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1934 war alles für einen festlichen Empfang des "Führers" vorbereitet
Der
Besuch von Adolf Hitler in Kevelaer war als Auszeichnung für das
„mustergültige“ Arbeitsdienstlager, das dem Westwall-Bau diente,
gedacht. Straßen und Häuser waren für den 29. Juni 1934 festlich
geschmückt, an dem gegen 16 Uhr Hitler und sein Stellvertreter Rudolf
Heß in der Wallfahrtsstadt erwartet wurden.
Der Hitler-Besuch war dem Essener Gauleiter Josef Terboven zu verdanken,
der in enger Beziehung zum „Führer“ stand: Terboven hatte 1923 an
Hitlers gescheitertem Putsch in München teilgenommen. Ab 1928 Gauleiter
in Essen, heiratete Terboven am 29. Juni 1934, also am Tag des geplanten
Hitler-Besuchs in Kevelaer, Ilse Stahl, eine ehemalige Sekretärin von
Joseph Goebbels. Hitler, der seine „alten Kameraden“ aus der Kampfzeit
nie vergaß, nahm die Einladung zur Hochzeit in Essen an.
Er stieß am Vorabend mit Hermann Göring zur Festgesellschaft und hätte
wohl einen netten Abend verlebt, wenn ihn nicht Himmler mit einer
Nachricht aufgeschreckt hätte.
Reichspräsident von Hindenburg, so berichtete Himmler, wolle nicht nur
die Macht der SA und die ihres Führers Ernst Röhm, sondern auch die der
NSDAP und damit die von Hitler in die Schranken weisen.
Unverzüglich verließ Hitler die Gesellschaft, fuhr zu seinem Hotel in
Bad Godesberg und rief engste Vertraute herbei. Joseph Goebbels setzte
sich noch in der Nacht ins Flugzeug, um seinem „Führer“ zur Seite zu
stehen.
Alle waren sich einig: Die längst selbst vorbereiteten Repressionen
gegen die SA, die sich als Konkurrenz zur Wehrmacht in Stellung gebracht
hatte, duldeten keinen Aufschub mehr.
Auf Hitlers Absage an Röhms Konzept einer Waffen tragenden SA hatte Röhm
nicht reagiert. Er war dabei, Hitlers 1933 errungene Macht zu gefährden.
Denn nur mit der Reichswehr, nicht mit der SA waren Hitlers Pläne
durchführbar.
Während am 29. Juni in Kevelaer die Fahnen und Girlanden wehten, die auf
den „Führer“ vergeblich warteten, besprachen Hitler, Göring und Goebbels
in dem Bad Godesberger Hotel, wie sie gegen Röhm und die SA vorgehen
wollten.
Für den Vormittag des 30. Juni waren inzwischen sämtliche SA-Führer nach
Bad Wiessee in Süddeutschland einbestellt, wo Hitler mit der SA
abrechnen wollte. Göring flog nach Berlin, um dort das Heft des Handelns
in die Hand zu nehmen. Hitler setzte sich, am 30. Juni, zwei Uhr nachts,
ins Flugzeug nach München, wo er um vier Uhr landete. Zur Unterstützung
eines Schlags gegen Röhm und die SA hatte Himmler mittlerweile einige
SS-Hundertschaften auf Fahrzeugen der Reichswehr in München einrücken
lassen.
Als Hitler im Morgengrauen erfuhr, dass gerade Tausende SA-Männer
randalierend durch die Stadt zogen und riefen, „Der Führer ist gegen
uns, die Reichswehr ist gegen uns, SA, heraus auf die Straße!“, geriet
er in blinde Wut über Röhms „Verrat“. Den nächstbesten SA-Gruppenführern
riss Hitler die Rangabzeichen von den Uniformen und schrie: „Sie sind
verhaftet und werden erschossen.“
Im hysterischen Zustand ließ sich Hitler gegen halb sieben nach Bad
Wiessee fahren. Er wollte nicht mehr bis zu der Zusammenkunft warten,
sondern stürmte mit gezogener Pistole in das Hotel, wo Ernst Röhm und
andere SA-Männer nächtigten. Er sei ein Verräter und hiermit verhaftet,
erklärte Hitler dem schlaftrunkenen Röhm in seinem Zimmer.
Bei der mittäglichen Versammlung der SA-Führung redete sich Hitler
erneut in Rage. Röhm habe den „größten Treuebruch der ganzen
Weltgeschichte“ begangen.
Gleichwohl befand sich Röhms Name nicht auf der von Hitler abgehakten
Liste von sechs SA-Männern, die ohne jedes Verfahren sofort hingerichtet
werden sollten. Erst am nächsten Tag, als Röhm im Gefängnis Stadelheim
eine bereit gelegte Pistole nicht genutzt hatte, wurde er erschossen.
Josef Terboven, dessen Hochzeit mit dem (geplatzten) Kevelaer-Besuch
Hitlers in Zusammenhang steht, stieg 1940 zum Reichskommissar im
besetzten Norwegen auf, wo er sich als Ausbeuter und Unterdrücker
hervortat. Als 1945 Deutschland kapitulierte, tötete er sich mit einer
Handgranate selbst.
© Martin Willing 2012, 2013