärbel Rueß, „erst zu Hause“.

Als Bärbel Rueß entlassen wird, um zu Hause zu sterben, ist das Endstadium ihrer Krankheit so weit fortgeschritten, dass sie nicht mehr sprechen kann.

Sie stirbt am 4. November 1996.

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© Martin Willing 2012, 2013