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Friedrich Wilhelm Thümmel, evangelischer Pfarrer in Geldern | * 1856 | † 1928
In einer Stadt wie Kevelaer werden an die evangelischen Christen und
ihre Bereitschaft zum ökumenischen Gespräch höhere Anforderungen
gestellt als in Gegenden, wo das Verhältnis von katholischen und
evangelischen Christen zahlenmäßig ausgeglichen ist. Da ist es
bemerkenswert, dass das ökumenische Gespräch seit langem in Kevelaer
besonders gepflegt wird. Das Verhältnis der Christen untereinander war
aber nicht immer so gut wie heute. Ein krasser Fall, der für Aufsehen in
Preußen gesorgt hat, ereignete sich im 19. Jahrhundert. Er begann in
Geldern und Kevelaer...
Der evangelische Hilfsprediger Thümmel besuchte, wie er später vor
Gericht ausführte, in Geldern einige Maiandachten in einer katholischen
Kirche und gewann einen „schönen, einschmeichelnden Eindruck“ von der
Marienverehrung. Aber „es fiel mir wie Schuppen von den Augen“, als er
beobachtet habe, dass junge Mädchen, die eben noch andächtig vor dem
Maialtar gekniet hätten, nun mit „jungen Burschen die Maiandacht vor der
Kirche im Dunkeln fortgesetzt“ hätten.
Der Hilfsprediger wurde bald darauf Pfarrer der evangelischen Gemeinde
in Remscheid. Hier verfasste er die Broschüre „Rheinische Richter und
römische Priester“, die ihn schließlich vor Gericht brachte. In dem
Pamphlet zog Thümmel u.a. die Kevelaer-Wallfahrt in den Schmutz.
Die Kevelaerer Ratsmitglieder verurteilten den Angriff Thümmels
einstimmig und ließen am 18. Juni 1887 folgende Erklärung als Anzeige im
KB veröffentlichen:
Der evangelische Pfarrer
Herr Thümmel in Remscheid stellt in der von ihm herausgegebenen
Broschüre: ‘rheinische Richter und römische Priester’ die Be-hauptung
auf, von den 10,000 Pilgern, welche an manchem Sonntag Abend Kevelaer
besuchen, gebe es nur zwei Klassen von Pilgern, betrunkene und nicht
betrunkene, die erstern seien aber die größere Hälfte!
Diese Schilderung des Pilgerlebens am hiesigen Orte widerspricht aber
vollständig den thatsächlichen Verhältnissen. Ein Betrunkener ist hier
zur Pilgerzeit eine geradezu seltene Erscheinung. Deshalb erklären die
sämmtlichen Mitglieder des Gemeinderathes von Kevelaer, zur Abwehr der
unbegründeten Beschuldigung, zur Wahrung der Ehre der Pilger, und zum
Schutze des guten Namens der Gemeinde, für den zu sorgen, sie sich als
die gesetzlichen Vertreter verpflichtet halten, die vorgedachte
Behauptung als eine grobe Unwahrheit.
Kevelaer, den 17. Juni 1887.
Im Auftrage des Gemeinderathes:
G. Leeuw, Bürgermeister.
Die
Kevelaerer hatten erst einen Tag nach der Verurteilung Thümmels durch
ein Gericht in Elberfeld reagiert. Entweder hatten sie die Schrift
vorher nicht gekannt oder sie wollten das Urteil abwarten, das um
Mitternacht (!) des 15. Juni 1887 gesprochen wurde: Neun Monate
Gefängnis für Thümmel als Verfasser, zwei Monate für den Verleger der
Schrift.
Thümmel hatte sich in seinem Pamphlet nicht nur mit der Marienverehrung
befasst. Die heilige Messe der katholischen Kirche verglich er mit
heidnischem Götzendienst. In den katholischen Ländern lasse die
„Sittlichkeit“ im Vergleich zu den evangelischen zu wünschen übrig.
Thümmel verleumdete katholische Geistliche wegen ihres „Verhaltens im
Beichtstuhl“ und bezeichnete Katholiken als „Oblaten-Anbeter“. Die
katholische Kirche sei „gegen die Sünde tolerant“, so lange ihre
Herrschaft nur nicht angegriffen werde. Und die Marienverehrung sei
„eine Fortsetzung des heidnischen Venusdienstes“, weshalb die
Maiandachten „schwere Gefahren für die Sittlichkeit“ darstellten.
Im Lichte des ausgehenden Kulturkampfes erscheint die Bestrafung
Thümmels im ersten Prozess ungewöhnlich schwer. Ihm wurde besonders
angelastet, dass diese „Beleidigungen“ - so stufte der Staatsanwalt die
Aussagen ein - von einem Mann im geistlichen Stand erhoben worden seien.
Pfarrer Thümmel focht das Urteil an, nachdem er in seinem Schlusswort
betont hatte, er halte auf jeden Fall alle seine Behauptungen „voll und
ganz aufrecht“.
Über den Prozess wurde in vielen Blättern des Landes berichtet. Gut
einen Monat nach der vom Kevelaerer Gemeinderat publizierten
Zurückweisung griff das Kävels Bläche - diesmal mit einem ganzseitigen
Bericht - den Fall erneut auf:
Die Angriffe des Herrn Thümmel auf die Marienverehrung sind geradezu unqualificirbar und blasphemisch gegen die Mutter dessen, an den als seinen Gott und Erlöser der Herr doch noch glauben wird. (...) Man weiß nicht, ob man hier über Dummheit staunen oder ob man den Herrn bemitleiden soll wegen dieser blasphemischen Zusammenstellung.
Im Januar des folgenden Jahres - ein zweiter Prozess gegen Thümmel lief gerade - sah sich das offizielle Kevelaer erneut veranlasst, mit einer Erklärung einzugreifen. Am 14. Januar 1888 erschien im Kävels Bläche dieses Anzeige:
Die von Herrn Thümmel in
seiner Vertheidigung zu Kassel (...) über Kevelaer aufgestellten
Behauptungen: 1. „er habe gesehen, wie die von den reichen Damen
engagirten armen Frauen für jene die in der Beichte aufgegebenen
Paternoster für Geld hersagten“; 2. „daß Taschentücher und dergleichen
geweiht würden“, sind unwahr.
Die Geistlichkeit.
Pfarrer Thümmel wurde auch im zweiten Prozess verurteilt, allerdings zu
drastisch reduzierter Strafe: Sechs Wochen für den Autor, zehn Tage für
seinen Verleger. Das KB berichtete am 18. Januar 1888:
Beide wurden (...) der Beleidigung der Richter und des Staatsanwaltes [!] in Elberfeld, sowie der Beschimpfung der katholischen Kirche, der Messe, der Mai-Andachten, des Cölibats und der Beichte für schuldig erklärt. Viele Stellen der Thümmel'schen Broschüre blieben straflos. (...) Die Vernichtung der Broschüre wurde ausgesprochen. Sämmtliche 5 Richter sind protestantisch. Die Urtheilsverkündigung dauerte eine Stunde.
THÜMMEL, Friedrich Wilhelm
(* 1856, † 1928) 1882 Pfarrer in Geldern, 1884 Pfarrer in Remscheid,
1900 Privatdozent für Praktische Theologie in Berlin, 1901
außerordentlicher Professor, 1903 Ordinarius für Praktische Theologie in
Jena und Direktor des praktisch-theologischen Seminars, 1919 Präses der
Thüringischen Landeskirche.