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Stalingrad

Die Wende im Zweiten Weltkrieg | Stalingrad und die Kriegsopfer aus Kevelaer  

Am 2. Februar 1943 kapitulierte die 6. Armee in Stalingrad. Unter den Tausenden, die bei den Kämpfen um Stalingrad oder kurz darauf in Lagern ihr Leben verloren haben, waren auch Soldaten aus Kevelaer. Von fast 30 dieser einheimischen Stalingrad-Opfer kennen wir die Namen:

Kevelaerer Stalingrad-Opfer
Kevelaerer, die in Stalingrad gefallen oder vermisst sind (v.l.): Jakob Ferdinand Baum, Max Claeßen, Hermann Josef Grote, Wilhelm Kolmans, Wilhelm Martens, Josef Schmitz, Heinrich Schwartges und Hans Stevens.
Fotos aus: Delia Evers, Martin Willing (Hrsg.), Liebe Eltern! ... Hier geht die Welt bald unter. Kevelaer 2010.

Aerssen, Franz van, Venloer Str. 54, * 25.2.1909, vermisst 13.1.1943
Baum, Jakob Ferdinand, Weezer Str. 166, * 17.3.1918, † 10.2.1943
Becker, Karl-Heinz, Amsterdamer Str. 1 b, * 7.11.1922, † 16.10.1942
Chudinsky, Hans, Gelderner Str. 110, * 15.4.1922, vermisst 8.1.1943
Claessen, Georg, Maasstr. 18, * 3.12.1908, vermisst 10.1.1943
Claeßen, Max, Twistedener Str., * 23.8.1910, † 22.12.1942
Grote, Hermann Josef, Weezer Str. 78, * 28.3.1923, † 5.10.1942
Heckens, Johann, Schanzstr. 7, * 28.3.1921, vermisst 1.2.1943
Hundt, Hermann, Mittelstr. 10, * 16.5.1906, vermisst 7.1.1943
Ingenstau, Josef, Markt 65, Winnekendonk, * 14.12.1921 Winnekendonk, † 12.11.1942
Kolmans, Wilhelm, * 25.5.1923 Wetten, † 30.8.1942
Kröll, Heinrich, Kervenheimer Str. 141, Winnekendonk, * 23.8.1908 Hamb, † 15.10.1944
Martens, Wilhelm, Twistedener Str. 31, * 18.4.1908, † 12.12.1942
Meegen, Heinrich van, Hegerathsweg 45, Winnekendonk, * 4.8.1913, vermisst 21.12.1942
Neymanns, Wilhelm, Gelderner Str. 122, * 8.5.1921, vermisst 1.1.1943
Paepen, Wilhelm, Hauptstr. 42, * 7.9.1912, vermisst 13.12.1942
Passens, Norbert, * 13.9.1916, † 17.11.1942
Peiricks, Heinrich, Venloer Str. 65, * 13.2.1908, vermisst 29.12.1942
Pier, Karl, Neustr. 9, * 25.10.1919, vermisst 19.11.1942
Plönes, Heinrich, Gelderner Str. 185, * 23.8.1919, vermisst 1.1.1943
Schmitz, Josef, Bahnstr. 42, * 24.1.1915, † 8.12.1942
Schwartges, Heinrich, Kervenheim, Schloßstr. 20, * 14.2.1912, vermisst 25.12.1942
Sieben, Peter, * 13.4.1923 Kevelaer, † 3/1943 Pegetowska (russisches Lager)
Stevens, Hans, Kevelaer, * 24.6.1915 Kevelaer, † 24.1.1943
Teloo, Matthias, Gelderner Str. 242, * 28.3.1919, vermisst 12.12.1942
Winkels, Heinrich, Biegstr. 146, * 8.2.1910, vermisst 6.1.1943
Winkels, Karl, Marktstr. 37 a, * 28.7.1915, vermisst 21.1.1943
Zumkley, Theo, Marktstr. 45 a, * 8.3.1923, vermisst  7.1.1943
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Die Katastrophe von Stalingrad

General Paulus in Stalingrad1941
Hitler in Hochstimmung: Dem großen Sieg der deutschen Wehrmacht in Kiew würden in den nächsten drei bis vier Wochen neue Siege folgen. Im Oktober bereits werde sich die Rote Armee an allen Frontabschnitten auf dem Rückzug befinden. Die Wehrmacht werde in Richtung Charkow vorstoßen. Dann komme Stalingrad.

General Paulus in Stalingrad.

Am 5. April legt Hitler in der "Weisung Nr. 41" die Ziele und Operationsphasen für die deutsche Sommeroffensive 1942 fest: Südfront bis zum Don vorschieben, die Landbrücke zur Wolga bei Stalingrad nehmen, anschließend den Kaukasusraum bis zur türkischen und iranischen Grenze (Erdölzentren) erobern.

1942
Im Juli und August stößt die Wehrmacht gegen Stalingrad vor. Zeitgleich soll Leningrad erobert werden. Infolge völliger Fehleinschätzung der sowjetischen Stärke überlässt Hitler in seiner Weisung vom 23. Juli den Angriff auf Stalingrad der im Vergleich schwachen Heeresgruppe B. Am 19. August greift General Friedrich Paulus mit seiner 6. Armee an. Ab dem 25. August wird Stalingrad von den Deutschen belagert. Am 3. September meldet Paulus: Ring um Stalingrad am Westufer der Wolga geschlossen. Bei den Deutschen breitet sich Siegesstimmung aus.

Am 4. Oktober konzipieren die Vertreter der sowjetischen Oberkommandos Georgi Schukow und Alexander Wassilewskij mit den Befehlshabern der sowjetischen Einheiten in und um Stalingrad, wie sie die 6. deutsche Armee einschließen und vernichten können.

Am 19. November beginnt um 5 Uhr morgens nordwestlich von Stalingrad eine sowjetische Großoffensive, die den Belagerungsring der Deutschen durchstößt. Hitler bricht am selben Tag seinen München-Besuch ab, kehrt ins Führerhauptquartier "Wolfsschanze" zurück und schickt das 48. Panzerkorps unter General Ferdinand Heim zu Hilfe. Aber die im Nordwesten von Stalingrad durchgebrochenen Sowjets können nicht zurückgeschlagen werden. Wutentbrannt entlässt Hitler General Heim und verurteilt ihn später sogar zum Tode (die Vollstreckung kann verhindert werden).

Hitler befiehlt am 21. November General Paulus: "6. Armee hält trotz Gefahr vorübergehender Einschließung". Am Tag darauf können die Sowjets die 6. Armee mit rund 220.000 Soldaten vollständig einkreisen.

Es beginnt heftig zu schneien in Stalingrad. Stalin hat eine Million Soldaten, 13.500 Geschütze und Granatwerfer, mehr als 1.000 Flugzeuge und fast 900 Panzer vor der Stadt konzentriert, die seinen Namen trägt. In den Außenbezirken weichen die Deutschen panikartig und in chaotischer Unordnung vor der Übermacht zurück.

Am Tag nach der Einschließung bittet General Paulus um Handlungsfreiheit, weil er mit seiner Armee nach Westen ausbrechen will. Aber Hitler lehnt kategorisch ab und verspricht Versorgung der Eingeschlossenen aus der Luft.

Ein Entlastungsangriff der 4. deutschen Panzerarmee misslingt. Am 23. Dezember ist den deutschen Militärs klar: Die 6. Armee ist zum Untergang verurteilt.

An Heiligabend versammeln sich die vielen Familien in Deutschland, die Angehörige in der 6. Armee haben, vor den Radioempfängern und hören gebannt eine Sendung, die alle Fronten miteinander verbindet. Die Soldaten grüßen die Heimat, und die Tränen fließen, als die über Rundfunk verbundenen Männer aus den Schützengräben "Stille Nacht, heilige Nacht" singen. Auch die Eingeschlossenen von Stalingrad sind in der Weihnachtssendung - angeblich - zu hören.

Erst nach dem Krieg kommt heraus, dass der Rundfunk ein Schmierentheater aufgeführt hatte: Die Radioverbindung zu Stalingrad war getürkt. Sie gab es nicht.

Allein an Heiligabend sterben in Stalingrad 1.280 deutsche Soldaten.

1943
General Paulus weist die Aufforderung der Roten Armee zur Kapitulation zurück. Daraufhin starten die Sowjets am 10. Januar den Vernichtungsangriff. Nun lässt sich vor der deutschen Öffentlichkeit nicht länger verheimlichen, dass die 6. Armee dem Tod geweiht ist. Zum ersten Mal erfahren die Familien im deutschen Reich am 16. Januar aus einer Mitteilung des Oberkommandos der Wehrmacht, dass die 6. Armee eingekesselt ist und keine Hoffnung mehr besteht.

Am 22. Januar verliert die deutsche Wehrmacht ihre letzte Start- und Landebahn unweit von Stalingrad. Nun können Versorgungsgüter nur noch abgeworfen werden, die aber von den unter ständigem Beschuss stehenden Wehrmachtssoldaten kaum noch geborgen werden können. Ebenfalls am 22. Januar bittet Paulus Hitler um die Erlaubnis zur Kapitulation. Hitler lehnt ab. Es gehe um die "Frage der Ehre". Er lässt nach Stalingrad telegrafieren: "Die Armee hält ihre Position bis zum letzten Soldaten und zur letzten Patrone."

In der Heimat bahnt sich ein radikales Umdenken an. In München tauchen am 30. Januar Graffiti auf, die Hitler als "Stalingrad-Mörder" bezeichnen. Studenten und einige Professoren rufen zum Widerstand auf. Eine Gruppe von Studenten um die Geschwister Sophie und Hans Scholl machen mit Flugblättern auf die kriminelle Unmenschlichkeit des Regimes aufmerksam. Es ist der Tag, an dem der Twistedener Soldat Hans Osterkamp in Stalingrad von den Sowjets gefangengenommen wird. Hans Osterkamp gehört zu den wenigen, die überleben werden. Im Juni 1947 wird er nach Deutschland zurückkehren.

Am 31. Januar kapituliert Generaloberst Friedrich Paulus mit der Südgruppe in Stalingrad. Am selben Tag erfährt er, dass ihn Hitler zum Feldmarschall ernannt hat - in der Erwartung, dass Paulus heroisch mit seiner 6. Armee "bis zur letzten Patrone kämpfend" in Stalingrad fallen werde.

Als am 2. Februar auch der Nordkessel kapituliert, ist die Schlacht um Stalingrad beendet. Von den rund 250.000 Mann, die sich zu Beginn der Einschließung im Kessel befunden hatten, sind 34.000 Soldaten ausgeflogen worden. Überlebt haben 130.000 Wehrmachtssoldaten, die nun in sowjetische Gefangenschaft geraten.

Von ihnen kehren nach dem Krieg weniger als 6.000 in die Heimat zurück.

Die Verteidiger zahlen einen sehr viel höheren Preis. Die Rote Armee verliert in den Kämpfen um Stalingrad 500.000 Soldaten durch Tod, weitere 600.000 durch Verwundung oder Gefangenschaft.

Am 3. Februar wird im deutschen Rundfunk bekanntgegeben, dass die Offiziere und Soldaten der 6. Armee bis zur letzten Patrone gekämpft hätten: "Sie starben, damit Deutschland lebe." Die Kapitulation und die Überführung von 130.000 Wehrmachtsoldaten in sowjetische Gefangenschaft werden verschwiegen.

Die deutsche Bevölkerung ist aufgewühlt, aber anders, als es sich die Nazi-Propagandisten vorstellen: In Nürnberg zum Beispiel werden am 3. Februar die Zeitungen, die die Stalingrad-Katastrophe melden, zerrissen. Die NS-Führung wird von aufgebrachten Menschen öffentlich verflucht: "Drei Monate lang hat Hitler uns angelogen!" Und auch jetzt müssen die Angehörigen mit einer Lüge leben. Denn ihnen wird die Information vorenthalten, dass 130.000 Soldaten überlebt haben und verschleppt worden sind.

Die Lagerverhältnisse sind grauenhaft. Allein im Lager Beketowka bei Stalingrad sterben zwischen dem 3. Februar und dem 10. Juni mehr als 27.000 Gefangene.

Propagandaminister Joseph Goebbels nutzt am 18. Februar den Stalingrad-Schock und manipuliert im Berliner Sportpalast die Massen mit seinem Aufruf zum "totalen Krieg".

General Paulus, der soeben ernannte Feldmarschall, hat in den ersten Wochen seiner Gefangenschaft andere Sorgen. Er schickt am 25. Februar einen Brief an den deutschen Militärattaché in der neutralen Türkei und bittet um sechs Paar Schulterstücke für die Uniform eines Feldmarschalls. Paulus bekommt die Zierde seiner Beförderung: Die Sowjets erlauben, dass dem Lagergefangenen das Päckchen ausgehändigt wird.



Friedrich Wilhelm Ernst Paulus (* 1890, † 1957) lebte nach zehnjähriger Gefangenschaft bis zu seinem Tod in der DDR.

© Martin Willing 2012, 2013