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Als
er "75" wurde, wollte er von einer Würdigung in der Zeitung nichts
wissen. „Jetzt haben Sie doch von meinem Geburtstag erfahren!“,
sagte Theo Quinders zur KB-Redakteurin, als sie auf
Hüdderathshof anklopfte. „Ich hatte gehofft, ich könnte dran
vorbeikommen.“ Er gab mit einer Fingerspanne vor, wie lang der Artikel
im Kävels Bläche werden dürfe. „Gut zehn Zeilen.“ Er wurde etwas länger.
Zeit seines Lebens hielt sich Theo Quinders, Bauer aus Leidenschaft, im
Hintergrund und wirkte hinter den Kulissen. Mehr als 25 Jahre lang war
er Ortslandwirt und kümmerte sich um Flüsse und Flüsschen. Er war vor
allem Bauer. Von der Natur, vom Wachsen und Gedeihen der Saat, von
Feldarbeit und Erntesegen erzählte er mit Dankbarkeit und Poesie. Wenn
er beschrieb, wie er mit dem Pflug auf dem Acker die Erde umbrach,
spürte der Zuhörer die Wärme der Sonne, roch die Erde und sah den
Möwenschwarm, der wie an einer Leine hinter dem Traktor hing. Auf der
Maschine war Theo Quinders ein glücklicher Mensch.
Sein Vater Hermann war mit seiner Familie 1935 von Goch nach Kevelaer
übergesiedelt und hatte den Hof auf Hüdderath von der Kirche gepachtet.
Theo ging auf die Keylaerer Schule, die Hubertusschule, besuchte ein
Jahr lang die Landwirtschaftsschule und packte auf dem elterlichen Hof
an. Der Krieg brach aus. Die Menschen in Kevelaer litten Hunger.
Nicht einmal das Krankenhaus hatte Lebensmittel, der freie Handel war
verboten, „schwarzes“ Schlachten mit schweren Strafen bedroht.
Hermann und Theo Quinders wussten, welche Not die Menschen in Kevelaer
litten. Sie schlachteten, verstauten Nahrung in einer Pferdekarre, und
Theo schleuste die Fuhre - immer in der Gefahr, entdeckt zu werden - zum
Marienhospital und zum Priesterhaus, wo Schwester Antonilde, Herrin über
hundert Kopftöpfe und eine leere Vorratskammer, die geschenkte Nahrung
dankbar annahm.
An das Handelsverbot hielten sich auch die Aufpasser der NSDAP nicht
immer. Theo Quinders erzählte, einer von ihnen habe sich selbst jeden
Morgen frische Milch auf dem Hof geholt und anschließend die Bürger
angeschwärzt, die es ihm gleichtaten. Da gab Quinders den Bürgern einen
Tipp. „Wenn der Aufpasser euch erwischt und fragt, von wem ihr die Milch
habt, sagt: ‚Genau von dem Bauern, wo du dir selbst jeden Morgen die
Milch holst‘“. Das Anschwärzen hörte auf.
In den Notjahren wuchs zwischen dem Quindershof und dem Priesterhaus
eine enge Beziehung. Die Bauern von Hüdderath halfen, wo sie konnten,
und vergruben in ihrem Acker Gefäße mit Messwein, um sie vor dem Zugriff
der Kriegsparteien zu schützen. So hat es Kaplan Erich Bensch in seinen
Erinnerungen beschrieben.
1942 wurde Theo Quinders eingezogen und kam an die Ostfront. Die
Schrecken des Kriegs mit einer schweren Verwundung verlängerten sich
über das Ende hinaus: Er geriet für drei Jahre in russische
Gefangenschaft und kam 1948 mit Malaria nach Hause. Die Fieberschübe
machten ihm Jahre lang zu schaffen.
1956 heiratete er seine Kathrin. Im selben Jahr übernahm er vom Vater
den Hof. Er trat der CDU bei, arbeitete im Pfarrgemeinderat St. Marien
mit, in der Schulpflegschaft der St.-Hubertus-Schule (Kathrin und Theo
Quinders bekamen fünf Kinder) und im St.-Martin-Komitee, er mimte den
heiligen Mann; die Güte brauchte er nicht zu spielen. Theo Quinders zog
mit Heinrich Maria Janssen, dem Pastor in Kevelaer und späteren Bischof
von Hildesheim, über die Höfe, warb für die Landjugend Kevelaer und
baute sie mit auf.
Er entwickelte ein immer stärkeres Gespür für die Natur, insbesondere
für die Entwässerungsgräben in den landwirtschaftlich genutzten Feldern
und für die aufnehmenden Flüsse, wurde Vorsteher des Wasser- und
Bodenverbandes Baaler Bruch, verantwortlich für Renaturierung und
Durchfluss von Kendel, Kuckucksley, Spanischer Ley, Ottersgraben,
Dondert und anderen Bächen zwischen Niers und Grenze, zwischen Veert im
Süden und Hommersum im Norden, absolvierte 25 Jahre lang an den 300
Kilometern Wasserstraße seines Reviers ungezählte Inspektionsfahrten und
kannte an ihren Ufern jede Pappel, jede Erle - und jeden Anrainer -
persönlich.
Als die Renaturierung der Kendel anstand, mochten die
landwirtschaftlichen Anlieger dem Projekt nur nähertreten, „wenn Theo
die Sache in die Hand nimmt“. Quinders ließ sich verpflichten und
klopfte mit klugem Kopf und Hartnäckigkeit bei den Zuschuss gebenden
Stellen eine 100-prozentige Förderung heraus.
Bei den Bauern genoss Quinders, der länger als 25 Jahre als Ortslandwirt
ihre Interessen vertrat, unbedingtes Vertrauen. Das war der Lohn für
seine Arbeit. Mehr wollte er nicht. Leute, die für Leistung nach
öffentlicher Anerkennung schielen, verstand er nicht. Er blieb im
Hintergrund, hatte Fragen zu den Gewässern immer im Vorfeld mit den
Betroffenen besprochen, ehe er überhaupt an eine Entscheidung dachte.
Die in Verwaltung und Politik erprobte Sportart, Tatsachen zu schaffen
und die Betroffenen mit dem Ergebnis zu überraschen, lag ihm nicht. Er
übte sich im Zuhören. „Wenn jemand mit einem Problem zu mir kommt,
stelle ich mir vor, ich wäre es, der mit eben diesem Problem jetzt vor
dem anderen stünde“, sagte er damals im KB-Gespräch. Das öffnete das
Herz und schloss den Verstand nicht ab.
So war die Lebensanschauung von Theo Quinders, die im Glauben wurzelte.
„Ich bin froh und glücklich über jeden Tag, den ich geschenkt bekomme.“
Wenn er abends an der Niers entlangspazierte, genoss er die Natur in
vollen Zügen - auch wenn in den letzten Jahren ein tiefer Schatten auf
den Betrieb fiel: Theo Quinders hatte das einst von St. Marien
gepachtete Land zwischen B 9 und Niersaue verloren. Das Priesterhaus,
das er einst so uneigennützig und gefahrvoll unterstützt hatte, hatte
den hochwertigen Boden verkauft, um mit der Ausbaggerei Kies zu machen.
Das war bitter für den Bauern, für den die gewachsene Natur Gottes
Schöpfung und Scholle für den Menschen war. Die Hofgebäude lagen als
Relikt nutzlos an der Wasserlandschaft, getrennt von den zugewiesenen
Ländereien bei Geldern.
Theo Quinders:
Glücklich mit
seiner Familie (Aufnahme von 1996).
Trotzdem hat Theo Quinders sein gutes Gemüt bewahrt. Er hat immer
gespürt, „dass der Herrgott die Hand über mir hat“. Dessen Segen hat er
so verstanden, dass er nicht von allein aus den Wolken fällt: Sich regen
bringt Segen. Das hat er getan. Er war stolz und glücklich, dass sein
Sohn Hermann den selben Draht zu den Dingen besitzt, die ihm selbst
wichtig waren. Auch wenn Theo Quinders, der Altbauer, den Hof schon vor
langer Zeit seinem Sohn übertragen hatte, tranken sie jeden Morgen
gemeinsam eine Tasse Kaffee und beratschlagten, was zu tun war. Manchmal
war dann eines der vielen Enkelkinder dabei. Wenn Theo Quinders seine
Enkel sah, hatte er wieder Hoffnung, dass die Landwirtschaft eine neue
Blüte erlebt.
Theo Quinders starb im August 2010 im Alter von 85 Jahren. Die Traueranzeige für ihn überschrieb die Familie mit dem Goethe-Zitat: "Er ist nun frei, und unsere Tränen wünschen ihm Glück."
Delia Evers