Paliwoda,
Udo
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Gastwirt der Jugend im Prinzenhof | * 1940 | † 1985
Er war der Vater der Nation. Oder doch wenigstens eine
Vaterfigur für Hunderte von Kevelaerer Jugendlichen. Sie fieberten ihrem
16. Geburtstag entgegen, nur um in Udos Prinzenhof Gast sein zu dürfen.
Wer zum ersten Mal seine Cola auf der Theke stehen hatte, war als
„Erwachsener“ geadelt. Udo Paliwoda, der Wirt im Prinzenhof, nahm alle,
wie sie waren, und respektierte jeden.
Er starb im Februar 1985 mit nur 45 Jahren und löste eine Welle der
Bestürzung aus.
Die Aufnahme zeigt Udo und Mine 1984 hinter ihrer Theke.
Udo Paliwoda aus Köln-Weidenpesch und seine Frau Hermine, genannt Mine,
Tochter von Pit Martens, dem Schöpfer feinsinniger Gedichte auf Kävels
Platt, hatten den Prinzenhof am 13. Dezember 1974 übernommen.
Sie unterstützten den FC Prinzenhof 74, einen rührigen und sozial
engagierten Club von Freizeitfußballern, die sich – der Name sagt‘s –
den Prinzenhof zur Kneipe ihres Vertrauens erkoren hatten. Schnell war
eine kleine Dusche in einem Hinterraum eingebaut, und die Aktiven
machten es sich gemütlich. Für den FC warf Udo manche Runde. Einmal
standen 28 Sektflaschen auf dem gedeckten Tisch. Der FC hatte einen
besonderen Sieg errungen.
Als Protokollchef war Udo Paliwoda im Karnevalsclub Kevelaer für jeden
Spaß zu haben.
1975 wurde das Schulzentrum auf der Hüls eröffnet. Es war wohl die
räumliche Nähe, vor allem aber die Persönlichkeit von Udo und Mine, die
Heranwachsende in den Prinzenhof zog. Da wollte man seine Jugend
verbringen.
Udo achtete nicht auf Äußerlichkeiten. Er stand mit seinem blau-weiß
gestreiften Schifferhemd hinter der Theke, den Kragen weit aufgestellt,
und war die Lockerheit in Person. Zugleich wusste jeder Gast, dass
bestimmte Sachen mit Udo nicht zu machen waren. Wer Dreck am Stecken
hatte, wagte sich erst gar nicht ins Lokal.
Bei Udo, das war einhellige Auffassung und Erfahrung, konnte einem
nichts passieren. Das genossen vor allem junge Mädchen, die keine
Übergriffe zu fürchten hatten.
Wenn es dennoch brenzlig wurde, griff sich Udo, sehr groß und stark, vom
Billardtisch einen Queue und machte eine Handbewegung, die ahnen ließ,
dass er in der Lage war, Kraft freizusetzen. Das reichte meist. Nie kam
es zu einer Prügelei. Augenzeugen berichten allerdings, manches Mal habe
der Billardstock bei unliebsamen Gästen nicht unmittelbar den
Fluchtmechanismus in Gang gesetzt. Dann packte Udo den Menschen am
Kragen und schleppte ihn vor die Tür.
Der Prinzenhof war der Treff für junge Menschen. Hier wurde das ganze
Leben besprochen. Und es wurde in die Wege geleitet. Die Ehen, die das
gute Miteinander bei Udo stiftete, sind nicht gezählt worden. Sicher
ist, dass viele bis heute halten.
Udo freute sich über Umsatz, aber sein Blick auf die Gäste hatte mit
Zahlen und Zahlkraft nichts zu tun. Im Prinzenhof konnte man einen
langen Abend bei einer einzigen Cola verharren und sich trotzdem
willkommen fühlen.
Und bei Udo durfte man „einen Deckel machen“, für notorisch klamme junge
Leute ein Glücksfall.
Dutzende von älteren Schülern verdienten sich als Kellner bei Udo ihr
erstes Geld. Sie waren bei den jungen Gästen hoch angesehen – unter
ihnen Werner „Bolle“ Borkowski, längst selbst ein Kevelaerer Original.
Glücksgefühle kamen auf, wenn einer der Kellner, ohne nachzufragen, den
Namen des jungen Gastes auf den Deckel schrieb. Dann war man angekommen.
Viele Schüler von damals sind dem Prinzenhof treu geblieben. Menschen,
die es nach der Schule zum Studium oder zur Arbeit in andere Städte
getrieben hat, wissen sicher, dass sie freitags und samstags auf
Kameraden stoßen, wenn sie Kevelaer besuchen und im Prinzenhof
vorbeischauen. Verabreden muss sich niemand. Man trifft sich bei Mine.
Mine Paliwoda hat die gleiche Nase für Charme und Charakter dieser
Pinkte der fröhlichen und freien Einkehr. Sie hat sie bewahrt.
Die Einrichtung hat inzwischen Jahrzehnte gesehen und genießt die
Vorzüge eines Gnadenhofs: Alles Alte hat Bestandsschutz und wird
gepflegt. Die Kneipe ist ein Gesamtkunstwerk. Ihre Einzigartigkeit
schöpft sie aus dem herrlich abgeschabten Holzmobiliar, den
museumsreifen Sanitäranlagen und dem gewachsenen Sammelsurium von
Wimpeln und bekritzelten Tafeln, Sparschweinen und Fußbällen, Flaschen
und Gläsern, Bildern und Schildern, die sich unbestätigten Gerüchten
zufolge wie von Geisterhand vermehren. Aber das ist eine andere
Geschichte…
Den Zugang zur Theke begleitet ein blauer Wegweiser: Udostraße.
Schon zu Udos Zeiten guckten die Jungen Fußball und saßen die Mädchen
klönend zusammen. Kamen junge Mütter mit ihrem Nachwuchs im Kinderwagen
vorbeigeschoben, gab’s einen Schokoriegel, garniert mit dem Spruch an
die Kleinen: „Dann kleckert mal schön.“ Udo lachte. Und die Mütter
lachten auch.
Noch ein Spruch ist überliefert. Wenn Udo gegen 2 oder 3 Uhr langsam die
Schotten dicht machen wollte, riet er den letzten Gästen: „Ab nach Hause
oder in die Mühle.“ Old Mill, die alte Mühle, lag schräg gegenüber. Da
tobte die Disko.
Bei Udo und Mine konnten sich Heranwachsende überwiegend schmerzfrei von
zu Hause abnabeln und - ohne das registrieren zu müssen: behütet - die
Freiheit proben. Der Prinzenhof war und ist ein Glücksfall für junge
Menschen und welche, die einmal jung waren und hier wichtige Prägungen
erhalten haben: Er ist ein bedeutendes Stück Kulturleben in einer Zeit,
in der sich vieles zerstreut.
Mine und inzwischen Sohn Pit ist es zu verdanken, dass dieses Stück
Kulturleben nicht weggebrochen ist. Das war nach jenem schrecklichen 27.
Februar vor 30 Jahren nicht selbstverständlich.
Udo hatte noch an der Theke bedient und war nach hinten gegangen, um
Suppe zu holen. Er kam nicht wieder. Als Gäste ihn suchten und fanden,
lag er tot in der Küche.
Der evangelische Pfarrer Volker Raettig zelebrierte die Beerdigung.
Viele Trauergäste haben sie bis heute nicht vergessen.
Als 2013 auf Facebook ein Prinzenhof-Beitrag gepostet wurde, drückten
binnen kürzester Zeit 122 Leute den Gefällt-mir-Button. Viele weitere
lieferten eigene Kommentare. Hier eine Auswahl der Wertschätzung und des
Heimat-Gefühls:
„Tolle Zeiten…, möchte ich nicht missen.“
„Hier lief alles Wichtige zusammen. Hier wurde alles ausgeheckt.“
„War ne geile Zeit.“
„Ich war Sonntag noch da. Seit fast 15 Jahren mal wieder.“
„Da werden Erinnerungen wach. Udo hat mir als Kind immer so kleine
Milka-Schokotäfelchen gegeben.“
„Udo musste leider viel zu früh gehen. Ich danke Mine und Pit, dass sie
uns diesen Ort so toll erhalten haben. Chapeau!“
„Dort habe ich meine Jugend verbracht.“
„Ich war als Jugendlicher da - genauso wie es nun meine Kinder sind. Ich
bin heutzutage natürlich nur noch selten da. Aber wenn schon Kneipe,
dann dort.“
„Teilweise wurden wir in diese magische und einzigartige Welt schon als
Kinder eingeführt, auf jeden Fall aber als Kevelaerer hineingeboren -
und weil das alles so tief verwurzelt ist mit unserer Stadt und allem,
was sich in ihr abspielt, [wurden wir] spätestens im Jugendalter in den
Bann [dieser Welt] gezogen.“
„Mine ist der nicht vorhandene Raum, um Jugend in unserer Stadt
geschehen zu lassen.“
„Kann mich daran erinnern, dass Postkarten ankamen, wo nur draufstand:
An die beste Kneipe in der ganzen Welt, 47623 Kevelaer. Für die
geschickten Postkarten gab es ein Freibier.“
„Udo hatte Interesse an schnellen Sportwagen. Er fuhr einen
gelb-schwarzen Porsche 911 und danach einen Camaro.“
„Und diesen Französischen Gangsterschlitten.“
„Der silberne Camaro ist eine Legende.“
„Der Gangsterschlitten war ein Citröen.“
„Stimmt.“
„Ohne Udo hätte ich meinen Mann nie kennengelernt!“
„Mine ist unser Wohnzimmer, um gemeinsam Fußball zu gucken und Freunde
zu treffen.“
„Mine ist für mich ein wichtiger Bestandteil meines Lebens mit viel
Tradition.“
„Kevelaer funktioniert nicht ohne Mine und Mine nicht ohne Kevelaer.“
„Es lebe der Prinzenhof.“