Otten, Alwine
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Gastwirtin
in Winnekendonk |
* 1911 |
† 2000
Der
kleine Saal bei Alwine Otten sah aus wie ein Blumengeschäft am
Muttertag; ein Strauß war schöner als der andere. Selbst die
Fensterbänke standen voll. Und noch im Schlafzimmer hatte sie Sträuße
untergebracht. Mit diesem duftenden Blütenmeer stattete im November 1997
halb Winnekendonk der alten Dame mit der weißen Schütze einen herzlichen
Dank ab: 85 wurde die Wirtin im „Goldenen Apfel“, die seit fast 60
Jahren zur Gaststätte gehörte wie der gute Geist zu Aladins Wunderlampe.
Zu Beginn des Krieges hatte sie beim Wirtspaar Johann und Maria Schülter
als „Mädchen“ begonnen. Nie hat sie ein böses Wort von den beiden
gehört. Und von Johann Schülter wusste sie bis zuletzt einen Spruch, der
sie immer begleitet hatte. Als sie nach dem Krieg die zerstörte
Wirtschaft aufbaute und in ihre eigene Regie übernahm (der Pastor hatte
sie als erster bekniet: „Der Steinhaufen muss doch wieder in die Höhe“),
lebte sie nach diesem Spruch: „Willst Du glücklich sein auf Erden, trage
bei zu anderer Glück, denn die Freude, die du gebest, kehrt ins eigene
Herz zurück“.
Sie selbst fühlte sich reich beschenkt durch ungezählte Erfahrungen und
freute sich, wenn sie andere glücklich machen konnte.
Dazu hatte „Alwine“, wie sie im Dorf jeder kannte, eine Menge
Möglichkeiten: Aus ihrem riesigen Gemüsegarten verschenkte sie liebend
gern Kappes und Endiviensalat. Ihr Vorratskeller mit eingemachten
Früchten war unerschöpflich und ihre Liebenswürdigkeit auch.
Alwine war ein feiner Mensch, allzeit vertrauenswürdig und verschwiegen,
wenn jemand für seine Nöte und Probleme eine gute Zuhörerin brauchte.
Oft reichte es schon, wenn sie ihre Gäste erzählen ließ. Manchmal
erkannten sie die Lösung – Alwines gütige Augen vor sich – wie von
selbst. Gab Alwine Ratschläge, waren sie lebensklug, schlicht und
praktisch.
Arbeit war für sie nie ein Grund zu jammern. Wenn jemand mit
eingerosteten Gelenken zu ihr kam, nannte sie ihr Patentrezept:
„Bewegung hat noch keinem geschadet.“ Sie selbst war ständig auf den
Beinen, hatte schon als Kind auf dem elterlichen Oetzelshof im
Achterhoek gewullackt und sich die Handknöchel beim Wäscheschrubben
aufgescheuert.
Bis zuletzt putzte und wusch sie selbst, war der gute, traute
Mittelpunkt hinter der Theke geblieben und stach die Fässer selber an.
Die Sebastianus-Schützen und die Reiter hatten „bei Alwine“ ihr
Vereinslokal, ein Stammtisch kam sonntags, und Skatklubs kloppten sich
die Asse um die Ohren. Die Gäste fühlten sich hinter der Kirche wie „bei
Muttern zu Hause“, sagte Alwine. Dafür hatte sie auf manches verzichtet:
„Ich habe nie Urlaub gemacht.“ Eine eigene Familie hat sie nie vermisst:
„Ich kenne keine Langeweile.“
Manchmal stellte sie sich vor, wie von irgendwoher Johann und Maria
Schülter auf den „Goldenen Apfel“ guckten und staunten: „Alwine, wie
hast Du das bloß geschafft?!“ Bei diesem Gedanken lächelte sie - und
schaffte auch mit ihren über 85 Jahren einfach weiter.
Als „dat junge Fräuken“ vom Kävels Bläche (Delia Evers) sie nach
Ruhestands-Plänen fragte, war Alwine wirklich verdutzt: Auf so eine
abwegige Sache war sie noch gar nicht gekommen.