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Kevelaer im Jahr 1937

Als die NS-Zeit in brauner Hochblüte stand

Foto zeigt trommelndes Jungvolk in der NS-Zeit"Aus dem Leben der Städte, Aemter und Gemeinden des Kreises soll berichtet werden - von dem Aufschwung, den diese Gemeinwesen unter der Regierung Adolf Hitlers nahmen". So stimmte Landrat Bönner mit Ablauf des Jahres 1937 die Käufer und Leser einer neuen Jahresschrift ein, die der Kreis Geldern 1938 zum ersten Mal herausgab. Sie nannte sich "Heimatkalender 1938 - Kreis Geldern" und war die erste Ausgabe des heutigen Geldrischen Heimatkalenders (GHK).

Trommeln für den "Führer": Jungvolk im Kreis Geldern. Foto aus "Heimatkalender 1938".

Trotz der scheinbaren Betulichkeit, die Jahrzehnte später auf die Leser wie ein Schlafmittel wirkt, waren die vier "braunen" Jahrbücher von 1938 bis 1941 in erster Linie gleichgeschaltete Kampfblätter für "Blut und Boden", üble NS-Propaganda sowie Deutsch- und Heimattümeleien im Dienst einer sich über alles erhebenden "Herrenrasse".

Foto zeigt die Hauptstraße Kevelaer vor 19381937 standen die nationalsozialistischen Sümpfe, die schon wenige Jahre später alles verschlingen sollten, in ihrer Hochblüte. Kevelaer, die Wallfahrtsstadt, war kein politisches Biotop, sondern wie jede andere Kommune fest im Griff der NSDAP-Ratsfraktion, der Partei und des NS-Bürgermeisters.

Hauptstraße in Kevelaer vor 1938: Wo die Pilger zogen, marschierten auch SA, Jungvolk und Hitlerjugend. Foto aus "Heimatkalender 1938".

Was Kevelaer von anderen Städten am Niederrhein unterschied, war die fast vollständige Abwesenheit von Menschen, die Juden waren oder als Juden bezeichnet wurden. So konnte sich der Juden-Hass nicht an im Ort lebenden Menschen austoben, wie es in der Gelderner, Weezer oder Gocher Nachbarschaft geschah. Die Kevelaerer waren also keine besseren Menschen, sondern hatten nur das unverdiente "Glück", sich in der "Juden-Frage" nicht bewähren zu müssen.

Nach vier Jahren an der Macht war das Hitlerregime "stabil, stark und erfolgreich. Hitlers persönliche Stellung war unantastbar" (Ian Kershaw, Hitler 1936 - 1945, S. 64). Obwohl alle Bischöfe im unablässigen "Kirchenkampf" hätten begreifen müssen, was auf sie und die Menschen zukam, beteten einige von ihnen, so der evangelische Bischof in Bayern, Meiser, dem Volk vor: "Wir danken Dir, Herr, für alles, was Du in Deiner Gnade ihm [Adolf Hitler] bisher zum Wohle unseres Volkes hast gelingen lassen."

1937 - das war die Zeit, als auch in Kevelaer irritierend oft von "einerseits" und "andererseits" die Rede war: Einerseits pöbelten SA-Leute herum und zeigten die hässliche Seite des Nationalsozialismus, andererseits fühlten sich die Menschen  aufgerichtet. Sie waren nun wieder stolz auf ihr Land und glaubten, Hitler hätte sie aus der Niedergeschlagenheit des verlorenen Krieges herausgeführt und "von den Fesseln des schmachvollen Vertrags von Versailles befreit".

Als Heinrich Knechten sen., ein Gärtner aus Goch und nach dem Krieg CDU-Ratsherr in Kevelaer, den Reichsparteitag 1937 in Nürnberg miterlebte, sah er "Großartiges: Zigtausende von Menschen in SA-, SS- und HJ-Uniformen marschierten auf einem großen Platz auf. Alles machte auf mich einen unvergeßlichen Eindruck. Die Menschen hatten wieder das Gefühl, in einem Staat zu leben, der für seine Leute sorgte. Uns junge Menschen begeisterte damals der neue Stil, das Militär, die Aufzüge. Wir haben gar nicht begriffen, worauf das alles hinauslief" (Heinrich Knechten sen., Meine Lebenserinnerungen 1919 - 1993, S. 46). Knechtens Einschätzungen in seinen "Erinnerungen" treffen einen wesentlichen Punkt, der Hitlers geradezu religiöse Verehrung während der NS-Zeit erklärt.

Vor der Verführung waren natürlich auch die Kevelaerer nicht geschützt, wenngleich hier die Hemmschwellen sehr viel höher als anderswo lagen. Als im Wallfahrtsort 1937 die "braunen" NS-Gemeindeschwestern auftauchten, um die traditionelle Präsenz der kirchlich orientierten Ehrenamtlichen aus dem Elisabeth-Verein (aus dem sich nach dem Krieg die kfd entwickelte) zu verwässern oder gar zu ersetzen, reagierte die katholische Bevölkerung durchweg mit Ablehnung. Oft scheiterte die "braune Schwester" bereits an der Haustür, während durch den Hintereingang die Helferin des Elisabethvereins eingelassen wurde.

Foto zeigt das Kreisheimatmuseum in Kevelaer 1938 | "Haus der Heimat"Mit weiteren "Wohltaten" sollten Kevelaers Bürger auf die Partei gut eingestimmt werden: Anfang 1937 wurde im Marienpark der Grundstein für das neue "Haus der Heimat" gesetzt.

"Haus der Heimat" im Marienpark Kevelaer. Foto aus "Heimatkalender 1938".

Im Frühjahr 1938 wurde das Kreismuseum in Kevelaer eröffnet. Hier sollten die "Errungenschaften" des Dritten Reichs an lokalen Beispielen gezeigt und gefeiert werden.

Indes, Fliegerbomben legten es 1945 in Schutt und Asche. So schnell wie es errichtet worden war, so schnell verschwand es von der Bildfläche - ein kleines, längst vergessenes Zeugnis für den Aufstieg und Untergang des Dritten Reichs.

Samstag, 9. Juni 2012

© Martin Willing 2012, 2013